Der Anführer der islamistischen
Terror-Gruppe ISIS, Abou Bakr Al-Baghdadi, hat alle Muslime der Welt aufgerufen, ihn
als geistliches Oberhaupt des Islam anzuerkennen und ihm zu gehorchen. Die Gruppe
ISIS hatte vergangene Woche bereits ein sogenanntes Kalifat ausgerufen, also die Einführung
eines islamischen Gottesstaates, der sich über den gesamten arabischen Raum erstreckt.
Für islamische Gelehrte aus dem Nahen Osten sind die Ankündigungen Al-Baghdadis ein
Affront und nicht hinnehmbar. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der libanesische
Richter am sunnitischen Gerichtshof und ehemaliger Generalsekretär der obersten sunnitischen
Gelehrteninstanz in Beirut, Mohamad Nokari. Er kritisiert vor allem, wie die ISIS-Terroristen
gegen Christen in Syrien und im Irak vorgehen.
„Die Gewalt gegen Christen
und die Zerstörung von christlichen Kirchen ist nicht hinnehmbar. Was ISIS in Syrien
und im Irak gegen Christen macht, kann kein Muslim gutheißen. Der wahre Islam respektiert
die anderen Religionen und vor allem gibt es ja eine besondere Bindung zwischen dem
Islam und dem Christentum, die bereits unser Prophet festgeschrieben hat. Er sagte
ja: verdammt sei, wer Christen etwas Böses tut.“
Mit der Ausrufung des
Kalifats sorgte die ISIS-Gruppe für Schlagzeilen und für Aufsehen im arabischen Raum.
Vom islamischen Recht ist ein solcher Schritt nicht gedeckt, erklärt der Islamgelehrte.
„Was die ISIS zum Kalifat sagt, ist aus islamischer Sicht nicht möglich,
denn ein Kalifat kann nicht einfach ausgerufen werden, sondern es kann nur durch eine
Wahl gegründet werden, und dies war sicherlich nicht der Fall. Im Übrigen sind die
Leute von der ISIS gar nicht befugt, im Namen des Islam zu sprechen. Sie sind ja in
Syrien oder im Irak einzig deshalb, um Krieg zu führen. Sie repräsentieren auf jeden
Fall nicht den sunnitischen Islam.“
Richter Nokari kritisiert auch die
Tatsache, dass die ISIS-Gruppe ein „geschlossener Club“ sei. Dies entspreche ebenfalls
nicht der islamischen Tradition. Nokari bemängelt auch, dass es sich bei den ISIS-Leuten
nicht um „intellektuelle Muslime“ handelt.
„Sie haben keinen Kontakt mit
religiösen Führern, weder in Europa noch im arabischen Raum. Wir wissen nicht, was
sie eigentlich vorhaben. Sie müssten doch wissen, dass sie weder in Europa noch bei
uns im arabischen Raum einen Rückhalt finden. Ein Kalifat, das sich auf Terror und
Gewalt stützt, kann auch kein Muslim gutheißen. Vielleicht suchen sie einfach ein
Mittel, um bekannt zu werden.“