Jeder einzelne Syrer ist von dem Krieg im Land auf irgendeine Weise betroffen. Das
hat der Bischof von Aleppo, Antoine Audo, jetzt in einem Interview mit Radio Vatikan
betont. Nicht nur die täglichen Gefechte in mehreren Landesteilen und die hohe Zahl
von vier Millionen Flüchtlingen sei für Syrien eine enorme Belastung, sondern auch
der Zusammenbruch der nahezu gesamten Infrastruktur und die hohe Zahl der Arbeitslosen.
Bischof Audo nimmt in diesen Tagen als Präsident von Caritas Syrien an der Koordinationssitzung
von Caritas Internationalis in Rom teil. Er verweist auf eine Verarmung des gesamten
Landes: „Jeder in Syrien ist zu einem armen Menschen geworden, auch die, die
ihr Zuhause nicht verlassen mussten. Wir haben mit zwei großen Problemen zu kämpfen.
Das eine ist die extrem unsichere Lage im Land: Viele Menschen mussten fliehen. Hinzu
kommt die hohe Arbeitslosigkeit. In großen, entwickelten Städten wie Aleppo sind 80
Prozent der Menschen ohne Arbeit. Reiche und gut ausgebildete Bürger nützen ihre Möglichkeiten,
um ins Ausland zu gehen. Zurückgeblieben ist der Mittelstand, der jedoch zunehmend
verarmt. Die Lage der jetzt schon armen Bevölkerung ist nur noch miserabel, es ist
auf allen Ebenen schrecklich. Jeder ist von der Krise in irgendeiner Form betroffen.
Und dennoch – die Menschen haben eine positive Einstellung, und irgendwie geht das
Leben weiter, das ist schon ein Wunder. Es ist nicht einfach, aber wir leben noch.“ Zunächst
friedliche Proteste gegen Machthaber Baschar al-Assad wurden im Frühjar 2011 zu einem
Bürgerkrieg. Seit diesem Ausbruch sind in Syrien mehr als 191.000 Menschen getötet
worden; mehr als die Hälfte der Syrer sind heute auf der Flucht. In dem Land kämpfen
staatliche Truppen gegen Rebellen wie die „Freie Syrische Armee“, aber auch die Terrorgruppe
„Islamischer Staat“ ist in Syrien aktiv. Um die Souveränität Syriens nicht zu riskieren,
lehnte Audo in der Vergangenheit jedoch Luftschläge der USA und ihrer Verbündeten
ohne Autorisierung durch Präsident Baschar al-Assad ab. Der nahende Winter, fehlende
Grundnahrungsmittel und der Mangel an medizinischer Versorgung verschlechtern die
Situation der Menschen vor Ort noch mehr. Die Caritas unterstützt daher fünf große
Programme, um ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen. Bischof Audo erklärt:
„Ein
Programm versorgt Menschen mit Lebensmitteln. Viele Menschen sind sehr arm. Sogar
Ärzte und Ingenieure kommen zu mir und bitten um Hilfe. Ein weiteres Programm kümmert
sich um die medizinische Versorgung, denn viele Krankenhäuser sind zerstört, und zahlreiche
Ärzte haben das Land verlassen. Außerdem gibt es ein Programm, das Menschen unterstützt,
die fliehen mussten oder deren Zuhause zerstört wurde. Damit sie ein Dach über dem
Kopf haben, hilft ihnen die Caritas ein Jahr lang, die Miete zu zahlen.“
Mit
Lebensmitteln, Medikamenten, ärztlicher Versorgung und Wohnraum ist es aber noch nicht
getan. Um die Zukunft des Landes zu sichern, müsse man sich insbesondere der Kinder,
Jugendlichen und älteren Menschen annehmen. „Ein Programm ist besonders wichtig
– ein Bildungsprogramm. In Aleppo können wir insgesamt 5.000 Kindern und Studenten
Stipendien anbieten, damit sie ihre Ausbildung fortsetzen können. Wenn man Schülern
hilft, hilft man auch den Familien, weil man sie auf die Zukunft vorbereitet. Das
erzeugt auch psychologische Stabilität. Das vierte Programm sieht die Versorgung der
älteren Bevölkerung vor. Ich besuche zum Beispiel ältere Menschen, die alleine leben,
weil jüngere Familienmitglieder längst geflohen sind. In Aleppo kümmern wir uns um
500 ältere Menschen.“
All diese Programme sind langwierige Prozesse
und benötigen eine Anlaufzeit von Monaten. Dabei geht wichtige Zeit verloren. Deshalb
engagiert sich Caritas Syrien im besonderen Maße für Soforthilfe und bei der Betreuung
von freiwilligen Helfern. „Manche Situationen benötigen unverzügliche Hilfsmaßnahmen,
wenn zum Beispiel eine Schule bombardiert oder ein christliches Dorf von bewaffneten
Kämpfern überfallen wurde. Deshalb haben wir einen Fond eingerichtet, mit dem wir
Soforthilfe leisten können. Außerdem kümmern wir uns um unsere jungen, freiwilligen
Helfer. Humanitäre Hilfe ist eine schwere Aufgabe. Deshalb versuchen wir sie darauf
vorzubereiten, wie man mit der Gewalt, der Angst, der Gefahr umgehen kann und wie
sie erkennen können, wo Hilfe am nötigsten ist. Das ganze Jahr über machen wir Veranstaltungen,
um junge Menschen auszubilden und sie zu stärken.“