2014-07-27 16:49:26

Papst zu den Priestern Casertas: Einheit, Volksfrömmigkeit und Glaube


Vor der Messe in Caserta hat Papst Franziskus am Samstagnachmittag die Priester der süditalienischen Diözese getroffen. Es war ein intensiver Dialog in familiärer Atmosphäre in der Palatinkapelle des Königsschlosses von Caserta, der „Reggia“. Franziskus antwortete wie immer frei, die Priester durften ebenso freie Fragen an ihn richten. Hier eine Arbeitsübersetzung.


Bischof D´Alise, Bischof von Caserta:

„Heiliger Vater, ich habe nichts Schriftliches vorbereitet, weil ich wusste, dass Sie ein persönliches und tiefes Gespräch mit Priestern wünschen. Ich sage Ihnen einfach: herzlich willkommen! Das ist unsere Kirche mit unseren Priestern, wir werden danach die weiteren Teile der Kirche sehen und die Eucharistie feiern. Dieser Augenblick ist sehr wichtig für mich: seit zwei Monaten bin ich hier, und mein Bischofsamt mit Ihrer Anwesenheit und Ihrem Segen zu beginnen, ist eine Gnade in der Gnade. Und nun erwarten wir Ihr Wort. Da die Priester wissen, dass Sie sich ein Gespräch wünschen, haben sie Fragen für Sie vorbereitet.“


Papst Franziskus:

„Ich habe eine Rede vorbereitet, aber ich überreiche sie dem Bischof. Vielen Dank für die Gastfreundschaft. Danke. Ich freue mich sehr hier zu sein und fühle mich ein wenig schuldig, weil ich euch so viel Aufwand an eurem Patronatsfest verursacht habe. Mir war das nicht klar.

Als ich den Bischof anrief, um ihm zu sagen, dass ich zu einem privaten Besuch bei einem Freund hier, dem Pastor Traettino, vorbeikommen möchte, sagte er mir: ,Ach, gerade am Feiertag der Stadtheiligen!' Und ich dachte sofort, dann wird in den Zeitungen stehen: Zum katholischen Patronatsfest von Caserta besucht der Papst die Protestanten! Eine schöne Schlagzeile, stimmt´s? Und so haben wir die Dinge in Ordnung gebracht, das ging zwar ein bisschen schnell, aber euer Bischof hat mir da sehr geholfen, ebenso wie die Mitarbeiter im vatikanischen Staatssekretariat. Als ich den Substituten anrief, sagte ich ihm: ,Bitte nimm mir den Galgenstrick vom Hals.´ Und das hat er sehr gut gemacht.

Ich bedanke mich für eure Fragen und schlage vor, dass wir gleich beginnen. Wir schauen, ob wir zwei oder drei Fragen zusammen beantworten oder jeweils nach jeder Frage antworten.“

Erste Frage: Die Einheit unter den Bischöfen

„Heiliger Vater, herzlichen Dank! Ich bin Generalvikar in Caserta und heiße Don Pasquariello. Meine Frage lautet folgendermaßen: Das Gute, das Sie der katholischen Kirche bringen mit Ihren täglichen Morgenpredigten, den offiziellen Dokumenten, besonders Evangelii Gaudium, zielen vor allem auf die spirituelle, innere, persönliche Bekehrung. Das ist eine Reform, die meiner unmaßgeblichen Meinung nach ausschließlich die Bereiche der Theologie, der Bibelauslegung und der Philosophie betrifft. Über diese persönliche Bekehrung hinaus, die grundlegend für das Seelenheil ist, würde ich persönlich einige Eingriffe von Ihnen, Heiliger Vater, für hilfreich halten, die das Volk Gottes mehr miteinbeziehen, gerade weil es das Volk ist. Ich möchte präziser sein: Unsere Diözese hat seit 900 Jahren absurde Grenzen: die Gebiete einiger Dorfgemeinden sind auf zwei Bistümer aufgeteilt, zur Hälfte geteilt mit Capua und Acerra. So gehört das Umfeld des Bahnhofs von Caserta zum Bistum Capua, obwohl es wenige Meter vom Sitz der Stadtverwaltung liegt. Deshalb, lieber Heiliger Vater, bitte ich Sie um einen lösenden Eingriff, damit unsere Pfarrgemeinden nicht mehr wegen der sinnlosen Hin- und Herfahrerei leiden und die pastorale Einheit unserer Gläubigen nicht länger herausgefordert wird.
Sie haben in Evangelii Gaudium geschrieben, dass solche Fragen von Bischöfen geregelt werden. Aber im Staatssekretariat sagte man uns einst vor 47 Jahren: „Stimmt euch mit den Bischöfen ab, und wir werden das unterschreiben.“ Das ist wunderbar. Aber wann werden sich die Bischöfe denn einigen?


Papst Franziskus:

„Kirchenhistoriker sagen, bei den ersten Konzilien hätten sich Bischöfe sogar mit Fäusten traktiert, am Schluss aber geeinigt. Es ist nicht schön, wenn ein Bischof schlecht über einen anderen Bischof spricht oder wenn sie Seilschaften bilden. Ich rede hier nicht von Einheit im Denken oder Einheit im Geist, was ja etwas Gutes ist, sondern ich meine wirklich Seilschaften im negativen Wortsinn. Die sind hässlich, weil so die Einheit der Kirche geradezu zerstört wird. Das kommt nicht von Gott.

Und wir Bischöfe müssen ein Beispiel der Einheit geben, so wie Jesus sie beim Vater für die Kirche erbeten hat. Man kann nicht über andere schlecht sprechen: „Und der macht dieses, und der macht jenes.“ Nein, geh zu der Person hin und sag es ihr ins Gesicht! Unsere Vorfahren stritten sich handfest bei den ersten Konzilien, und ich habe es lieber, dass man sich anschreit und sich dann wieder umarmt und nicht hinter dem Rücken weiter schlecht übereinander spricht. Das sehe ich als Grundregel an: In der Einheit der Kirche ist die Einheit unter den Bischöfen wichtig. Sie haben einen Weg nachgezeichnet, den der Herr für die Kirche vorgesehen hat. Und die Einheit unter den Bischöfen fördert auch die Suche nach Konsens.

In einem Land – das ist jetzt nicht Italien – gibt es eine Diözese, die neue Grenzen bekommen hat, aber weil man sich nicht einigen konnte, wo der Domschatz aufbewahrt werden soll, gibt es seit über 40 Jahren Gerichtsprozesse. Nur wegen dem Geld: Das ist nicht zu verstehen! Da feiert aber der Teufel! Er ist der Gewinner in einer solchen Situation.

Es ist schön, wenn Sie sagen, dass die Bischöfe immer einen Konsens finden können: einen Konsens in der Einheit allerdings, nicht in der Gleichheit. Jeder hat sein Charisma, jeder denkt anders und sieht die Dinge anders. Diese verschiedenen Sichtweisen sind manchmal Frucht des Irrtums, oft aber auch unmittelbar Frucht des Heiligen Geistes.

Der Heilige Geist wollte ja, dass es in der Kirche diese Vielfalt an Charismen gibt. Derselbe Heilige Geist fördert die Verschiedenheit, sorgt aber auch für Einheit; eine Einheit, in der jeder verschieden ist, ohne dass jemand seine Persönlichkeit aufgeben müsste. Ich hoffe also, dass es in Ihrem Bistum so weiter geht, wie Sie es geschildert haben. Wir alle sind doch gute Menschen, sind getauft und haben in uns den Heiligen Geist, der uns hilft, voranzuschreiten.“

Zweite Frage: Die Volksfrömmigkeit

„Ich bin Pater Angelo Piscopo, Pfarrer der Gemeinde des Heiligen Apostels Petrus und Kathedra Petri. Meine Frage lautet: Heiliger Vater, in der Apostolischen Exhortation Evangelii Gaudium laden Sie uns dazu ein, die Volksfrömmigkeit zu fördern und zu stärken, die ein wichtiger Schatz der katholischen Kirche ist. Gleichzeitig aber haben Sie auf die Gefahren hingewiesen – die es leider in der Tat auch gibt – und zwar die Verbreitung eines individualistischen und sentimentalen Christentums, das mehr auf althergebrachte Formen als auf die Offenbarung achtet und keine Auswirkungen auf das soziale Leben hat. Was können Sie uns da raten für eine Seelsorge, die die Vorrangstellung des Evangeliums wieder mehr betont, ohne die Volksfrömmigkeit zu vernachlässigen? Danke, Heiliger Vater.“


Papst Franziskus:

„Man hört, wir leben in einer Zeit, in der die Religiosität unwichtig geworden ist, aber ich glaube das nicht so ganz. Es gibt ja diese Strömungen, diese Schulen persönlicher Religiosität sozusagen, nach der Art der Gnostiker, deren Seelsorge vorchristlichen Gebeten ähnelt, vor-biblischen Gebeten, ein gnostisches Gebet, und der Gnostizismus ist in die Kirche gelangt mit jenen Gruppen persönlicher Frömmigkeit. Ich nenne das ,Intimismus´. Diese Strömung tut uns nicht gut.

Man fühlt sich dabei ruhig und ganz von Gott erfüllt. Das ist ein wenig wie New Age, auch wenn es nicht dasselbe ist. Es gibt da zwar Religiosität, aber eine heidnische oder gar häretische Religiosität, würde ich sagen. Wir brauchen uns nicht davor zu scheuen, diesen Begriff auszusprechen, da die Gnostik eine Häresie ist, die erste in der Kirchengeschichte.

Wenn ich von Religiosität spreche, dann spreche ich von jenem Schatz der Frömmigkeit, der so viele Werte beinhaltet und die der große Paul VI. in Evangelii Nuntiandi beschrieb. Stellt euch vor: Das Dokument von Aparecida, das bei der 5. Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe erarbeitet wurde, hat, um die Inhalte zusammenzufassen, auf ein 40 Jahre altes Dokument zurückgreifen müssen und eine Stelle aus Evangelii Nuntiandi zitiert, das unübertroffene Dokument der Nachkonzilszeit. Es ist von unerhörter Aktualität. Paul VI. beschrieb darin die Volksfrömmigkeit und hielt fest, sie müsse manchmal auch evangelisiert werden. Das stimmt, denn wie bei jeder Frömmigkeit besteht das Risiko, dass sie ein wenig hierhin und dorthin geht und keinen starken Glauben mehr vertritt. Doch die Barmherzigkeit der Menschen kommt in ihre Herzen durch die Taufe und dies ist eine große Antriebskraft, deshalb kann das Volk Gottes in seiner Gesamtheit nicht irren und ist unfehlbar im Glauben, wie es in Lumen Gentium, Nummer 12 heißt.

Die wahre Volksfrömmigkeit entsteht aus dem sensus fidei, wie es im Konzilsdokument heißt, und leitet an in der Verehrung der Heiligen, der Muttergottes, auch mit volkstümlichen Ausdrucksweisen im guten Sinn. Deshalb ist die Volksfrömmigkeit so tief verwurzelt. Es kann keine aseptische Volksfrömmigkeit aus dem Labor sein. Sie geht immer von unserem Leben aus. Es kann zu kleinen Fehlern klommen, da müssen wir achtgeben, doch die Volksfrömmigkeit ist ein Instrument der Evangelisierung.

Denken wir an die Jugend von heute. Meine Erfahrung, die ich in der anderen Diözese gemacht habe, war die, dass die Jugend und die Jugendbewegungen in Buenos Aires nicht funktionierten. Weshalb? Weil man ihnen sagte, treffen wir uns zum Reden, und am Schluss langweilten sich die Jugendlichen. Doch als die Pfarrer sie in kleine Missionsarbeiten einbanden, Missionierungen während der Schulferien, Katechese für Bedürftige oder in entlegenen Dörfern, die keinen Pfarrer haben, dann machten sie mit. Die Jugendlichen wollen diesen missionarischen Geltungsdrang und lernen dabei eine Form von Frömmigkeit, die man als Volksfrömmigkeit bezeichnen kann: das Jugendapostolat ist eine Art Volksfrömmigkeit.

Die Volksfrömmigkeit ist aktiv, sie ist - sagte Paul VI. - ein tiefer Sinn für den Glauben, den nur die Einfachen und Bescheidenen imstande sind zu haben.
Und das ist doch großartig! In den Wallfahrtsorten etwa, da sieht man Wunder! Jeden 27. Juli ging ich zum Heiligtum des Heiligen Pantaleo in Buenos Aires und nahm am Vormittag die Beichte ab. Und jedes Mal kam ich erneuert zurück und beschämt von der Heiligkeit, die ich in den einfachen Leuten fand, die sündhaft, aber heilig sind, weil sie ihre Sünden bekannten und dann erzählten, wie sie lebten, wie es sich mit jenem Sohn, jener Tochter verhielt, und wie sie Kranke besuchten. Diese Leute atmeten einen Sinn für das Evangelium. In den Wallfahrtsorten gibt es diese Dinge. Die Beichtstühle der Wallfahrtsorte sind Orte der Erneuerung für uns Priester und Bischöfe; sie sind ein Kurs spiritueller Auffrischung, weil sie die Berührung mit der Volksfrömmigkeit haben. Wenn die Gläubigen zur Beichte kommen, erzählen sie dir ihr Elend, aber du siehst hinter diesem Elend die Gnade Gottes, der sie zu diesem Moment führt. Dieser Kontakt mit dem Volk Gottes, das betet und pilgert, das seinen Glauben in dieser Form der Frömmigkeit zeigt, hilft uns sehr in unserem priesterlichen Leben.




Dritte Frage: Identitätskrise der Priester

„Erlauben Sie mir, dass ich Sie Pater Franziskus nennen darf, weil Vaterschaft auch Heiligkeit beinhaltet, wenn sie authentisch ist. Als ehemaliger Schüler der Jesuiten verdanke ich diesem Orden meine kulturelle und priesterliche Bildung. Ich möchte zunächst einen persönlichen Eindruck schildern und Sie dann etwas fragen. Der Steckbrief des Priesters im dritten Jahrtausend: menschlich und spirituell im Gleichgewicht; missionarisches Bewusstsein; offen für den Dialog mit den anderen Bekenntnissen, religiös oder nicht. Warum ich das sage? Sie haben sicherlich eine kopernikanische Wende herbeigeführt durch Redeweise, Lebensstil, Auftreten und Zeugnis zu großen Fragen der Welt, auch von Atheisten und Fernstehenden. Meine Frage dazu: wie kommt es, dass eine Kirche, die wachsen möchte, so oft dieser Gesellschaft hinterherhinkt, die dynamisch, konfliktreich und weit entfernt von den christlichen Werten ist? Wir sind eine oft verspätete Kirche. Ihre linguistische, semantische, kulturelle und evangelische Revolution verursacht bei uns Priestern eine echte Existenzkrise. Welche fantasievollen und kreativen Wege empfehlen Sie uns, um diese Krise in uns zu überwinden oder wenigstens zu mildern? Danke.“


Papst Franziskus:

„Nun, wie ist es möglich, dass die wachsende und sich entwickelnde Kirche vorwärts geht? Sie haben einiges genannt: Ausgleich, Dialog… Wie ist es möglich, vorwärts zu gehen? Sie haben ein Wort benutzt, das mir sehr gefällt: es ist ein göttliches Wort; wenn es menschlich ist, dann deshalb, weil es eine Gabe Gottes ist: Kreativität. Das war ein Gottesgebot an Adam: Geh und lasse die Erde wachsen. Sei kreativ. Das hat Jesus auch seinen Jüngern geboten, durch den Heiligen Geist, wir sehen das beispielsweise in der Urkirche im Verhältnis zum Judentum: Paulus war sehr kreativ. Petrus hatte einmal Angst, als er zu Cornelius ging, weil der etwas Neues machte. Aber trotzdem ging Petrus hin. Kreativität ist das Stichwort.

Und wie kann man diese Kreativität finden? Allen voran – und das ist die Voraussetzung, wenn wir im Geist kreativ sein wollen, im Geist unseren Herrn Jesus Christus – gibt es keinen anderen Weg als das Gebet. Ein Bischof, der nicht betet, ein Priester, der nicht betet, hat die Tür schon verschlossen, hat den Weg der Kreativität bereits verbaut. Gerade im Gebet, wenn der Heilige Geist dich etwas spüren lässt, kommt noch der Teufel hinzu und lässt dich etwas anderes spüren; doch im Gebet finden wir die Voraussetzung, um vorwärts zu gehen. Das gilt auch dann, wenn einem das Gebet langweilig vorkommt. Das Gebet ist sehr wichtig. Und ich meine nicht nur die vorgegebenen Gebete, ich denke auch an die Liturgie der Messe, die ruhig und mit Demut gefeiert wird, oder an das persönliche Gebet mit dem Herrn.

Wer nicht betet, kann gewiss ein guter Unternehmer der Seelsorge und Spiritualität sein, aber die Kirche ohne Gebet wird zu einer Hilfsorganisation und hat nicht die Salbung durch den Heiligen Geist. Das Gebet ist der erste Schritt, weil es eine Öffnung zum Herrn ist, um sich den Mitmenschen zu öffnen. Und der Herr selber sagt: Mach dies, mach jenes… und daraus entsteht Kreativität, die vielen Heiligen schwer fiel.

Denken wir an den Seligen Antonio Rosmini, der Die fünf Plagen der Kirche geschrieben hat. Er war ein sehr kreativer Kritiker, gerade weil er viel betete. Er schrieb das, was ihn der Heilige Geist spüren ließ, und aus diesem Grund musste er ins geistliche Gefängnis gehen, also sozusagen zu seinem Haus: Er konnte nicht mehr sprechen, lehren oder schreiben, seine Schriften standen auf dem Index. Heute ist er ein Seliger! Oft bringt dich die Kreativität ans Kreuz. Wenn sie aber aus dem Gebet kommt, trägt sie Frucht. Nicht die gewissermaßen formlose und revolutionäre Kreativität, heute ist es ja Mode, den Revolutionär zu geben, nein, das kommt nicht vom Heiligen Geist. Wenn aber die Kreativität vom Heiligen Geist kommt und im Gebet entsteht, kann sie dir Schwierigkeiten bringen.

Die Kreativität, die durch das Gebet kommt, hat eine anthropologische Dimension der Transzendenz, weil wir uns durch das Gebet der Transzendenz Gottes öffnen. Aber es gibt auch eine andere Transzendenz: sich dem anderen, dem Nächsten öffnen. Wir sollen keine in sich verschlossene Kirche sein, die auf den eigenen Bauchnabel schaut, eine autoreferentielle Kirche, die nur sich selber betrachtet und nicht in der Lage ist, sich zu öffnen. Wichtig ist eine doppelte Transzendenz: zu Gott und zum Nächsten hin. Aus sich hinauszugehen ist kein Abenteuer, sondern ein Weg, den Gott den Menschen, dem Volk von Anfang an gewiesen hat, als er Abraham sagte: Geh aus deinem Land hinaus. Aus sich herausgehen. Und wenn ich aus mir herausgehe, treffe ich Gott und die anderen. Wie treffe ich die anderen? Von weitem oder von nah? Man muss sie von nah treffen. Nähe. Kreativität, Transzendenz und Nähe. Nähe ist ein Schlüsselwort. Nahe sein und vor nichts erschrecken, denn der Mensch Gottes erschrickt nicht.

Paulus selber hatte keine Furcht, als er so viele Götterabbildungen in Athen sah und sagte den Menschen: ihr seid religiös, ihr habt so viele Götter… aber ich spreche von einem anderem. Er hatte keine Angst, sich ihnen zu nähern und sogar ihre Dichter zu zitieren: wie sagten eure Dichter? Er stand der Kultur nahe, aber auch den Menschen und ihren Gedanken, ihren Leiden und Gefühlen. Oft ist diese Nähe ein Akt der Buße, weil wir mitunter lästige oder verletzende Dinge zu hören bekommen.

Vor zwei Jahren erzählte mir ein Priester, der in Argentinien als Missionar tätig war – er stammte aus Buenos Aires und ging in den Süden, wo es seit Jahren keinen Priester gab und an ihrer Stelle Evangelikale gekommen waren –, dass er zu einer Frau ging, die Lehrerin war und später Schulleiterin im Dorf. Diese Frau hieß ihn Platz nehmen und begann ihn zu beleidigen, nicht mit Schimpfwörtern, aber sehr hart. ,Ihr habt uns allein gelassen, ich brauche das Wort Gottes und musste zu einem Protestanten hingehen, und deshalb wurde ich selber Protestantin´, sagte sie. Dieser junge Priester, der sehr ruhig ist und auch einer, der betet, sagte nach dem Zornausbruch der Frau zu ihr: ,Nur ein Wort: Vergebung. Vergib uns, vergib uns. Wir haben die Herde allein gelassen.´ Und die Frau änderte ihre Tonlage. Sie blieb Protestantin, aber der Priester sprach nicht darüber, welche Konfession die richtige sei. In jenem Augenblick ging es auch gar nicht darum. Aber am Schluss lächelte die Frau und sagte: ,Pater, möchten Sie einen Kaffee?´ - ,Ja, nehmen wir gemeinsam einen Kaffee.´ Als dann der Priester wegging, sagte sie: ,Warten Sie, Pater.´ Im Schlafzimmer öffnete sie den Schrank und zeigte ihm ein Madonnenbild. ,Sie müssen wissen, dass sie mich nie im Stich gelassen hat. Ich habe dieses Bild vor dem protestantischen Pastor versteckt, aber hier im Haus ist sie nun mal da.´ Diese Anekdote lehrt uns, dass die Nähe, die Sanftmut dazu geführt hat, dass diese Frau wieder mit der Kirche versöhnt ist, denn sie fühlte sich von der Kirche verlassen. Und ich stellte ihm eine Frage, die man niemals stellen soll: Wie ist es ausgegangen? Der Priester unterbrach mich und sagte: ,Ach, ich fragte nicht weiter: Sie besucht weiterhin die protestantische Kirche, aber man sieht, dass sie eine Frau ist, die betet, und dann macht der Herr, was er will.´ Er ging nicht weiter und hat sie nicht eingeladen, wieder der katholischen Kirche beizutreten. Das ist diese umsichtige Nähe, die weiß, wo die Grenzen liegen.

Aber Nähe bedeutet auch Dialog; man muss dazu Ecclesiam Suam lesen [die erste Enzyklika Papst Pauls VI.], in der das Lehramt über den Dialog spricht, was andere Päpsten aufgegriffen haben. Der Dialog ist sehr wichtig, aber um miteinander zu sprechen, braucht es zwei Voraussetzungen: Ausgangspunkt ist die eigene Identität, und dann die Empathie gegenüber den anderen. Wenn ich meiner Identität nicht sicher bin und einen Dialog aufnehme, riskiere ich, meinen Glauben einzutauschen. Man kann nicht in einen Dialog treten, ohne zuerst von der eigenen Identität auszugehen.

Auch die Empathie gehört dazu, also keine Vorverurteilungen machen. Jeder Mann, jede Frau hat etwas Persönliches weiter zu geben; jeder Mann, jede Frau hat eine eigene Geschichte, eine eigene Situation, und wir müssen ihnen zuhören. Danach wird uns die Wachsamkeit des Heiligen Geistes aufzeigen, was wir antworten sollen.

Dialog bedeutet nicht Rechtfertigung zu betreiben, auch wenn man das manchmal tun muss, weil uns Fragen gestellt werden, die eine Erklärung brauchen. Der Dialog ist etwas Menschliches. Es sind die Herzen, die Seelen, die den Dialog führen, und das ist wichtig! Das heißt, keine Angst vor dem Dialog mit anderen zu haben. Man sagt über einen Heiligen scherzhaft – vielleicht Philipp Neri, aber ich erinnere mich nicht genau – dass er auch mit dem Teufel in einen Dialog treten konnte. Weshalb? Weil er die Freiheit besaß, allen zuzuhören, aber immer ausgehend von der eigenen Identität. Er war so selbstsicher, aber sich sicher zu fühlen, bedeutet nicht, Proselytismus betreiben. Der Proselytismus ist eine Falle, auch Jesus verurteilt ihn, als er den Pharisäern und Sadduzäern sagte: „Ihr, die um die Welt geht, um einen Proselyten zu suchen …“ Das ist eine Falle. Papst Benedikt hat eine so schöne Bezeichnung, die er in Aparecida benutzte und ich glaube auch zu anderen Anlässen wiederholte: Die Kirche wächst nicht durch Proselytismus, sondern durch Anziehung. Und was ist das für eine Anziehung? Das ist diese menschliche Empathie, die vom Heiligen Geist gelenkt wird.

Und wie sieht das Profil des Priesters in diesem säkularisierten Jahrhundert aus? Er ist ein kreativer Mann, der die Gebote Gottes befolgt – „er schafft die Dinge“ – ein Mann der Transzendenz, sowohl mit Gott im Gebet als auch mit den Mitmenschen, und das immer; ein Mann der Nähe, der sich den Menschen nähert. Menschen wegschicken ist nicht priesterlich, und die Menschen sind einer solchen Haltung manchmal überdrüssig, trotzdem kommen sie zu uns. Aber wer die Menschen annimmt und bei ihnen ist, mit ihnen spricht, tut das, weil er sich seiner Identität sicher ist. Seine Identität bringt den Priester dazu, das Herz zum Mitgefühl zu öffnen. Das ist, was ich zu Ihrer Frage sagen kann.“

Vierte Frage: Glaubenszeugnis

Verehrter Heiliger Vater, meine Frage betrifft den Ort, wo wir leben: die Diözese, mit unseren Bischöfen, die Beziehungen zu unseren Brüdern. Und ich frage Sie: dieser historische Augenblick, den wir erleben, hat Erwartungen an uns Geistliche und zwar, dass wir ein klares Zeugnis bekennen, das auch offen und freudig ist – wozu Sie selber uns eingeladen haben – und dies gegenüber der Neuheit des Heiligen Geistes. Ich frage Sie: Was könnte Ihrer Meinung nach das Spezifische, das Fundament der Spiritualität eines Diözesanpriesters sein? Ich meine einmal gelesen zu haben, Sie hätten gesagt: Der Priester ist kein Kontemplativer. Das war früher anders. Nun, können Sie uns etwas mitgeben, was zu Wiedergeburt und Wachstum unserer Diözese beitragen könnte. Und mich persönlich interessiert es, wie wir heute den Menschen gegenüber, weniger Gott gegenüber, treu sein können.

Papst Franziskus:

„Sie haben von der ,Neuheit des Heiligen Geistes´ gesprochen. Das stimmt. Aber Gott ist der Gott der Überraschungen, er überrascht uns immer, immer, immer. Lesen wir das Evangelium und wir finden eine Überraschung nach der anderen. Jesus überrascht uns, weil er immer vor uns kommt: er wartet auf uns, liebt uns vor uns, wenn wir ihn suchen, ist er schon auf der Suche nach uns. Wie die Propheten Jesaja und Jeremias sagten, aber ich kann das jetzt nicht wortwörtlich zitieren: Gott ist wie die Mandelblüte. Sie blüht als erste im Frühling. So ist auch Jesus der erste, der aber auf uns wartet. Das ist die Überraschung. Oft suchen wir Gott hier, doch Er erwartet uns dort drüben.

Und dann zur Spiritualität der Diözesanpriester: der kontemplative Priester, aber nicht einer der in der Klausur lebt, so meine ich das nicht. Nun, der Priester muss insofern kontemplativ sein, indem er dies sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber den Menschen ist. Er ist ein Mann, der seine Augen und sein Herz mit dieser Kontemplation füllt und immer mit der Frohen Botschaft vor Gott und die menschlichen Probleme vor den Menschen stellend. In diesem Sinne muss er kontemplativ sein. Wir sollen das nicht verwechseln: ein Mönch ist etwas anderes.

Aber wo befindet sich das spirituelle Zentrum des Diözesanpriesters? Ich würde sagen in der Bezogenheit zum Bistum. Er muss offen sein für die Diözese. Die Spiritualität eines Ordensmannes zum Beispiel besteht darin, für Gott und den anderen in der Gemeinschaft offen zu sein. Das gilt für kleinere und auch für große Kongregationen. Doch die Spiritualität des Diözesanpriesters ist die Öffnung gegenüber dem Bistum. Und ihr Ordensleute, die in den Pfarrgemeinden arbeitet, müsst zwei Dinge tun, die die Bischofskongregation und die Ordenskongregation in einer Überarbeitung von Mutuae relationes [dem Grundlagendokument zu den Beziehungen zwischen Orden und Bistümern] behandeln, da der Ordensmann zu den beiden Dikasterien gehört.

Doch kehren zurück zur Bedeutung des Bistums: was heißt das? Es bedeutet, eine Beziehung mit dem Bischof pflegen und im Austausch mit anderen Priestern zu sein. Die Beziehung zum Bischof ist wichtig und notwendig. Ein Diözesanpriester kann nicht vom Bischof getrennt sein. ,Aber der Bischof mag mich nicht, der Bischof hier, der Bischof da…´ Ein Bischof kann vielleicht einen negativen Charakter haben, aber er ist und bleibt dein Bischof. Und du musst auch in jener nicht positiven Haltung einen Weg finden, um mit ihm in Kontakt zu bleiben. Das kommt ja selten vor.

Ich bin Diözesanpriester, weil ich im Kontakt bin mit meinem Bischof, so lautet die Devise. Das sehen wir bei der Priesterweihe, bei der man das Gehorsamsgelübde ablegt: ich verspreche dir und deinen Nachfolgern zu gehorchen´. Bistumsbezogenheit bedeutet eine Beziehung zum Bischof, die gefördert und geschützt werden muss. Meist gibt es keine katastrophalen Probleme, sondern nur den normalen Alltag.

Ein zweiter Aspekt der Bistumsbezogenheit ist die Beziehung zu anderen Priestern. Es gibt keine Priesterspiritualität ohne diese beiden Aspekte: Beziehung zum Bischof und zu den Priestern. Die sind notwendig. ,Mit dem Bischof läuft es gut, aber zu Priesterversammlungen gehe ich nicht, dort werden Dummheiten gesagt.´ Aber dann fehlt dir etwas, du hast dann nicht die wahre Spiritualität des Diözesanpriesters.

Das ist alles, es ist leicht und gleichzeitig auch nicht. Es ist schwierig, weil es nicht einfach ist, mit dem Bischof immer gleicher Meinung zu sein… und wenn nötig, dann soll man halt diskutieren! Und man darf dabei auch laut sein. Wie oft streiten Vater und Sohn, aber am Schluss bleiben sie doch Vater und Sohn. Wenn aber die Diplomatie ins Spiel kommt, wird der Heilige Geist verdrängt, weil dann die Freiheit des Geistes fehlt. Man muss den Mut haben zu sagen: ich sehe das nicht so, ich bin anderer Meinung, und dabei auch so bescheiden sein, sich korrigieren zu lassen. Das ist sehr wichtig.

Wer ist der größte Feind dieser Beziehungen? Das Geschwätz. Oft denke ich – weil auch ich selber diese Versuchung zum Geschwätz habe, wir haben das alle, der Teufel weiß, dass es ein Same ist, der ihm Früchte einträgt – ich denke, ob es das nicht vielleicht die Folge eines zölibatären Lebens ist, das steril und nicht fruchtbar gelebt wird. Ein einsamer Mann endet in Bitterkeit, wird nicht fruchtbar und beginnt über andere zu schwätzen. Das tut nicht gut und ist ein Hindernis in der Beziehung zwischen Priester und Bischof.

Das Geschwätz ist der größte Feind der Spiritualität gegenüber der Diözese. Aber du bist ein Mann, wenn du also etwas Schlechtes über den Bischof zu sagen hast, geh hin und sage es ihm. Dann wird es negative Konsequenzen geben. Du wirst das Kreuz tragen, aber sei ein Mann! Wenn du ein reifer Mann bist und in deinem Bruder, der Priester ist, etwas siehst, was dir nicht gefällt oder was du für falsch hältst, dann geh hin und sag es ihm ins Gesicht. Und wenn du siehst, dass er es nicht verträgt korrigiert zu werden, sag es dem Bischof oder dem besten Freund jenes Priesters, damit dieser ihm dabei helfen kann, sich zu korrigieren. Aber sag es nicht den anderen, denn das heißt, einander schmutzig zu machen. Und der Teufel ist glücklich über das „Festmahl“, denn so trifft er geradezu das Herz der Spiritualität des Diözesanklerus.

Meiner Meinung nach richtet Geschwätz viel Schaden an. Das ist jetzt keine post-konziliare Neuerung, bereits der Heilige Paulus musste sich damit auseinandersetzen. Erinnert ihr euch an den Satz: ,Ich bin Paulus, ich bin Apollo…´? Das Geschwätz war schon zu Beginn der Kirchengeschichte ein Thema, weil der Teufel nicht will, dass die Kirche fruchtbar, vereint und freudig ist. Was ist aber das Zeichen, dass die Beziehungen zwischen Bischof und Priester gut sind? Es ist die Freude. So wie die Bitterkeit ein Zeichen dafür ist, dass die Spiritualität fehlt, so ist die Freude ein Zeichen für eine gelungene Beziehung. Man kann diskutieren, man kann böse werden, doch die Freude soll darüber stehen und die Beziehung zwischen Priester und Bischof fördern.

Noch ein Wort über das Zeichen der Bitterkeit. Einmal sagte mir ein Priester hier in Rom: „Ich sehe, dass wir oft eine Kirche der Wütenden sind, dauernd aufgebracht, einer gegen den anderen. Wir haben immer etwas, um uns aufzuregen.“ Das bringt Traurigkeit und Bitterkeit: die Freude fehlt. Wenn wir in einem Bistum einen Priester sehen, der so wütend lebt und mit dieser Spannung, denken wir, na der nimmt zum Frühstück Essig, zu Mittag eingelegtes Essig-Gemüse und am Abend einen schönen Zitronensaft. Deshalb geht sein Leben nicht gut, weil er das Bild einer Kirche der Wütenden ist. Hingegen ist die Freude das Zeichen dafür, dass es gut geht. Natürlich kann man auch einmal wütend werden, manchmal ist das sogar gesund. Aber der ständige Zustand der Wut ist nicht vom Herrn und führt zu Traurigkeit und Spaltung. Am Ende haben Sie von der „Treue zu Gott und zum Menschen“ gesprochen. Das ist dasselbe, was wir vorhin besprochen haben. Es ist die doppelte Treue und die doppelte Transzendenz: Gott treu sein und ihn suchen, sich ihm im Gebet öffnen, sich erinnern dass er treu ist, er kann sich selbst nicht verleugnen, er ist immer treu. Und dann sich dem Menschen öffnen: das ist Empathie, Respekt, Erspüren, das richtige Wort mit Geduld sagen. Wir müssen aus Liebe zu den wartenden Gläubigen stehenbleiben…

Ich danke euch, wirklich, und bitte euch für mich zu beten, denn auch ich habe die Schwierigkeiten, die jeder Bischof hat, und muss jeden Tag den Weg der Umkehr einschlagen. Wenn wir für einander beten, hilft uns das, weiterzugehen. Danke für die Geduld.


(rv 27.07.2014 mg)








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