2014-08-31 13:21:51

Europa: Erneutes Bewusstsein für friedliche Lösungen – ein Gespräch mit Hans-Gert Pöttering


RealAudioMP3 Wenn wir heute an Europa denken, dann denken wir oft an seine Ränder, an die Ukraine, wo Krieg herrscht, oder an Lampedusa, wo die Opfer des Krieges ankommen. Von den internationalen Organisationen hört man dagegen recht wenig. Hans-Gert Pöttering war lange Zeit in einer dieser Organisation prägend aktiv: Er ist der einzige Abgeordnete, der dem Europaparlament von Anfang an ununterbrochen bis zu diesem Sommer angehört hat. Er war Präsident des Parlamentes und hat die christdemokratische Fraktion geleitet. Pater Bernd Hagenkord hat ihn gefragt, ob die Zeit des Zusammenwachsens vorbei sei.

„Gerade, wenn man über die Ukraine redet, dann muss man darauf hinweisen, dass die Europäische Union zwar Europa ist, aber nicht das ganze Europa. Die Ukraine gehört zu Europa, aber nicht zur Europäischen Union. Und die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine - neben der Krim die Einmischung in der Ostukraine - ist auch nur möglich, weil die Ukraine nicht Teil der Europäischen Union ist. Und diese schlimmen Vorgänge um die Ukraine sollten uns Europäer in der Europäischen Union, also der Staatengemeinschaft von 28 Ländern mit 500 Millionen Menschen, ein neues oder erneutes Bewusstsein vermitteln, das wir das Glück haben, in der Europäischen Union in friedlicher Weise die Herausforderungen und Probleme in der Europäischen Union zu lösen. Wir lösen unsere gemeinsamen Herausforderungen, die wir in der Europäischen Union haben, auf Grundlage des Rechtes. Und das Recht sichert den Frieden. Das ist das historisch völlig Neue, dass die Herausforderungen, vor denen wir in dieser großen Gemeinschaft der Europäischen Union stehen, auf der Grundlage des Gesprächs bewältigen, des Dialogs und friedlicher Abstimmung. Wir sollten wegen der schlimmen Ereignisse in der Ukraine durch das Verhalten Russlands und durch andere Ereignisse dort in der Ukraine erneut den Wert der Europäischen Union erkennen – auch als einer wirklichen Wertegemeinschaft. Sie haben auch die Grenzen Europas angesprochen, das war Teil meiner Gespräche hier in Rom zum Beispiel mit dem Innenminister Angelino Alfano. Als Europäische Union müssen wir unseren Beitrag zur Grenzsicherung leisten, damit die Menschen, die zu uns wollen, nicht im Meer ertrinken. Andererseits müssen wir aber auch den Ländern helfen, aus denen diese bedauernswerten Menschen kommen: Also unsere Handlungsfähigkeit insbesondere nach außen müssen wir als Europäischen Union stärken.“

Wir gedenken des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor genau 100 Jahren, und etwa 70 Jahre sind vergangen seit dem Zweiten Weltkrieg - also der Initialzündungen, wenn man so will, für das Zusammenwachsen Europas. Aber davon reden wir im Augenblick weniger. Die Öffentlichkeit nimmt das Zusammenwachsen weniger wahr. Ist es derzeit keine politische Perspektive mehr?

„Mein Eindruck ist doch, dass im Europawahlkampf, die Wahlen liegen ja noch nicht viele Wochen zurück, das Thema Frieden wieder eine größere Rolle gespielt hat, wegen der Ereignisse um die Ukraine. Aber Sie haben recht, der Friedensgedanke, der ja die Grundlage der europäischen Einigungspolitik war und nach meiner Überzeugung auch noch heute der Hauptgrund ist, wenn auch nicht der einzige, der Friedensgedanke ist wieder etwas deutlicher geworden als er in den vergangenen Jahren war. Und deswegen begrüße ich es, wenn wir auch wieder über die Grundlagen mehr diskutieren, die uns zur europäischen Einigungspolitik geführt haben. Dazu gehört der Friedensgedanke, der aber immer verbunden werden muss mit dem Freiheitsgedanken.“

Europa steckt, wenn wir so wollen, in der Krise. Katalonien möchte sich selbständig machen und Schottland stimmt am 18. September ab, ob es sich von Großbritannien trennen will. Thema der Stunde scheint also eher das Voneinander-Abgrenzen und nicht so sehr eine größere Einheit. Würden Sie dem zustimmen?

„Das ist die Frage, wie man das sieht. Wenn Sie von Schottland reden, oder auch Katalonien, die wollen sich möglicherweise, wir wissen ja nicht, wie das Referendum in Schottland ausgeht, aus ihrer eigenen staatlichen Nationalität lösen. Aber sowohl die Schotten als auch die Katalanen sind sehr europäisch. Und die Frage stellt sich, wie wird das Europa der Zukunft organisiert sein? Und wir, oder ich, vertrete die Meinung mit meinen politischen Freunden in der Europäischen Volkspartei, also den Christdemokraten, dass wir verschiedene Ebenen Europas haben: Wir haben die kommunale Ebene, wie haben die Ebene der Regionen, in Deutschland würden wir sagen, der Bundesländer, wir haben die Nationale Ebene und wir haben die Ebene der Europäischen Union. Und man sollte diese vier Ebenen nicht verstehen als im Gegensatz zueinander, sondern als etwas sich etwas Ergänzendes. Das heißt, wir haben nicht nur ein Europa der Regionen, das einige gerne alleine hätten, wir haben nicht nur ein Europa der Nationalstaaten, was manche gerne sähen. Nein, wir haben auch das Europa der Kommunen, was ganz wichtig ist, und die europäischen Institutionen, die über den Nationen stehen, den 28 Ländern der Europäischen Union. Das heißt, der Europäische Rat, die Regierung mit den Staats- und Regierungschefs, dann die Europäische Kommission mit einem Präsidenten und das direkt gewählte Europäische Parlament. Also man darf diese verschiedenen Ebenen und Institutionen nicht im Gegensatz zueinander befindlich verstehen, sondern sie ergänzen sich und gehören zusammen.“

Der politische Diskurs, so scheint es mir jedenfalls, scheint aber dann doch ein bisschen in eine andere Richtung zu gehen: Ich war zum Beispiel in Barcelona während des Wahlkampfes der letzten Abstimmung und habe in Schottland die Fernsehdebatten verfolgt. Man könnte auch die Debatte um die „Ausländermaut“ in Deutschland anführen. Es scheint also von der Debattenkultur her doch eher auf Konfrontation zu gehen, auf Abgrenzung.

„Ja, aber im Falle von Schottland und Katalonien [sehe ich] nicht gegen die Europäischen Union eine Abgrenzung, sondern eine Abgrenzung gegenüber dem Nationalstaat, in dem sich Schottland und Katalonien befinden. Also im Falle Schottlands das Vereinigte Königreich, wobei sich die Schotten auch als eine eigene Nation verstehen, die aber wiederum zu einem anderen Staat gehört, nämlich dem Vereinigten Königreich. Ich weiß nicht, ob es dafür eine Mehrheit gibt, ich hoffe, dass die Schotten und die Engländer und die Waliser und die Nordiren zusammen bleiben, auch als ein starker Teil der Europäischen Union. Das heißt, Schottland richtet sich nicht gegen die Europäischen Idee. Die Schotten waren historisch immer sehr freundlich gegenüber dem Orient, dem Kontinent, weil die Engländer eben, mit denen sie im Disput waren, eine andere Haltung hatten, sodass man das Unabhängigkeitsstreben von Schottland wie auch in Katalonien nicht als gegen Europa gerichtet verstehen muss, sondern als gegen den Nationalstaat gerichtet verstehen muss - im Falle von Katalonien also gegen den spanischen Staat und im Falle von Schottland gegen das Vereinigte Königreich.“

Also quasi wären diese konfrontativen Stimmungen eher lokal zuzuordnen, würden Sie sagen. Das hat nichts Innereuropäisches, keine Sprengkraft?

„Ja, es ist schon eine Sprengkraft, weil das ja eine Wirkung hat, wenn Schottland sich aus dem vereinigten Königreich lösen sollte. Dann müssten ja Verhandlungen stattfinden, wenn Schottland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden wollte mit der Europäischen Union. Und es würde alles sehr viel komplizierter, wenn die Nationalstaaten sich zum Teil auflösen in Regionen und nicht mehr das Band der Nationalität haben und die sich lösenden Regionen dann aber wieder Mitglied werden wollen in der Europäischen Union. Dann wird Europa noch komplizierter als es heute ist. Deswegen ist es meine sehr deutliche Meinung, dass wir ein Interesse daran haben sollten, dass die Nationalstaaten in ihrer bisherigen Formation, in ihrer bisherigen Gliederung erhalten bleiben, dass aber die Nationalstaaten ihren Regionen auch ein stärkeres Gewicht geben - nicht der Autonomie, der vollständigen Selbstständigkeit, das würde zu weit gehen, aber der Wahrnehmung mehr regionaler Rechte. Im Prinzip sollte es bei den vier Ebenen bleiben: die kommunale Ebene, die regionale, die nationale und die europäische, aber mit auch größeren Möglichkeiten für die Region dort, wo es gewünscht wird.“

Themawechsel. Herr Pöttering, Sie waren lange Jahre im Zentrum Europas politisch engagiert. In der Rückschau: Was waren aus Ihrer Sicht Ihre Erfolge, die Zeit, wo Sie sagen würden, das hat Europa mit geprägt und das hat Sie besonders beeindruckt?
„Das große Privileg, von der ersten Europawahl 1979 bis jetzt zu dieser letzten Europawahl formell bis zum 1. Juli 2014, also 35 Jahre, dem Europäischen Parlament anzugehören. Und im Übrigen, wenn ich das hinzufügen darf, als einziger. Wenn ich Europa von heute betrachte, in der rückwärtigen Schau von 1979, dann muss ich sagen, es ist ein Wunder, wie Europa heute aussieht. Wir sind hier bei Radio Vatikan, und ich möchte besonders die Rolle von Papst Johannes Paul II. hervorheben, der seinen polnischen Landsleuten in den 1980er Jahren zugerufen hat: „Habt keine Angst, verändert die Welt, verändert diese Welt“. Und Polen gehörte zum Warschauer Pakt, zur kommunistischen Welt. Dass Polen und andere Länder Mitteleuropas, Estland, Lettland, Litauen, die zur Sowjetunion gehörten, heute Mitglied der Wertegemeinschaft der Europäischen Union sind, ist für mich eine Entwicklung, die aus der Perspektive des Jahres 1979 wie eine Vision erschienen wäre, oder wenn wir das sagen wollen, wie ein Wunder. Deswegen möchte ich uns in der Europäischen Union ermutigen, dass wir, bei aller Demut, die wir natürlich haben müssen, politisch und auch als Christen, dass wir etwas selbstbewusster sind: Unsere Werte haben sich durchgesetzt - und nicht der Kommunismus. Der totalitäre Kommunismus mit dem Prinzip der Klasse ist, wie vorher auch der Nationalsozialismus mit dem Prinzip der Rasse, gescheitert. Die Organisierung der Menschen in einem totalitären Land ist gescheitert. Der Mensch als Person ist mit einer Würde behaftet - und das entspricht ja auch unserem christlichen Menschenbild: Jeder Mensch ist einzigartig als Person, hat Verantwortung für sich, Verantwortung für die Gemeinschaft. Wir haben unsere Werte, die Würde des Menschen, die Freiheit, die Demokratie, das Recht, der Frieden. Und das hat sich durchgesetzt. Und darauf sollten wir stolz, oder vielleicht anders, dafür sollten wir sehr dankbar sein. Nur darf uns das niemals selbstzufrieden machen. Die Menschen und Staaten und Staatenorganisationen bleiben immer gefährdet, und jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Und da Sie gefragt haben nach meinen eigenen Möglichkeiten: Ich unglaublich dankbar dafür, dass ich die Aufgaben im Europäischen Parlament wahrnehmen durfte, die ich wahrnehmen konnte, zum Beispiel auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten in den Jahren 1994 bis 1999. Ich konnte viel dafür tun, dass nicht nur Estland Mitglied der Europäischen Union wurde, sondern auch Lettland und Litauen. Dann die siebeneinhalb Jahre als Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion von 1999 bis 2007. Da konnte ich die Europäische Verfassung fördern, die dann am Ende der Vertrag von Lissabon wurde. Die Charta der Grundrechte, die ich als Präsident des Europäischen Parlamentes am 12. Dezember 2007 im Europäischen Parlament unterschreiben konnte, zusammen mit dem Kommissionspräsidenten und dem Ratspräsidenten. Oder auch die Berliner Erklärung vom 25. März 2007 in Erinnerung an die Römischen Verträge, was dann zum Vertrag von Lissabon führte. Die Öffnung der Grenzen kurz vor Weihnachten 2007 nach Polen und den anderen Mitteleuropäischen Staaten. Es war eine großartige, erfüllte Zeit für die europäische Einigung. Dass ich dieses mitbegleiten, zum Teil mitgestalten durfte, empfinde ich mit großer Dankbarkeit. Aber wir bleiben gefährdet: Und deswegen muss die Generation, die jetzt die Verantwortung hat, natürlich den Weg der Einigung weitergehen. Wir haben neue Herausforderungen mit der gemeinsamen europäischen Währung, mit der Rückführung von Defiziten, mit der Förderung von Wachstum, mit der Reform und Flexibilisierung unserer Wirtschaft, damit wir wettbewerbsfähig bleiben, mit der Sicherung unserer Grenzen, einer humanen, menschlichen Asyl- und Immigrationspolitik. Das alles sind neue Aufgaben, die die gegenwärtige politische Generation lösen muss. Und als Vorsitzender der Konrad Adenauer Stiftung bemühe ich mich so gut ich kann, diese Herausforderung mit zu begleiten.“

Sie haben ein Buch geschrieben, Herr Pöttering: „Zum Glück vereint“. Sind wir das, vereint?

„Die Formulierung des Buchtitels heißt, wir sind zu unserem Glück vereint. Das ist eine Formulierung der Berliner Erklärung, also einer gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Länder der Europäischen Union, der Kommission und des Parlamentes. Bundeskanzlerin Angela Merkel, in ihrer damaligen Eigenschaft als Präsidentin des Europäischen Rates, der Präsident der Kommission, José Manuel Durao Barroso, und ich als Präsident damals haben gemeinsam diese Erklärung unterschrieben. Ja, wir sind zu unserem Glück vereint. Aber es bleibt gefährdet, und wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt, dass wir vereint bleiben. Wenn jeder sich anstrengt, jeder die Interessen, die Überlegungen, die Überzeugungen, die Absichten des Partners in den Ländern der Europäischen Union, in den europäischen Institutionen anhört, reflektiert, dann, glaube ich, haben wir in einer unglaublich gefährdeten Welt als Europäer in der Europäischen Union eine gute Chance, durch dieses 21. Jahrhundert zu gehen. Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern wir müssen täglich weiterarbeiten. Und Europa entsteht ja nicht mit einem großen Knall oder wie eine reife Frucht, die vom Baum fällt, sondern Europa bedeutet das tägliche Bemühen um Details und Einzelheiten. Und daraus entsteht dann das Große.“

(rv 31.08.2014 ord)
Also quasi wären dieser konfrontativen Stimmungen eher lokal zuzuordnen, würden Sie sagen. Das hat nichts innereuropäisches, keine Sprengkraft?

„Ja, es ist schon eine Sprengkraft, weil das ja eine Wirkung hat, wenn Schottland sich aus dem vereinigten Königreich lösen sollte. Dann müssten ja Verhandlungen stattfinden, wenn Schottland Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden wollte mit der Europäischen Union. Und es würde alles sehr viel komplizierter, wenn die Nationalstaaten sich zum Teil auflösen in Regionen und nicht mehr das Band der Nationalität haben und die sich lösenden Regionen dann aber wieder Mitglied werden wollen in der Europäischen Union. Dann wird Europa sehr viel komplizierter noch als es heute ist. Und deswegen ist es meine sehr deutliche Meinung, dass wir ein Interesse daran haben sollten, dass die Nationalstaaten in ihrer bisherigen Formation, in ihrer bisherigen Gliederung erhalten bleiben, dass aber die Nationalstaaten ihren Regionen auch ein stärkeres Gewicht nicht der Autonomie geben, der vollständigen Selbstständigkeit, das würde zu weit gehen,. Aber der Wahrnehmung mehr regionaler Rechte, sodass es im prinzip dabei bleiben sollte, die kommunale Ebene zu haben, die regionale, die nationale und die europäische, aber mit auch größeren Möglichkeiten für die Region dort, wo es gewünscht wird.“

Themawechsel. Herr Pöttering, Sie waren lange, lange Jahre im Zentrum Europas politisch engagiert. In der Rückschau: Was würden Sie sagen, waren Ihre erfolge, die Zeit , wo Sie sagen würden, das hat Europa mit geprägt und das hat Sie besonders beeindruckt?

„Ja, das große Privileg von der ersten Europawahl im Jahr 1979 bis jetzt zu dieser letzten Europawahl formell bis zum 1. Juli 2014, also 35 Jahre dem Europäischen Parlament anzugehören, und im Übrigen, wenn ich das hinzufügen darf, als einziger, und wenn ich Europa von heute betrachte, in der rückwertigen Schau von 1979, dann muss ich sagen, ist es ein Wunder, wie Europa heute aussieht. Und wir sind hier bei Radio Vatikan und ich möchte besonders die Rolle von Papst Johannes Paul II. hervorheben, der seinen polnischen Landleuten in den 80er Jahren zugerufen hat: „Habt keine Angst, verändert die Welt, verändert diese Welt“. Und Polen gehörte zum Warschauer Pakt, zur kommunistischen Welt. Und dass Polen mit anderen Ländern Mitteleuropas, Estland, Lettland, Litauen, die zur Sowjetunion gehörten, heute Mitglied der Wertegemeinschaft der Europäischen Union sind oder Polen ist und die anderen Länder dazu sind, das ist für mich eine Entwicklung, die aus der Perspektive des Jahres 1979 wie eine Vision oder wenn wir sagen wollen, wie ein Wunder erschienen wäre. Und deswegen möchte ich uns in der Europäischen Union ermutigen, dass wir, bei aller Demut, die wir natürlich haben müssen, politisch und auch als Christen, dass wir etwas selbstbewusster sind: Unsere Werte haben sich durchgesetzt und nicht der Kommunismus. Der totalitäre Kommunismus mit dem Prinzip der klasse wie vorher auch der Nationalsozialismus mit dem Prinzip der Rasse sind gescheitert. Die Organisierung der Menschen in einem totalitären Land ist gescheitert. Der Mensch als Person ist mit einer Würde behaftet - und das entspricht ja auch unserem christlichen Menschenbild: Jeder Mensch ist einzigartig als Person, hat Verantwortung für sich, Verantwortung für die Gemeinschaft. Wir haben unsere Werte, die Würde des Menschen, die Freiheit, die Demokratie, das Recht, der Frieden. Und das hat sich durchgesetzt. Und darauf sollten wir stolz, oder vielleicht anders, dafür sollten wir sehr dankbar sein. Nur darf uns das niemals selbstzufrieden machen. Die Menschen und Staaten und Staatenorganisationen bleiben immer gefährdet und jede Generation hat ihre eigenen Herausforderungen. Und da sie gefragt haben nach meinen eigenen Möglichkeiten: Ich unglaublich dankbar dafür, dass ich die Aufgaben im Europäischen Parlament wahrnehmen durfte, die ich wahrnehmen konnte, zum Beispiel auch stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Christdemokraten in den Jahren 94 bis 99. Ich konnte sehr viel tun, dass nicht nur Estland Mitglied der Europäischen Union wurde, sondern Lettland und Litauen. Dann die siebeneinhalb Jahre als Fraktionsvorsitzender der größten Fraktion von 99 bis 2007. Ich konnte sehr fördern die europäische Verfassung, die dann am Ende der Vertrag von Lissabon wurde. Die Charta der Grundrechte, die ich unterschreiben konnte als Präsident des Europäischen Parlamentes am 12. Dezember 2007 im Europäischen Parlament zusammen mit dem Kommissionspräsidenten und dem Ratspräsidenten. Oder auch die Berliner Erklärung vom 25. März 2007 in Erinnerung an die römischen Verträge, was dann zum Vertrag von Lissabon führte. Die Öffnung der Grenzen kurz vor Weihnachten 2007 nach Polen und den anderen Mitteleuropäischen Staaten. Und es war eine großartige, erfüllte Zeit für die europäische Einigung und dass ich dieses mitbegleiten, zum Teil mitgestalten durfte, empfinde ich mit großer Dankbarkeit. Aber wir bleiben gefährdet: Und deswegen muss die Generation, die jetzt die Verantwortung hat, natürlich den Weg der Einigung weitergehen. Wir haben neue Herausforderungen mit der gemeinsamen europäischen Währung, mit der Rückführung von Defiziten, mit der Förderung von Wachstum, mit der Reform und Flexibilisierung unserer Wirtschaft, damit wir wettbewerbsfähig bleiben, mit der Sicherung unserer Grenzen, einer humanen, menschlichen Asyl- und Immigrationspolitik. Das alles sind neue Aufgaben, die die gegenwärtige politische Generation lösen muss. Und als Vorsitzender der Konrad Adenauer Stiftung bemühe ich mich, so gut ich kann, diese Herausforderung mit zu begleiten.“

Sie haben ein Buch geschrieben, Herr Pöttering: „Zum Glück vereint“. Sind wir das, vereint?

„Die Formulierung des Buchtitels heißt, wir sind zu unserem Glück vereint. Das ist eine Formulierung der Berliner Erklärung, also einer gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Länder der Europäischen Union, der Kommission und des Parlamentes. Bundeskanzlerin Angela Merkel, in ihrer damaligen Eigenschaft als Präsidentin des Europäischen Rates, der Präsident der Kommission, José Manuel Durao Barroso, und ich als Präsident damals haben gemeinsam diese Erklärung unterschrieben. Ja, wir sind zu unserem Glück vereint. Aber es bleibt gefährdet und wir müssen unseren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt, dass wir vereint bleiben. Und, wenn jeder sich anstrengt, jeder die Interessen, die Überlegungen, die Überzeugungen, die Absichten des Partners in den Ländern der Europäischen Union, in den europäischen Institutionen anhört, reflektiert, dann, glaube ich, haben wir in einer unglaublich gefährdeten Welt als Europäer in der Europäischen Union eine gute Chance, durch dieses 21. Jahrhundert zu gehen. Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen, sondern wir müssen täglich weiterarbeiten. Und Europa entsteht ja nicht mit einem großen Knall, wie eine reife Frucht, die vom Baum fällt, sondern Europa bedeutet, dass tägliche Bemühen um Details und Einzelheiten und daraus entsteht dann das Große.“

(rv 31.08.2014 ord)








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