Vor genau 200 Jahren,
am 18. September 1814, begann der Wiener Kongress: Und auch wenn er nach den napoleonischen
Wirren sehr konservativ und restaurativ ausgerichtet war, so war er doch auch ein
ausgesprochen erfolgreicher Friedenskongress. Kein anderer vergleichbarer Frieden
hat in Europa so lange gehalten wie der vor zwei Jahrhunderten in Wien ausgehandelte,
und viele der damals gezogenen Grenzen bestehen noch heute.
Eine gemischte
Bilanz zum Kongress zieht aus spezifisch kirchlicher Sicht der Wiener Kirchenhistoriker
Rupert Klieber: Zwar war die katholische Kirche durch den päpstlichen Delegaten Ercole
Consalvi hochrangig am Kongress vertreten, und außerdem wurde durch den Kongress der
„Kirchenstaat“, der große Teile Norditaliens umfasste, als einziges Territorium wieder
errichtet - doch Grund zur Freude besteht aus heutiger Sicht darüber nicht. Sagt Klieber.
So
habe sich die Errichtung des Kirchenstaates als „Danaergeschenk“ (ein dem Empfänger
Unheil bringendes Geschenk) an die Kirche erwiesen, da sie somit erneut zu einer realpolitischen,
auch militärischen Größe wurde mit einem Papst, der auch weltliche Macht über weite
Besitztümer ausübte. Es habe weitere rund 100 Jahre gedauert, so Klieber, bis die
Kirche tatsächlich in ihrem neuen, auf den Vatikan begrenzten Territorium, frei wurde
vom Mächte- und Ränkespiel der Politik und so zu einer „Friedensmacht“ werden konnte.
Um
diese Rolle der Kirche beim Kongress zu verstehen, muss man laut Klieber auf die aufgewühlte
Zeit nach der Französischen Revolution zurückgehen. Die Zersplitterung Europas in
Dutzende Territorien von oft kleinster Ausdehnung hatte damals einen prinzipiellen
Reformbedarf deutlich werden lassen. Mancherorts gab es auf 100 Kilometern bis zu
drei Rechtsordnungen - das war, so der Wiener Historiker, „kein geeigneter Rahmen
mehr für ein modernes Staatswesen, zu dem die Staaten ab dem 19. Jahrhundert drängten“.
Zum anderen habe man zu Beginn des 19. Jahrhunderts begonnen, „die kirchlichen
Verhältnisse grundlegend umzukrempeln. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben."
So habe man - Stichwort Säkularisierung - etwa massiv in die Kirchen- und Klosterstrukturen
eingegriffen: „Strukturen, die in 1.000 Jahren gewachsen sind, sind hier an ein Ende
gekommen.“
„Polizeistaat unter kirchlicher Aufsicht“
Der Reformbedarf
auch kirchlicherseits war also groß. Dennoch spielten Kirchenfragen am Wiener Kongress
laut Klieber nur eine nachgeordnete Rolle. Das lag daran, dass man sich unter den
Großmächten auf keine einheitliche Position zum zukünftigen Status der katholischen
Kirche in Europa einigen konnte - mit Ausnahme der Wiederherstellung des Kirchenstaates.
Dieses Comeback bewertet der Kirchenhistoriker als eine zweischneidige Sache. Zum
einen entsprach dies, nach den demütigenden Erfahrungen der napoleonischen Zeit, einem
verständlichen Wunsch der Päpste nach einem geschützten Territorium.
Auf der
anderen Seite entstand auf diese Weise laut Klieber aber in Italien ein „sehr reaktionärer
Staat“, der sich in seinen Institutionen gegen alle bürgerlichen Ansprüche und Fortschritte
seit der Französischen Revolution stellte. Schließlich habe sich der Kirchenstaat
gar in eine Art „Polizeistaat unter kirchlicher Aufsicht“ verwandelt, resümiert der
Historiker, „der seine Energie darauf verschwendet hat, alle Veränderungen und Neuerungen
zu unterbinden.“ Mit mäßigem Erfolg, so Klieber, sei es doch selbst im Kirchenstaat
bereits 1817 „zu ersten Aufständen gegen die neue Prälaten-Herrschaft gekommen“.
Zu
Ende ging diese Verquickung von weltlicher und geistlicher Macht erst mit der militärischen
Niederlage des Papstes 1870 und seiner Entmachtung durch den italienischen König Viktor
Emanuel II. Erst die Lateran-Verträge von 1929 und die Einhegung der weltlichen Machtsphäre
des Papstes habe die Kirche dann „zurück auf das diplomatische Parkett“ gebracht,
so Klieber - und erst dadurch habe die katholische Kirche zu jener „Friedensmacht“
werden können, als welche sie sich heute versteht.