Österreich/Brasilien: Theologen über Machtmissbrauch in der Kirche
Zum möglichen Beitrag der Theologie für die Überwindung von Machtmissbrauch in Kirche
und Gesellschaft haben in den vergangenen drei Jahren die Mitglieder eines weltweiten
Netzwerks für katholische Theologie geforscht. Beim jüngsten Forschungskongress des
„International Network of Societies for Catholic Theology (INSeCT)“ in Brasilien präsentierten
führende Theologen aus allen Kontinenten nun die Ergebnisse. Die Delegierten aus 21
Ländern wählten im Rahmen der Konferenz den aktuellen Tiroler Serviten-Provinzial
Martin Lintner für die kommenden drei Jahre zum neuen Präsidenten ihrer Vereinigung.
Für die „Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie“ nahm zudem der Ethiker
Gunter Prüller-Jagenteufel von der Universität Wien teil.
Papst Franziskus
ermutige die Katholiken, „bequeme Rückzugsorte zu verlassen und eine Kirche zu werden,
die zu allen Menschen geht - ohne jede Ausnahme“, sagte der scheidende Präsident des
internationalen Netzwerks, der Ire Eamonn Conway, bei der Tagung von 16. bis 20. Juli
in Belo Horizonte. Insbesondere das Papstschreiben „Evangelii Gaudium“ biete Theologen
einen „zeitgemäßen und herausfordernden Bezugspunkt“ für ihre Überlegungen zur Überwindung
von Machtmissbrauch in Kirche und Gesellschaft, so Conway. Der Ansatz finde in vielen
Ländern der Welt Beachtung, wo sich Theologen „dafür einsetzen, die Wunden der Vergangenheit
zu heilen und die Freude am Evangelium wiederzuentdecken“.
Spannungsfeld
für Theologen Hauptreferenten des Kongresses waren der aus Österreich stammende
Untersekretär der vatikanischen Bildungskongregation, P. Friedrich Bechina, und der
Sekretär der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz für Gerechtigkeit und Solidarität,
der Columbanermissionar Peter Hughes.
Bechina hob dabei die Bedeutung der weltweit
rund 700 Fakultäten, Hochschulen und Institute hervor, die auf den Gebieten der Theologie,
Philosophie und der Bibelwissenschaften arbeiten. Sie leisteten mit ihrer Forschung
und Lehre einen wesentlich Beitrag zur Gesellschaft und zur Mission der Kirche, betonte
der vatikanische Bildungsexperte.
Nicht vermeiden lasse sich dabei eine gewisse
Spannung zwischen der notwendigen Verwurzelung der Hochschulen in der Kirche sowie
ihrer Verantwortung für den Glauben und der Suche nach neuen Antworten im Blick auf
die Herausforderungen der Gegenwart, so Bechina. „Diese Spannung muss bestehen, wenn
die reiche Tradition und Weisheit des Evangeliums und der katholischen Tradition für
die Gegenwart fruchtbar werden soll.“
Auf die konkrete Situation in der brasilianischen
Amazonas-Region, wo durch Bergbau, Abholzungen und große Staudamm-Projekte die Rechte
der Indigenen verletzt und der Regenwald zerstört wird, ging CELAM-Sekretär Hughes
ein. Er stellte bei dem Kongress ein neues Konzept von kirchlicher Mission vor, das
auf die ökologische und soziale Katastrophe antworten soll. „Jede und jeder von uns
hat Verantwortung zu übernehmen, sei es durch den Kampf gegen die Mega-Bauprojekte,
sei es durch den Einsatz für die Menschenrechte der Bevölkerung Amazoniens oder auch
einfach durch verantwortlichen Konsum von Energie und Rohstoffen“, sage Hughes.
Rolle
von Frauen im Fokus Thema des nächsten INSeCT-Kongresses, der 2017 in Westafrika
stattfinden soll, werden neue theologische Ansätze zur Rolle der Frauen in Kirche
und Gesellschaft sein. In den kommenden drei Jahren werden die im „Netzwerk Katholisch-Theologischer
Gesellschaften“ zusammengeschlossenen Theologen in verschiedenen Kooperationen Forschungsprojekte
durchführen und Tagungen abhalten, die zur Verbesserung der Situation der Frauen in
der modernen Welt beitragen sollen.
Das Theologen-Netzwerk greift damit eine
entsprechende Anregung aus „Evangelii Gaudium“ auf. Unter aktuellen globalen Herausforderungen
wie Armut, Umweltzerstörung, Gewalt und Krieg sowie Menschenrechtsverletzungen aufgrund
von Ethnie, Religion und Geschlecht hätten stets Frauen am meisten zu leiden, wurde
bei der Tagung in Brasilien betont. Gleichzeitig würden die Stimmen von Frauen zu
diesen Themen am wenigsten gehört, eine Diskriminierung die überwunden werden müsse.
Das
„International Network of Societies for Catholic Theology (INSeCT)“ ist ein weltweiter
Zusammenschluss von 35 Gesellschaften für Katholische Theologie. Gegründet wurde das
Netzwerk insbesondere zur Unterstützung der Katholischen Theologie im globalen Süden
1996 durch den deutschen Dogmatikprofessor Peter Hünermann. Der Südtiroler Martin
Lintner ist der zweite Präsident aus dem deutschen Sprachraum.