Nuntius im Irak: „Nur ein Wunder kann das Schlimmste verhindern“
Das Wort Irak reimt
sich immer mehr auf Instabilität. Eine handlungsfähige Regierung gibt es nicht, im
Norden bildet sich ein Terror-Kalifat, und Kurdistan wittert die Chance zur Abspaltung.
Zwischen allen Stühlen: die Christen. Viele sind aus Mossul in Städte oder Dörfer
der Umgebung geflohen. Erzbischof Giorgio Lingua ist Päpstlicher Nuntius in Jordanien
und dem Irak; wir erreichten ihn telefonisch in Bagdad.
„Unsere Hauptsorge
besteht im Moment darin, den Christen, die aus Mossul geflohen sind, Trinkwasser zu
verschaffen. Die versuchen sogar, Brunnen zu graben. Das andere Problem ist der fehlende
Strom in den Dörfern, die von Christen bewohnt werden. Vorher kam der Strom von Mossul,
aber die Leitungen sind unterbrochen. In psychologischer Hinsicht leben die Christen
in großer Angst und Unsicherheit. Natürlich überlegen viele, wie sie jetzt das Land
verlassen könnten. In humanitärer Hinsicht allerdings ist viel passiert, da kümmern
sich Christen auch um muslimische Flüchtlinge, indem sie ihre Schulen für sie öffnen
und ihnen provisorische Unterkünfte verschaffen.“
Am gefährlichsten ist
– für Christen wie für Muslime – die Gegend, die direkt an den neuen „Islamischen
Staat“ grenzt. Keiner wisse eben, womit die Terroristen sich zufriedengäben und wie
weit sie ihr Gebiet noch ausdehnen wollten, sagt der Nuntius. Sicher seien immerhin
die von den Kurden kontrollierten Gebiete. Was die Zukunft bringen werde, sei wirklich
schwer zu sagen. Lingua:
„Zivilgesellschaft sollte nicht nur zuschauen“
„Für
mich hängt das sehr davon ab, inwiefern die Zentralregierung in der Lage sein wird,
gerecht und inklusiv, offen für alle Gruppen der Bevölkerung, mit der Situation umzugehen.
Gebraucht werden ein Parlament, das funktioniert, und eine Regierung, die funktioniert
– erst dann wird man überhaupt abschätzen können, was sich erreichen ließe. Mir scheint
auch wichtig, dass die irakische Zivilgesellschaft sich die Lage klarmacht; sie kann
nicht einfach zuschauen und darauf warten, dass die Politiker etwas tun. Oft werden
nämlich die Politiker von Sonderinteressen geleitet, während die Zivilgesellschaft
sich mehr am Gemeinwohl orientieren könnte.“
Wenn wirklich alle in das
„Projekt einer Zukunft des Irak“ einbezogen würden, dann würden auch die Terroristen
vom „Islamischen Staat“ schnell die Unterstützung durch sunnitische Stämme verlieren,
glaubt der Päpstliche Nuntius in Bagdad.
„Die sind so schnell (in Mossul)
eingezogen, weil es so viel Unzufriedenheit gab. In dem Moment, in dem sich alle Gruppen
auf dem Level der Zentralregierung vertreten fühlen, werden diese Kräfte ihre lokale
Unterstützung einbüßen.“
Der Trend geht aber im Moment eher in die andere
Richtung. Das weiß der Nuntius. Darum rät er zum Gebet.
„Wir brauchen ein
Wunder, damit die Lage nicht noch schlimmer wird und damit es nicht zu Kämpfen kommt.
Selbst wenn das die Lage teilweise lösen oder zu einer teilweisen Rückeroberung des
Territoriums führen sollte, würde es doch zu neuen Opfern führen und zu neuer Unzufriedenheit.
Man sollte alles tun, damit es nicht zu einem grausamen, bewaffneten Schlagabtausch
kommt!“