„Relatio ante disceptationem“:
So heißt bei einer Bischofssynode das Eröffnungsstatement des Berichterstatters oder
‚Relators’. Der ungarische Kardinal Peter Erdö führte an diesem Montag die Teilnehmer
der Außerordentlichen Synodenversammlung in das Thema Ehe- und Familienpastoral ein.
„Hoffnung“ und „Barmherzigkeit“ solle die Kirche in diesem Bereich vermitteln – aber
auch „das Glaubenserbe in seiner Reinheit bewahren“, so Erdö. Als wichtigste Quellen
des Lehramts zählte er „Gaudium et spes“ auf, das Schreiben „Familiaris consortio“
von Johannes Paul II. und den Weltkatechismus.
„Die Suche nach pastoralen
Antworten geschieht im kulturellen Kontext unserer Tage. Viele unserer Zeitgenossen
haben Schwierigkeiten damit, logisch zu überlegen und lange Texte zu lesen. Wir leben
in einer Kultur des Audiovisuellen, der Gefühle, der Emotionen und Symbole. Die Wallfahrtsorte
vieler, auch der säkularisierten, Länder sind oft überfüllt... Viele sehen ihr Leben
als eine Serie von Momenten, in denen es vor allem darum geht, sich gut zu fühlen.
In einem solchen Blickwinkel ist das Eingehen stabiler Beziehungen etwas, das man
fürchtet; und die Zukunft eine Bedrohung. Beziehungen zu anderen können so wie Grenzen
wirken; das Wohl eines anderen zu wünschen, könnte ja Verzicht mit sich bringen. Oft
geht mit diesem Kult des Sich-gut-Fühlens darum Isolierung einher.“
„Gute
Nachricht von einer Gnade“ Das sei der Kontext, in den hinein die Kirche
ihr „Evangelium von der Familie“ zu verkünden habe. Sie sollte, so überlegte Erdö,
es vor allem als „Gute Nachricht von einer Gnade“ darstellen.
„Die Verpflichtungen,
die sich aus der Eheschließung ergeben, dürfen sicher nicht vergessen werden, aber
man sollte sie als Folgerungen aus einem Geschenk ansehen... Die Kirche muss ihre
„heilende Wahrheit“ so anbieten, dass sie als Medikament zu erkennen ist, auch für
so viele problematische Familiensituationen. Anders gesagt: Ohne die Wahrheit zu vermindern,
wird sie angeboten, indem man auch den Blickwinkel dessen einnimmt, der sie nur mit
Mühe als Wahrheit erkennt oder lebt.“
Das ist eine Aufforderung zum Eiertanz.
Kardinal Erdö bat die Synodenväter, nach praktikablen Anweisungen an Hirten überall
auf der Welt zu suchen, damit es nicht (mehr) zu ‚Do-it-yourself-Seelsorge’ komme.
„Die vielfältigen Erscheinungsformen der familiären Wirklichkeiten zeigen
doch, dass es in allen soziokulturellen Kontexten doch einen Konsens gibt, der größer
ist, als man zunächst denken könnte: dass nämlich Ehe und Familie etwas grundlegend
Gutes sind, das zur Kultur der Menschheit gehört. Ein Erbe, das gepflegt, gefördert,
wenn nötig auch verteidigt werden muss. Natürlich stoßen Familien heute auf viele
Schwierigkeiten, aber sie sind kein Auslaufmodell, vielmehr nimmt man bei jungen Leuten
einen neuen Wunsch nach Familie wahr.“
Bekannt, aber nicht befolgt Unter
Katholiken sei die kirchliche Lehre über die Ehe „im wesentlichen bekannt“, doch werde
sie „oft in der Praxis nicht befolgt“. Und das, obwohl eine Mehrheit der praktizierenden
Katholiken offenbar nicht gegen diese Lehre sei. Beispiel: Unauflöslichkeit der Ehe.
„Die
Unauflöslichkeit der Ehe wird von den Katholiken in der Regel nicht als solche in
Frage gestellt. Vielmehr ist sie unwidersprochen und wird größtenteils in der pastoralen
Praxis der Kirche bei Personen, die in ihrer Ehe gescheitert sind und einen neuen
Anfang versuchen, auch eingehalten. Also geht es bei den Debatten dieser Synode nicht
um Lehrfragen, sondern um praktische, vor allem pastorale Fragen!“
Kardinal
Erdö ging auch auf das Meinungsbild ein, das die weltweite Befragung von Bischofskonferenzen
und Katholiken vor der Synode zum Thema Homosexualität ergeben hat.
„Ein
breiter Konsens betrifft die Tatsache, dass Menschen mit homosexueller Tendenz nicht
diskriminiert werden dürfen – wie das auch der katholische Weltkatechismus betont.
Zweitens zeigt sich ebenso klar, dass die Mehrheit der Getauften – und der Bischofskonferenzen
– nicht eine Gleichstellung solcher Beziehungen mit der Ehe von Mann und Frau fordern.
Auch die ideologischen Formen der Gender-Theorie finden bei einer überwältigenden
Mehrheit der Katholiken keine Zustimmung. Viele wollen aber die traditionellen, kulturell
konditionierten sozialen Rollen überwinden, darunter auch die Diskriminierung von
Frauen, ohne deswegen den natürlichen und kreatürlichen Unterschied unter den Geschlechtern,
ihre Reziprozität und Komplementarität zu leugnen. Es gibt deswegen im Innern der
Kirche keinen Grund zu einer Katastrophen- oder Resignations-Stimmung. Es gibt ein
klares und von der Mehrheit mitgetragenes Glaubenserbe, von dem die Synodenversammlung
ausgehen kann.“
Neue Kultur der Familie Er wünsche sich,
so der ungarische Kardinal und Synoden-‚Relator’, dass die Teilnehmer der Beratungen
im Vatikan „über den Kreis der praktizierenden Katholiken hinausschauen“. Es gehe
„nicht nur um Probleme individueller Ethik, sondern um Strukturen der Sünde, die der
Familie feindlich gesonnen sind, in einer Welt der Ungleichheit und der sozialen Ungerechtigkeit“.
In einer „fast nur von Finanz- und Technologiekräften determinierten Welt“ sei die
Familie „fast die letzte menschliche Wirklichkeit, die noch aufnahmefreundlich“ sei.
Eine „neue Kultur der Familie“ könne deshalb „Ausgangspunkt für eine erneuerte Zivilisation
überhaupt“ werden.
Kardinal Erdö warb für eine bessere Ehevorbereitung; die
Kirche müsse auch „nachdenken darüber“, wie man Menschen, die eine gescheiterte Ehe
hinter sich haben, „am besten begleitet, damit sie sich nicht aus dem Leben der Kirche
ausgeschlossen fühlen“. Dabei müssten „geeignete Formen und Sprechweisen gefunden
werden, um zu verkünden, dass alle geliebte Kinder Gottes und der Mutter Kirche waren
und sind“. Die Begriffe „Wahrheit“ und „Barmherzigkeit“ gelte es in eins zu spannen,
so Erdö.
„Barmherzigkeit ist das zentrale Thema der Offenbarung Gottes und
darum wichtig für die Ausrichtung des kirchlichen Tuns. Natürlich drängt sie die Wahrheit
nicht beiseite und relativiert sie nicht, aber sie führt dazu, sie im Rahmen der Hierarchie
von Wahrheiten korrekt zu interpretieren. Sie macht auch nicht die Notwendigkeit der
Gerechtigkeit zunichte. Barmherzigkeit löst also keineswegs die Pflichten, die sich
aus dem Eheband ergeben. Diese bestehen fort, auch wenn die menschliche Liebe schwächer
geworden oder ganz erloschen ist. Das bedeutet, dass es im Fall einer vollzogenen
sakramentalen Ehe nach einer Scheidung, solange der erste Ehepartner noch lebt, keine
zweite von der Kirche anerkannte Ehe geben kann!“
Die Bedeutung der
Ehevorbereitung In der Frage von wiederverheirateten Geschiedenen sei es
„irreführend, sich nur auf die Frage des Sakramentenempfangs zu konzentrieren“. Die
Antwort müsse eher im Rahmen einer breiteren Jugend- und Ehevorbereitungs-Pastoral
gesucht werden. Vor allem müssten Seelsorger auch Ehepaare oder Familien in Krisensituationen
intensiver begleiten. Wiederverheiratete Geschiedene seien „Mitglieder der Kirche“,
sie hätten „ein Bedürfnis nach und das Recht auf Begleitung durch ihre Hirten“. Kardinal
Erdö ging auch auf ‚Ehen ohne Trauschein’ ein: Die Kirche könne die „Gelegenheit nicht
verstreichen lassen, auch in Konstellationen, die weit von den Kriterien des Evangeliums
entfernt sind, den Menschen nahe zu sein“.
Der Kardinal zeichnete ein breites
Panorama kritischer Punkte im Bereich Ehe- und Familienpastoral; die Annullierung
von ungültig geschlossenen kirchlichen Ehen könnte vereinfacht werden, die Praxis
orthodoxer Kirchen, eine „zweite oder dritte Ehe mit Buß-Charakter zu erlauben“, sollte
genauer studiert werden, „um überstürzte Interpretationen oder Schlussfolgerungen
zu vermeiden“. Was das Nein zur künstlichen Empfängnisverhütung in der Enzyklika „Humanae
Vitae“ von Paul VI. betrifft, setzte Kardinal Erdö auf eine „positive Neuformulierung
der Botschaft“.
Kein Latein mehr Wie Kardinal Erdö weiter
am Montag bekanntgab, wird bei der laufenden Generalversammlung der Bischofsynode
erstmals kein Latein mehr verwendet. Papst Franziskus habe entschieden, dass Latein
nicht mehr „offizielle“ Sprache der Versammlung ist, so Erdö am Montag in Rom. „Das
vereinfacht die Sache etwas“, so der Kardinal. In den vergangenen Jahren, als man
sich anderthalb Stunden eine Vorlesung auf Latein angehört habe, sei das „für alle
nicht einfach gewesen“. Der Budapester Kardinal hielt sein Einführungsreferat für
die Synode am Montag auf Italienisch.