D: Frage nach Sterbehilfe ist in der Seelsorge nicht außergewöhnlich
Unterschiedliche Reaktionen
fanden die Äußerungen von Nikolaus Schneider, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen
Kirche in Deutschland, zur Sterbehilfe. Schneider hatte erklärt, er sei grundsätzlich
bereit, einen möglichen Wunsch seiner krebskranken Ehefrau nach Sterbehilfe zu unterstützen.
Dass die Frage der Sterbehilfe oder des Suizids während einer schweren Erkrankung
auftauche, sei nichts ungewöhnliches, sagt Pfarrer Matthias Schnegg, der seit Jahren
schwer kranke Menschen seelsorgerisch begleitet:
„Das erlebe ich immer wieder
und finde es auch ganz natürlich, dass der Mensch in einer Phase seiner Krankheit
auch mit solchen Gedanken spielt. Es ist ja sehr oft das Streben nach Autonomie bis
zum allerletzten Punkt. Und die Ahnung, dass man das durchhalten wird, kommt dann
zu dem Schluss, lass es doch bitte nach meiner eigenen Terminierung zu Ende gehen."
Der
katholische Seelsorger sagte im Interview mit dem Domradio ferner, in solchen Situationen
höre er erstmal zu und begegne dem Wunsch nach Sterbehilfe nicht sofort mit moraltheologischen
Argumenten.
„Ich sehe es wirklich als einen Moment, in dem der Mensch sich
sehr intensiv mit seiner Krankheit, mit seiner Endlichkeit und mit dem Autonomieverlust
auseinandersetzt. Und das ist eine ganz nachvollziehbare Anfrage. Meine Erfahrung
ist bisher in allen seelsorglichen Kontexten, dass die Menschen, die das geäußert
haben - sehr oft am Anfang einer Krankheit - es nachher nicht gemacht haben. Ich habe
es noch nie erlebt, dass jemand bewusst, zum Beispiel in die Schweiz gefahren ist."
Die
Angehörigen von schwer kranken Patienten befinden sich, so Schnegg, oft in einer schwierigen
Situation.
„Die Angehörigen erschrecken sehr oft vor einer solchen Äußerung,
dass es den Wunsch nach einer Sterbehilfe, nach einer aktiven Sterbehilfe, gibt. Auch
da gilt es, das auszuhalten, dass die eben anders auf ein solches Geschehen schauen,
als die Menschen, die jetzt in der Auseinandersetzung mit ihren eigenen Sterblichkeit
sind."
Die großen christlichen Kirchen lehnen aktive Sterbehilfe bekanntlich
ab. Pfarrer Schnegg findet es richtig, dass Christen hierzu eine eindeutige Position
haben - auch wenn das individuelle Leiden oft komplexe Fragen aufwerfe.
„Auf
der einen Seite ist es ganz wichtig, dass es eine Norm gibt, also die Orthodoxie,
die Lehre, auf die man vom Grundsatz gesetzt ist. Und das andere ist Orthopraxie.
Das, was im konkreten Leben geschieht, ist oft differenzierter und komplizierter,
als es die Lehre fassen kann. Es gibt in der Theologie des Mittelalters bei Thomas
von Aquin schon die Formulierung: Actio cum duplici effectu, also eine Handlung, die
zwei Wirkungen hat. Das ist vermutlich eine Praxis, die Hausärzte schon über Jahrhunderte
gehabt haben: Ich lindere Schmerzen mit dem Risiko, dass der Tod durch Atemlähmung
zum Beispiel bei Morphinen schneller eintritt, als wenn es keine Schmerzmedikation
gäbe."