Annette Schavan: „Heiliger Stuhl wird immer wichtiger als Partner in Friedensprozessen“
Deutschlands neue
Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan hat an diesem Montagvormittag Papst
Franziskus im Vatikan ihr Beglaubigungsschreiben überreicht. Die Begegnung verlief
in einem Klima großer Herzlichkeit und dauerte länger als die vorgesehenen 15 Minuten,
sagte Annette Schavan, die nach der Privataudienz beim Papst zum Interview bei Radio
Vatikan vorbeikam. Es sei „eine großartige Begegnung“ gewesen, die sie niemals vergessen
werde, so die frühere Bundesbildungsministerin im Gespräch mit Gudrun Sailer.
„Wir
haben über die Zukunftschancen der jungen Generation gesprochen, ganz besonders in
Europa, aber auch in vielen Teilen der Welt, in denen die junge Generation nicht genügend
starke Signale bekommt, dass sie gebraucht wird, dass ihr Kreativität gefragt ist.
In dem Zusammenhang haben wir über die Rolle des Sportes in modernen Gesellschaften
gesprochen; und natürlich über das, was die Diplomatie und Politik in den vergangenen
Wochen so stark beschäftigt: die neuen Krisenherde, Gewalt und Konflikt, vor allem
da, wo Religion instrumentalisiert wird, und die wichtige Rolle, die der Vatikan hat;
auch darüber, in der Politik in Deutschland an Bemühungen in diesen letzten Wochen
vorangetrieben wurde, um Frieden zu sichern und Frieden wiederherzustellen. Und wir
haben über China gesprochen, der Papst hat gesagt in seinem Pontifikat wird Asien
ein Schwerpunkt sein. Wir haben uns ausgetauscht über Erfahrungen in den letzten Jahren,
die wir aus Deutschland und von Regierungskonsultationen in Deutschland. ich auch
von meinen Besuchen, zuletzt im Februar, in China gemacht habe, über Sehnsucht junger
Menschen nach Spiritualität, und ganz zum Schluss hat auch Romano Guardini eine Rolle
gespielt. Sein zentrales Buch, die Gegensatzlehre, die Lehre, dass von den Gegensätzen
her Guardini versucht hat, die verschiedenen Lebensbereiche zu beschreiben und am
Ende eine Weisheitslehre entsteht, bei der alle Gegensätze in Gott zusammengefasst
werden.“
Da spielt natürlich eine Rolle, dass Sie von Ihrer Ausbildung
her auch Theologin sind, was nicht das übliche Curriculum ist für einen Botschafter,
eine Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Meinen Sie, dass das in Ihrer Arbeit zum Tragen
kommen wird?
„Jedenfalls ist für eine Theologin die Aufgabe, die ich gerade
übernommen habe, ganz besonders interessant. Nach vielen Jahren des politischen Lebens
spielt dann das, was in der Theologie erarbeitet worden ist, noch stärker eine Rolle.
Ich fand immer, dass das wichtig ist für das öffentliche Leben, aber natürlich jetzt
kommt mir vieles in Erinnerung, auch viele Details aus dieser Zeit der intensiven
theologischen Beschäftigung.“
Sie haben die Krisenherde und das Wirken
des Heiligen Stuhles für den Frieden erwähnt: Wird der Vatikan als Friedensstifter
eher unter oder überschätzt?
„Ich kann nicht beurteilen, wie das bisher
war. Aber mir scheint, dass in den vergangenen Wochen vielen deutlich geworden ist,
auch vielen Verantwortungsträgern international, dass der Heilige Stuhl, dass der
Papst persönlich eine ungewöhnliche Autorität ausstrahlt, und deshalb ein zentral
wichtiger Partner in den verschiedenen Friedensprozessen ist und immer mehr sein wird.“
Sie sind seit Jahrzehnten eine Beobachterin der katholischen Kirche in
Deutschland, eine nicht immer unkritische Beobachterin. Manchmal wirft sich der deutsche
Katholizismus selbst vor, sich als Nabel der Welt zu betrachten. Auch vatikanischer
Perspektive kann man sagen, dass diese Tendenz in jeder Ortskirche vorhanden ist.
Können Sie hier am Heiligen Stuhl dazulernen, die deutsche katholische Befindlichkeit
mehr in Bezug zu setzen mit jener in anderen Ländern?
„Ich war nie nur Beobachterin,
weil ich seit meiner Taufe Mitglied der katholischen Kirche bin und auch innerhalb
der Kirche mich engagiert habe. Jeder Teil, auch die katholische Kirche in Deutschland,
trägt ihren Anteil. Wenn ich an die Gründung der großen internationalen Werke denke,
Misereor, Adveniat Renovabis, dann hat die KK nie nur sich selbst gesehen, sondern
sie hat immer auch den Blick in die Welt gerichtet. Sie hat sich immer auch verstanden
einer weltweiten Gemeinschaft, und dennoch ist klar, wer aus einem Teil kommt, kennt
drum noch nicht das Ganze. Und deshalb ist die neue Aufgabe für mich eine große Chance,
für mich auch zu sehen, wo sind in anderen Teilen der Welt welche Entwicklungen in
Gang, und wie entwickelt sich die katholische Welt, die Religion betrifft, die für
eine 2000 jährige Christentumsgeschichte steht die aber auch ein Verständnis vom Leben
und vielleicht – das sage ich als rheinische Katholikin - eine Lebensart bedeutet.
Was kann diese katholische Welt, und was können darüber hinaus die Christen und Christinnen
beitragen zu einer guten Entwicklung von Globalisierung, denn sie hat gute Chancen
und Seiten, aber nicht nur.“
Deutschland gilt beim Heiligen Stuhl als das
Land der Reformation. Sie sind nach vier evangelischen Christen auf dem Botschafterposten
beim Heiligen Stuhl die erste Katholikin seit 2002, die Berlin hierher entsendet.
Macht das einen Unterschied?
„Es hat zumindest heute einen Unterschied
gemacht, weil es nicht nur die Begegnung beim Heiligen Vater gab sondern auch den
Besuch in Sankt Peter, mit der gesamten Delegation. Das Gebet der neuen Botschafterin
in der Sakramentenkapelle, am Marienaltar und vor dem Petrusgrab. Das ist auch schon
sehr eindrucksvoll gewesen – eine ganz andere Erfahrung des Petersdoms, als ich es
von den Jahren davor kenne….“
… und welchen Unterschied macht Ihr Katholisch-Sein
für Ihren Dienst als solchen?
„Ich bin nicht als Katholikin für die Katholiken
in Deutschland in Rom, ich vertrete die Bürgerinnen und Bürger insgesamt. Und das
heißt in Deutschland, wir sind Land der Reformation, ja. Und wir versuchen den Dialog,
den ökumenischen Dialog zu pflegen, das ist in vielen Städten und Gemeinden wunderbar
gelungen. Ich habe allein im vergangenen Jahr auf drei evangelischen Kanzeln gesprochen,
in Gottesdiensten am Sonntag, auch zum Geburtstag von Martin Luther. Dann komme ich
aus einem Land, das sich zunehmend religiös plural entwickelt. Das hat zum Beispiel
dazu geführt, dass ich in meiner früheren Tätigkeit Institute für muslimische und
jüdische Studien, vor allem Institute für islamische Studien an Universitäten eingerichtet
habe. Deutschland ist ein Land, das viel Erfahrung hat mit der wissenschaftliche Reflexion
über Religion, und das hat bislang vor allem bedeutet, mit der wissenschaftliche Reflexion
über christliche Religion, katholische, evangelische, jetzt aber ist auch eine Tradition
begründet der wissenschaftliche Reflexion des Islam. In den vergangenen Wochen ist
es so deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass Religion Raum hat und die Fähigkeit,
und Bereitschaft der kritischen Selbstreflexion, wie sehr Wissenschaft klärt und aufklärt,
und da hat Deutschland schon auch eine wichtige Tradition in die Weltkirche einzubringen,
und heute geht von diesem Land und der theologischen Wissenschaft in diesem Land
auch der Impuls aus, sich jetzt mit der Theologie und der wissenschaftlichen Reflexion
in Afrika, Asien oder Lateinamerika zu verbinden. Das alles gehört zu Deutschland
und vieles mehr, und so verstehe ich mich und die neue Aufgabe: wir können in Deutschland
auch einen kleinen Beitrag leisten zu der Art der Nachdenklichkeit über Religion,
die nicht dazu führt, aufeinander loszugehen, sondern miteinander zu leben.“
Der
Vatikan plant eine Ausstellung zum Reformationsgedenken 2017. Sind Sie involviert?
„Ja,
wir sind involviert. Die Zeit bis zum Reformationsjubiläum ist eine wichtige Phase,
im 21. Jahrhundert deutlich zu machen, was verbindet die Christen, was ist die Substanz,
was ist der Kern, und wo entfaltet sich Verschiedenartiges, Plurales. Aber wichtig,
und das haben uns die letzten Wochen und Monate überdeutlich gezeigt, wichtig ist,
dass Christen und Christinnen auch in zentralen Fragen in der Lage dazu sind, mit
einer Stimme zu reden.“
Ins Jahr Ihres Amtsantrittes in Rom fallen allerlei
Gedenkanlässe: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Heiligem Stuhl wurden 1954
wieder aufgenommen, 1984 bezog die Botschaft ihr heutiges Gebäude, 1989 fiel die Mauer.
Das ist viel auf einmal, was planen Sie dazu?
„Wir planen zum 30jährigen
Bestehen unserer Residenz ein Konzert und eine Fotoausstellung. Natürlich 25 Jahre
Mauerfall und im nächsten Jahr 25 Jahre Wiedervereinigung, das ist ein ganzes Jahr,
das uns die Chance gibt, mit Veranstaltungen und Gesprächen diese große Geschichte
in Erinnerung zu rufen, wie die Freiheit siegte, und was Christen und Christinnen
in der früheren DDR und in den mittel- und osteuropäischen Ländern beigetragen haben
zum Sieg der Freiheit. Wie sie sich nicht abgefunden haben mit einem Paternalismus
ihrer Systeme, der Angst hatte vor der Freiheit, der immer versucht hat, die Freiheit
klein zu halten. Und wie am Ende die Kerzen gesiegt haben. Gerade diese Botschaft
beim Heiligen Stuhl wird natürlich diese besonderen Gedenktage und das Jahr vom Herbst
2014 bis zum Herbst 2015 oder in der Vergangenheit vom Herbst 1989 bis zum Herbst
1990 nutzen, um deutlich zu machen, diese große Veränderung in Europa, dieses große
Geschenk, dass Deutschland wieder vereinigt wurde, aber vor allem, dass die Freiheit
gesiegt hat.“