Islamfachmann: Koran-Rezitation bei Friedensgebeten ist legitim
Eine Begebenheit am
Rand der Gebete um Frieden in den Vatikanischen Gärten mit den Präsidenten Israels
und Palästinas sorgt im Nachhinein für Unruhe. Am Pfingstsonntag waren die beiden
Spitzenpolitiker der miteinander verfeindeten Nachbarstaaten der Einladung von Papst
Franziskus gefolgt; nacheinander erhoben sich Fürbittgebete, zunächst das jüdische,
dann das christliche, schließlich das muslimische. Aus der islamischen Delegation
rezitierte dann ein Imam – über das Programm hinausgehend - auf Arabisch die letzten
drei Verse aus der zweiten Sure des Koran. Hier die letzten Sätze in einer Übertragung
ins Deutsche: „Verzeih uns (Allah), vergib uns und erbarm dich unser! Du bist unser
Schutzherr. Hilf uns gegen das Volk der Ungläubigen!”
Diesen letzten Vers nun
haben einige Beobachter als Angriff auf die beiden anderen Religionen gesehen, als
„Unverschämtheit auf christlichem Boden“. Wie ist diese Stelle zu verstehen? Das fragte
Gudrun Sailer den Islamwissenschaftler Pater Felix Körner, einen Jesuiten, der an
der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom lehrt.
„Muslime versuchen,
den Koran so zu verstehen, wie die ersten Hörer ihn vernommen haben. In diesem Falle
heißt dies: Wir müssen uns hineinversetzen in die Frühzeit des koranischen Verkündigung,
hier sind wir vielleicht noch in Mekka oder in den ersten Jahren in Medina, um 622;
die Anhänger Muhammads sind eine kleine Gruppe. Es lässt sich nachvollziehen, dass
sie sich als bedroht empfinden, und zwar von Polytheisten, von Förderern heidnischer
Kulte, welche die neue religiöse Bewegung loswerden wollen. Wenn hier vom Volk der
Ungläubigen die Rede ist, sind jene Mekkaner gemeint, die den einen Gott nicht anerkennen.
Hier sind ganz klar nicht die Juden und auch nicht die Christen gemeint.“
„Hilf
uns gegen das Volk der Ungläubigen!” Wenn wir diese Koranstelle aus unserer heutigen
Perspektive als Christen - oder Juden – im Rahmen eines Treffens hören, bei dem es
um Frieden geht, dann liegt es in unserem Kulturkreis nahe, das zu verstehen als Aufruf,
andere zu missionieren oder gar zu besiegen. Ist das ein Missverständnis von unserer
Seite?
„Dieser Vers, in den vatikanischen Gärten vielleicht spontan ausgesucht
von jemandem, der ihn dann auch auswendig vortrug und anschließend noch eine frei
formulierte Fürbitte sprach, passte eigentlich sehr gut in den Gesamtzusammenhang
des Friedensgebetes. Es gab, so war das vorgesehen, in der Gebetszeit jeder der drei
Religionen immer drei Schritte: Wir erkennen den Schöpfer an und preisen ihn, wir
erkennen unsere Schuld an und bekennen sie, und wir bitten um das Geschenk des Friedens.
Und all das kommt in diesen drei Koran-Versen sehr schön vor. Dir, Gott, gehört alles.
Wir bereuen unsere Schuld und bitten um Vergebung. Und wir brauchen deine Hilfe, nur
so können Frieden und Gerechtigkeit entstehen; und das ist der Inhalt dieser Verse.
Deshalb handelt es sich um eine ganz nachvollziehbare Auswahl – vielleicht spontan
getroffen, jedenfalls gut gewählt.“
Nun waren ja alle Elemente der Friedensgebete
und der Ansprachen vorab zwischen den drei Seiten abgesprochen. Dieser eine Passus
des Imam hingegen nicht, das war spontan. Denken Sie, die Rezitation wäre von der
jüdischen und der christlichen Seiten gutgeheißen worden, hätte man sie vorher abgesprochen?
„Die
Hintergründe kennen ich nicht. Grundsätzlich ist es besser, sich vorher zu einigen.
Die jüdische und die christliche Seite hatte jeweils aus ihrer heiligen Schrift vorgetragen,
so kann bei den Muslimen die Empfindung entstanden sein, dass hier auch eine Koranrezitation
am Platze ist. Das ist allerdings immer gefühlsbeladen. In der Gregoriana hat sich
einmal eine aufschlussreiche Szene abgespielt. Ich hatte einen Koranexegeten, einen
ganz vernünftigen, besonnenen Menschen gebeten, einen Vortrag über den Koran zu halten,
und er fragte mich, ob er die Koranverse, über die er sprechen wollte, auch rezitieren
dürfe, nämlich melodisch vortragen, also kantilieren. Ich sagte zu und merkte dann,
dass im Publikum eine gewisse Unruhe entstand: Wenn der Koran auch in seiner ästhetischen
Schönheit, auf Arabisch vorgetragen wird, bevor er übersetzt wird, kann das bei Christen,
aber genauso bei Muslimen eine gewisse Bewegtheit bis hin zur Unruhe auslösen. Es
könnte also sein, dass das Problem in Vorbesprechungen gerade war: dass der Koran
kantiliert, melodisch vorgetragen wird. Das hat einen besonderen Reiz, kann aber auch
zu einer religiösen Intensität führen, die vielleicht manche Leute in einem solchen
Gebetstreffen für nicht gerechtfertigt oder am Platze halten.
Wir haben
uns aber klarzumachen: In den Vatikanischen Gärten kamen die Religionen nicht zusammen,
um zusammen zu beten, sondern jeder hat in der eigenen Weise Gebetstexte vorgetragen.
Die anderen blieben meditierend, still, hörend dabei, aber sprachen nicht Gebete,
die die anderen mitsprechen sollten. Insofern ist auch eine Koranrezitation bei einem
solchen Treffen durchaus legitim, verständlich und anzuerkennen!“
„Ein
Koranvers, der Hochschätzung ausdrücken will“
Was unterscheidet uns Christen
von Muslimen und Juden beim Gebet? Was für unterschiedliche Auffassungen vom Gebet
haben wir?
„Wenn Muslime beten, vertrauen sie sich Gott an, weil er allmächtig
ist. Wenn Juden beten - so könnte man es zusammenfassen -, vertrauen sie sich Gott
an, weil er ihr Volk erwählt hat. Wenn wir Christen beten, dann vertrauen wir uns
dem Vater an, weil er sich uns in Christus geschenkt hat. Da ist schon eine unterschiedliche
Akzentuierung. Wir können aber das jeweils Andere verstehen und auch als Kontrast
schätzen.“
Etwas von dem, was im Zusammenhang mit den Friedensgebeten
in den Vatikanischen Gärten jetzt debattiert wird, erinnert frappierend an die Folgen
der sogenannten Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. im September 2006. Wir erinnern
uns: Der Papst brachte ein islamkritisches Zitat, das er sich inhaltlich nicht zu
eigen machte und ausdrücklich als Zitat auswies. Dennoch hat es Muslime bestürzt und
wütend gemacht. Sehen Sie diese Parallele auch?
„Es gibt eine gewisse Parallele
insofern, als ein aus dem Zusammenhang herausgerissenes Zitat besonders leicht missverständlich
ist. Und wenn man nur die Rede von den Ungläubigen herausnimmt, kann man sich leicht
daran aufhängen und sagen, hier hat ein Übergriff stattgefunden. Andererseits haben
wir hier eine Koranrezitation gehört von jemandem, der nicht nur zitiert, sondern
rezitiert hat, der also sagt: Das, was ich hier vortrage, glaube ich auch. Und im
selben Atemzug sagt er auch: Wir Muslime erkennen, so sagt es uns nämlich der Koran,
die anderen Religionen mit ihren Prophetien an. Da war also von muslimischer Seite
keineswegs die Abwertung oder Ausgrenzung gemeint oder ausgedrückt worden, sondern
gesagt worden: Wir bringen hier eine religiöse Vorstellung, die euch aufgreift, aufnimmt
und natürlich in gewisser koranischer Weise noch einmal richtigzustellen versucht.
Aber hier war jetzt nichts Exklusives oder Zurückweisendes gemeint, sondern hier wird
ein Koranvers zu Gehör gebracht, der Hochschätzung ausdrücken will und deshalb auch
so aufgenommen werden kann.“
Gibt es denn umgekehrt in den Gebeten, die
zu dem Anlass von jüdischer und christlicher Seite zu hören waren, Elemente, die eventuell
für die beiden anderen missverständlich sein könnten?
Inspiration für ein
neues Denken
„Man kann natürlich immer mit einem schiefen Ohr hören,
übrigens ein Ausdruck von Goethe; also, wer mit schiefem Ohr hört, kann alles schräg
verstehen. Zum Beispiel: Wir Christen beten immer im Namen Jesu, wir beten durch Christus
unseren Herrn, und auch im Garten vor dem Hintergrund des Petersdoms haben wir natürlich
durch Christus unsern Herrn gebetet. Jetzt kann ein Jude, jetzt kann ein Muslim –
aber diese Kritik kam nicht – sagen: Wie könnt ihr hier etwas so spezifisch Christliches
sagen, was wir doch von unseren Theologien her gar nicht nachvollziehen können? Nein:
Wir beten so, und in einem Friedensgebet, wo man den anderen hochschätzt, schätzt
man auch seine Andersheit hoch und seine Weise, zu glauben, zu beten und sich vor
Gott und in Gott zu positionieren.
Wir haben auch aus dem Mund eines
Rabbiners den Psalm 25 gehört. Darin heißt es, viele Christen kennen das ja auch auswendig:
Lass meine Feinde nicht über mich triumphieren. Das ist ein ganz ähnlicher Vers wie
der jetzt als so schwierig inkriminierte Koranvers. Wir Christen beten die Psalmen
als die Gebete Jesu und ordnen sie deshalb von vornherein richtig ein. Wir wissen,
dass wir von Gott Schutz brauchen und dass das Freund-Feind-Denken nicht weiter hilft,
dürfen aber selbst solche Gefühle im Beten ausdrücken, damit Gott uns wandelt. Und
deswegen haben wir hier kein Missverständnis, aber wenn man schräg hört, hört man
etwas Missverständliches.“
Papst Franziskus hatte die beiden Präsidenten
und den Patriarchen ursprünglich „in sein Haus“ zu diesem Gebetstreffen eingeladen
- aber dann fand es stattdessen in den Vatikanischen Gärten statt. Warum?
„Das
war sehr schön entschieden. Zum einen war es ein so schöner Frühsommerabend, wo die
Vögel gerade noch ihre letzten Lieder zwitscherten. Es hatte so etwas Anregendes von
Gottes Schöpfung, die ja in den Gebeten auch gepriesen wurde. Sinnvoll und schön war
es auch deshalb, weil es hieß: Ihr sollt hier bei mir zusammenkommen dürfen, ohne
dass wir uns jetzt unter unserem Glaubenszeichen versammeln, unter dem Kreuz, oder
– das wäre noch unpassender gewesen – wir nehmen jetzt das Kreuz von der Wand, damit
hier kein Ärgernis entsteht. Die Peterskuppel war im Hintergrund sehr schön zu sehen,
aber die waren nicht in einem Raum versammelt, sondern unter freiem Himmel. Und dieses
Versammeln unter freiem Himmel hatte noch eine sehr schöne weitere Dimension, auf
die Papst Franziskus am Ende hinwies. Er sagte, die Spirale von Hass und Gewalt können
wir nur mit einem Wort durchbrechen, und dieses Wort heißt Bruder. Dich als Bruder
anerkennen kann ich aber nur, wenn ich zum Himmel schaue und unseren gemeinsamen Vater
anerkenne.“
Inwiefern kann dieses Treffen zum Gebet um Frieden, das in
dieser Form etwas unerhört Neues war, wirklich etwas bewirken? Was war richtig gut
und neu daran?
„Man konnte sich so wunderbar an diesem Gebet klar machen,
was Gebet überhaupt ist. Ich möchte das Inspiration nennen. Inspiration erst einmal
auf einer horizontal-weltlichen Ebene. Jemand kommt da ins Schweigen, ins Zuhören,
lässt sich von den Texten, auch den Klängen des anderen beschenken und empfängt so
Inspiration für ein neues Denken. Aber Inspiration natürlich auch in einem wörtlicheren
und geistlichen Sinn gemeint: Ich gestehe ein und habe es in den letzten Jahren gemerkt,
ohne Dich, ohne Deinen Geist, Gott, kann ich keinen Frieden schaffen. Ich kann überhaupt
nur zum Friedensstifter werden in Deiner Kraft, in Deinem Spiritus, und deswegen ist
Inspiration Gebet in dem Sinn, als ich mich dort öffne für Deinen Geist, mit dessen
Kraft ich Dich, Gott, als Vater anerkennen kann - und den Mut habe, dich nicht mehr
als Feind anzuerkennen, du Mitmensch, sondern als Bruder, mit dem ich zusammen eine
neue Welt schaffe.“