2014-09-27 10:01:25

Unser Buchtipp: „Gibt es alles oder nichts?“


RealAudioMP3 Eine Besprechung von Stefan von Kempis
„Gibt es alles oder nichts“ – der Titel der deutschen Ausgabe dieses Buches ist irreführend, denn die Recherche des US-Autors Jim Holt gilt in Wirklichkeit der berühmten Warum-Frage von Leibnitz: „Warum gibt es etwas und nicht einfach nur nichts?“ Dass es nämlich „etwas“ gibt und nicht nur „nichts“, weist der Autor ja schon auf der ersten Seite elegant nach. Ein falscher Titel also.

Aber das ist nur ein Fleck auf einem ansonsten faszinierenden Mosaik. Holt fragt namhafte Theologen, Quantenphysiker, Philosophen, Mathematiker oder Schriftsteller nach ihrer Erklärung dafür, warum das Universum entstanden ist. Und der Leser kommt allmählich ins Grübeln, welche abenteuerlichen Modelle sich Denker von heute einfallen lassen, während sie die Hypothese Schöpfergott von vornherein ausschließen. „Wenn Sie es richtig überlegen“, so urteilt der (mittlerweile verstorbene) Großschriftsteller John Updike ganz treffend beim Plausch mit Holt, „akzeptieren wir Rationalisten Aussagen über das frühe Universum, die haarsträubender sind als irgendeines der biblischen Wunder.“

Dabei könnte doch – das hier zu erfahren, ist schon verblüffend – ausgerechnet die Annahme, dass es Gott gibt, noch die einfachste Erklärung für die Existenz unseres Universums bieten; der Oxforder Wissenschaftler Swinburne bekennt sich daher eloquent dazu. Fehlt hingegen der Baustein Gott im Modell, dann wird es richtig kompliziert, manchmal unverständlich – und ebenso unbeweisbar. Swinburne wundert sich, wie heutige Physiker die Vorstellung von einem allwissenden oder allmächtigen Gott bestreiten, auf der anderen Seite aber „sehr winzigen Teilchen unendliche Macht zugeschrieben haben“: „Man hält es also in den Naturwissenschaften für durchaus angemessen, Objekten sehr einfacher Art All-Eigenschaften zuzuschreiben.“

Der Leser lernt, dass der mittelalterliche „Gottesbeweis“ des Anselm von Canterbury bis heute vielen Forschern zu denken gibt. Dass die Bestätigung, das Universum sei durch einen Urknall entstanden, den Verfechtern der Gotteshypothese in die Hände spielt (das ist das glatte Gegenteil von dem, was man oft hört und liest). Er lernt aber auch, dass erwachsene Wissenschaftler heute tatsächlich glauben, dass es unendlich viele Universen gibt (oder vielmehr: geben sollte), in denen sozusagen Kopien von uns Menschen, von Ihnen und von mir, herumlaufen. Oder dass viele Forscher felsenfest überzeugt sind, dass physikalische Gesetze „über der Welt schweben wie der Geist Gottes und den Dingen befehlen, zu existieren“: Am Anfang war die Weltformel.

Der Leser lernt viel – auf vergnügliche Weise: Denken als Abenteuer, als Reise. Natürlich sind es vor allem Koryphäen der angelsächsischen Welt, die durch dieses Buch paradieren; schade eigentlich, dass der hartnäckige New Yorker Frager nicht auch mal beim emeritierten Papst in den Vatikanischen Gärten vorbeigekommen ist.

Am Schluss der Recherche steht die Erkenntnis des Autors, dass es – vielleicht, vielleicht – etwas mit den Prinzipien ‚Fülle’ oder aber ‚Einfachheit’ zu tun hat, dass es unser Universum überhaupt gibt. Und Holt berichtet uns vom Sterben seiner Mutter, einer gläubigen Katholikin, in einem Krankenhaus von Virginia. „Als ich direkt über ihr stand, noch immer ihre Hand haltend, öffnete meine Mutter die Augen ganz weit, wie in Angst... Vielleicht hatte noch ein paar Sekunden lang im Kortex meiner Mutter ein Rest Bewusstsein geflackert, bevor es für immer erlosch. Ich hatte soeben den infinitesimalen Übergang vom Sein zum Nichts erlebt.“

Seine Suche nach dem Sinn hinter allem hat dem Autor, das wird hier deutlich, nichts Greifbares „gebracht“, an das er sich in einem so existenziellen Moment halten könnte.

Erschienen im rowohlt Verlag, Preis: ca. 25 Euro.

(rv 27.09.2014 sk)








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