Albanien: Vom religiösen „Ground Zero“ zum Musterschüler
Wenn Papst Franziskus am 21. September seine erste innereuropäische Auslandsreise
antritt, so führt sie ihn ausgerechnet in ein Land, das sich selbst 1967 - unter kommunistischem
Regime - zum „ersten atheistischen Staat“ erklärt hatte: Albanien. Noch bis 1990 wurde
jede Ausübung von Religion mit Gefängnis, Zwangsarbeit oder gar mit dem Tod bestraft.
Heute, 14 Jahre nach der Wende, sind die Strukturen der Religionsgemeinschaften größtenteils
wieder aufgebaut. Von den rund drei Millionen Einwohnern bekennen sich rund 20 Prozent
zur orthodoxen, 15 Prozent zur katholischen, und ein Prozent zu protestantischen oder
evangelikalen Kirchen. Der Anteil der Muslime beträgt rund 20 Prozent.
Nach
dem Fall des kommunistischen Regimes und der Aufhebung der Anti-Religionsgesetze hat
die religiöse Landschaft in Albanien einem „ground zero“ geglichen: Kirchen, Klöster
und Moscheen waren abgerissen oder in Lagerhallen, Sportstadien, Theater und andere
säkulare Gebäude umgewandelt; Priester, Mönche, Nonnen und Imame ins Gefängnis geworfen,
hingerichtet und in Arbeitslagern zu Tode geschunden worden. „Wer ein Kreuzzeichen
schlug und erwischt wurde, wanderte ins Gefängnis“, verdeutlichte Franziskanerprovinzial
Pater Gazmend Tinaj die damalige Zeit der Verfolgung gegenüber „Kathpress“.
Die
Katholische Kirche habe die Verfolgung am härtesten getroffen. Ihr gut ausgebautes
Netz an Schulen und Gesundheitseinrichtung und die Bildung der damaligen Elite, hätten
die Kirche zum „Staatsfeind Nummer 1“ gemacht, so der Franziskanerpater. 30 Priester
haben die Verfolgung überlebt, der Rest sei entweder hingerichtet oder in Arbeitslagern
interniert worden. Der Franziskanerorden sei beispielgebend dafür, wie mit kirchlichen
Einrichtungen und Gläubigen während des Kommunismus verfahren wurde: Die beiden Klöster
in Shkodra sind in Sporthalle und Theater umgewandelt worden, 55 der damals 70 Patres
haben das Regime nicht überlebt.
Gottesdienst nach Befreiung
Die
politische Wende von 1990 ging auch mit einer „religiösen Wende“ einher: So feierten
damals 50.000 Gläubige in Shkodra die Befreiung vom kommunistischen Regime. Von dort
aus habe sich dann auch die Demokratiebewegung weiter ausgebreitet, so der Franziskanerpater.
Innerhalb der Kirche lief langsam der Wiederaufbau an. Nachdem Papst Johannes Paul
II. im Rahmen seines Albanienbesuches 1993 die ersten vier Bischöfe geweiht hatte,
waren zumindest die Grundstrukturen der Kirche wieder hergestellt. Der Heilige Stuhl
eröffnete in Folge ein Priesterseminar in Shkodra und beauftragte die Jesuiten mit
der Priesterausbildung.
Im Jahr 2000 wurde der erste albanische Priester geweiht.
Heute hat die katholische Kirche in Albanien rund 200 Priester, davon 34 Albaner,
die sich um die Seelsorge der rund 450.000 Gläubigen in fünf Diözesen und einer apostolischen
Administratur im Süden kümmern. Die meisten der ausländischen Priester kommen aus
Italien. Trotzdem fehle es noch an Priestern, denn die Zahl der Gläubigen sei
im Steigen begriffen: Erst in der letzten Osternacht hätten sich 104 Menschen, vorwiegend
aus muslimischen Milieu, taufen lassen und immer mehr Leute kämen aus den Dörfern
in die Städte.
Eine zentrale Rolle beim Wiederaufbau spielte die Weltkirche:
religiöse Organisationen aus aller Welt haben sich an der Wiederbelebung des religiösen
„Ground Zero“ beteiligt, bestätigte auch der vatikanische Nuntius in Albanien, Ramiro
Moliner Ingles, gegenüber „Kathpress“. Der Löwenanteil der finanziellen Aufwendungen
für den Wiederaufbau sei aus dem Ausland geflossen, hier vor allem aus den europäischen
Ländern. Caritas, Bischofskonferenzen und andere religiöse Vereine aber auch Einzelpersonen
hätten beachtliche Summen gespendet. Und auch heute sei die albanische Kirche zu einem
großen Teil durch Spenden finanziert.
Interreligiöser Dialog ist vorbildhaft
Heute leben rund 20 Prozent orthodoxe, 15 Prozent katholische, ein
Prozent evangelische Christen und 20 Prozent Muslime in Albanien. Die offiziellen
Zahlen der Volkszählung von 2011 weichen zum Teil beträchtlich von den Angaben der
Religionsgemeinschaften ab. So gibt es laut Zensus rund zehn Prozent katholische,
sechs Prozent orthodoxe, rund ein Prozent evangelische Christen und 60 Prozent Muslime.
Die Differenz erklärte der Nuntius mit Unregelmäßigkeiten bei der Volkszählung. Nicht
alle Menschen seien erreicht worden oder hätten eine Angabe gemacht. Religiöse Fragen
seien „delikate Angelegenheiten“, viele Gläubige hätten noch immer die Angst aus der
kommunistischen Zeit im Hinterkopf und deshalb keine Angabe gemacht, so der Nuntius.
Geradezu vorbildhaft sei heute der interreligiöse Dialog in Albanien, so Ingles
weiter: Das Zusammenleben zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften beschränke
sich nicht nur auf ein Nebeneinander, man habe etwa eine gemeinsame Erklärung gegen
die Gräueltaten der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verabschiedet und gemeinsam für
die verfolgten Christen im Irak gebetet. „Wir besuchen uns auch gegenseitig bei unseren
religiösen Feiern.“ In einer vom Staat eingerichteten Kommission beraten Vertreter
der orthodoxen, der katholische Kirchen und der Freikirchen gemeinsam mit den Muslimen.
Neben den kirchlichen Strukturen habe unter der kommunistischen Herrschaft
vor allem auch der Glaube und die christliche Wertehaltung gelitten, betonte Ingles
weiter. Daraus ergebe sich der Auftrag der Kirche im Heute, den Gläubigen diese christliche
Wertehaltung wieder zu vermitteln. Gegenseitiger Respekt und die Menschenrechte müssten
wieder mehr in der Gesellschaft verankert werden. Staatlichen Religionsunterricht
gebe es nicht, in den Pfarren werde aber in sogenannte Katechismus-Schulen Glaubensunterweisung
angeboten.
Die große Hoffnung der Kirche liege heute auf der Jugend. Zwar
gebe es keinen staatlichen Religionsunterricht, sondern pfarrlich organisierte „Katechismus-Schulen“,
aber anders als in den meisten europäischen Ländern sei die Jugend in Albanien sehr
gut in die pfarrliche Struktur eingebunden, unterstrich dazu Tiranas Erzbischof Rrok
Kola Mirdita. Aber auch in der Elterngeneration sei durch das Engagement der Kinder
ein neuer Zugang zum kirchlichen Leben gelegt, obwohl die antireligiöse Propaganda
des kommunistischen Regimes noch immer gewisse Ressentiments und eine Gleichgültigkeit
gegenüber der Kirche vor allem in der „Generation 60-plus“ hinterlassen habe.
Wichtige
Rolle der Laien
Aktiv zeigen sich in Albanien auch die Laienbewegungen,
von denen es gegenwärtig rund 20 gibt. Freiwilliges Engagement sei in Albanien aber
immer noch negativ konnotiert. Zu tief sitze noch der „Zwang zur freiwilligen Arbeit
im Kommunismus“, so Erzbischof Mirdita. Vor allem bei gläubigen Menschen habe sich
hier aber schon viel getan. Bester Beweis dafür sei das freiwillige Engagement beim
Rat der Europäischen Bischofskonferenzen gewesen, der 2011 in Tirana tagte. Auch beim
Papstbesuch werden die Laien eine entscheidende Rolle spielen.
Für die Zukunft
der Kirche in Albanien wünscht sich der Erzbischof unter anderem mehr mediale Präsenz:
Die katholische Kirche finde einen nur geringen Niederschlag in der albanischen Medienlandschaft.
Da gebe es Aufholbedarf. Den Zugang wolle man sich vor allem durch verstärkte Aktivitäten
im Erziehungs- und Gesundheitsbereich legen. Auf der „To-do-Liste“ der Kirche steht
dem Erzbischof zufolge außerdem der Ausbau des kirchlichen Schulwesens: Zurzeit gebe
es mehr Nachfrage als Angebot.
(Ein „Kathpress"-Hintergrundbericht von Jennifer
Mostögl)