Italien: „Flüchtlinge sind keine Schachbrettfiguren“
61 Menschen wurden
vor der Küste Siziliens an diesem Montag von der italienischen Marine gerettet, auf
dem Boot befanden sich außerdem fünf Tote Flüchtlinge. Die Zahl der Toten bei der
Flüchtlingskatastrophe vom Samstag ist dagegen auf 30 gestiegen. Das berichtet an
diesem Montag die italienische Nachrichtenagentur ANSA. Das völlig überladene Schiff
war am Samstag etwa 150 Kilometer vor Lampedusa von einem dänischen Handelsschiff
entdeckt worden. 566 Passagiere überlebten. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien.
Die Caritas des Bistums Bozen-Brixen appelliert an die Verantwortung und Solidarität
in Italien und Europa, wie uns einer der beiden Südtiroler Caritas-Direktoren Heiner
Schweigkofler sagt:
„Ich wurde gerade vor zwei Tagen persönlich sehr getroffen,
als ich bei einer Frau mit vier Kindern war, die wir begleiten. Sie bekam einen Anruf
von ihrem Sohn, der auf einem Flüchtlingsboot war und die Mutter anrief, weil dieses
Boot drohte unterzugehen. Dieses Geschehen auf dem Mittelmeer hat mir gezeigt, wie
dramatisch die Situation ist und wie die Mutter trauerte, denn diese Ungewissheit,
was mit ihrem Sohn geschieht, das hat sie einfach fertig gemacht.“
Beinahe
täglich erreichen neue Flüchtlinge – meist auf illegalem Weg – italienischen Boden.
In Italien ist die Flüchtlingspolitik ein sehr schwieriges Thema, einerseits werde
die Solidarität als wichtiges Argument angeführt, andererseits befürchten viele Italiener,
dass die Masse der Flüchtlinge ein Problem sei.
„Wir als Caritas der Diözese
Bozen-Brixen sehen beide Seiten: wir sehen, dass es Befürchtungen und Ängste gibt
in unserer Bevölkerung, die einfach sagt, das seien so viele Flüchtlinge. Es sind
in diesem Jahr bereits 73.000 Bootsflüchtlinge, die Italien erreicht haben. Wie soll
ein Staat das bewältigen? Auf der anderen Seite sagen wir, dass es immer um jeden
einzelnen Menschen geht und die dürfen nicht einfach wie Schachbrettfiguren gesehen
werden, die hier einfach anonym verschoben werden. Wir fordern, dass diese Menschenwürde
voll respektiert wird.“
Die italienische Regierung hat schon mehrmals die
Europäische Union aufgefordert, mehr Hilfe für die Flüchtlingsaufnahme und Betreuung
zur Verfügung zu stellen. In Italien selber bleiben die meisten Flüchtlinge nur vorübergehend.
Die Zielländer sind meist andere.
„Eine besondere Herausforderung ist für
die bestehende Strukturen – und das erleben wir so – dass wir beispielsweise dreimal
20 Flüchtlinge für Südtirol zugewiesen bekommen haben, und dies war jedes Mal so,
dass wir innerhalb von 24 Stunden helfen sollten. Hier bräuchte es also noch stärkere
Bemühungen von Seiten des Staates, um diese Koordination zu verbessern. Natürlich
ist das eine große Zahl, wenn jetzt schon 73.000 Flüchtlinge gekommen sind. Man geht
davon aus, dass es bis Ende des Jahres über 100.000 Flüchtlinge sein werden. Das ist
weit mehr, als das, was vom nationalen Verteilungsplan vorgesehen ist.“