Ukraine, Gaza, Irak: „Gegengewalt wird uns aus den Konflikten nicht heraus führen“
Aus den vielen ernsten Konflikten in diesen Tagen kommt man nicht heraus, wenn man
nur versucht, die Schuldfrage zu klären. Weder in der Ukraine, noch in Gaza oder im
Irak kommt man damit weiter, darin sind sich die meisten internationalen Beobachter
einige. Was aber wäre ein Ausweg?
Michael Reder ist Professor für Sozial- und
Religionsphilosophie an der katholischen Hochschule für Philosophie in München und
betreut dort das Projekt „Völkerverständigung“. Pater Bernd Hagenkord hat ihn gefragt,
wie man sich vorstellen kann, dass die Konfliktparteien, die bislang nur gegenseitige
Schuldzuweisungen kennen, aus der Konfrontation wieder heraus kommen.
„Zuerst
ist es wichtig zu verstehen, was den gegenwärtigen Konflikten zu Grunde liegt. Bei
aller Unterschiedlichkeit der Konflikte in der Ukaine, in Isarel/Palästina oder im
Irak scheint es so zu sein, dass es in allen Konflikten um die Frage von kollektiven
Identitäten geht. Da heißt, es gilt erst einmal anzuschauen, wie genau die Situation
in diesen Ländern ist und welche Gruppierungen sich ausgeschlossen und diskriminiert
gefühlt haben. Nur so kann man deren Reaktionen verstehen, die dann zu Gewalt eskalieren.
Eine
solche Analyse fehlt heute teilweise. Es geht eher darum, Schuldige zu suchen und
weniger darum danach zu fragen, welche grundlegenden Dynamiken diesen Konflikten zu
Grunde liegen. Das wäre meiner Ansicht nach ein erster Weg, damit auch politisch umzugehen.
Da geht es im Irak um den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, in der Ukraine
geht es um die Frage der Identität von russischen Minderheiten und im Israel-Palästina-Konflikt
um die Selbstständigkeit der Palästinenser. In allen drei Konflikten wurden diese
Identitäten unterdrückt, diskriminiert, ausgeschlossen, was dann in eine Gewaltspirale
führen kann, aus der man dann schwer wieder heraus kommt.“
Hieße das nicht
auch, denen nachzugeben, die den Konflikt schüren? Müsste man nicht eigentlich konfrontativer
aus dem Westen heraus dem Konflikt begegnen?
„Es ist zweierlei. Es
ist wichtig, dass deutlich gemacht wird, dass Gewalt keine Lösung für Konflikte ist.
Der Ruf nach Militarisierung und nach einem verstärkten Einsatz militärischer Gegenmacht
wird uns nicht aus den Konflikten herausführen. Auf der anderen Seite geht es darum,
zu versuchen sich vorzustellen, wie politische Landschaften in diesen Regionen aussehen
können und wie Zugeständnisse gemacht und die Identitäten ernst genommen werden können.
Wir
haben das in der Ukraine gesehen, wo es zu Beginn des Konfliktes ganz stark darum
ging, ob Russisch als Sprache anerkannt wird oder nicht. Um so ganz fundamentale Fragen
geht es in solchen Konflikten, die selber ein Auffangen dieser Gewalt bedeuten.“
Plädoyer
für Außenpolitik
Der normale Nachrichtenkonsument reagiert eher
mit einer Mischung aus Unverständnis und Ungeduld. Sie sagen, dass es Zeit und Information
braucht und dass man auf die Leute zugehen müsste, um aus dem Konflikt wieder heraus
zu kommen. Das ist aber auch eine Überforderung für die Menschen hier im Westen, die
wir schnellerer Lösungen wollen, wie die Opfer sicherlich auch.
„Es ist
eine verständliche Reaktion zu wünschen, dass die Konflikte schnell gelöst werden.
Aber Konflikte, die sich über Jahrzehnte hinweg hochgeschaukelt haben und in Gewalt
eskaliert sind werden wir nicht von heute auf morgen lösen können.
Ein großes
Problem des Westens ist es, dass wir Außenpolitik oft ein wenig Stiefmütterlich betrachten.
Man sieht das beispielsweise in Wahlkämpfen, auch in Deutschland, da spielt Außenpolitik
immer nur eine sehr untergeordnete Rolle. Es geht da meistens um innenpolitische Fragen,
allerhöchstens noch um Europafragen.
In einer globalisierten Welt, in der wir
heute leben, geht es darum, dass wir Außenpolitik stärker aufwerten. Da geht es darum,
Personal zu investieren und Geld in die Hand zu nehmen, auch mehr wissenschaftliche
Forschung zu betreiben. Damit machen wir dann unsere Außenpolitik stärker, um differenzierter
auf die Konflikte reagieren zu können.
Man sieht das deutlich, wenn wir auf
die arabische Politik schauen, da hat die deutsche Außenpolitik oft sehr holzschnittartig
mit Simplifizierungen reagiert; wer ist Islamist? wer ist Fundamentalist? Damit wird
nicht differenziert genug auf die jeweiligen Regionen geschaut. Das führt dann dazu,
dass wir den Einfluss, den wir in den Konflikten geltend machen können, nicht voll
ausgeschöpft haben.“