Die in München lebende Cineastin Caroline Link gehört zu den besten
deutschen Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen der Welt. Ihren größten Erfolg feierte
sie mit ihrem dritten Kinofilm „Nirgendwo in Afrika”. Die Adaption von Stefan Zweigs
autobiografischem Bestseller wurde in den Kategorien „Beste Regie”, „Beste Kamera”,
„Beste Musik” und „Bester Spielfilm” als bester fremdsprachiger Film mit einem Oscar
ausgezeichnet. Mit diesem Preis wurde davor nur ein deutscher Film nämlich Volker
Schlöndorrfs „Die Blechtrommel” – sowie danach Henckel von Donnersmarcks „Das Leben
der Anderen” geehrt. Ihr lezter großer Spielfilm aus dem Jahre 2013 trägt den Titel:
„Exit Marrakech”. Die Crew des Films „Nirgendwo in Afrika” gründete nach den Dreharbeiten
übrigens den karitativen Verein ‚Children for a better world’, dessen prominente Kinderpatin
die vor genau fünfzig Jahren in Bad Nauheim geborene Caroline Link ist.
War
es Ihnen schon immer ein Anliegen, sich auf dem Gebiet der Filmkunst eine Lebensexistenz
aufzubauen? Oder hatten Sie auch andere Pläne?
„Es ist nicht so, dass ich
schon mit zehn Jahren im Kino saß und wusste: irgendwann werde ich selber Filme drehen.
Ich bin in einer kleinen Stadt aufgewachsen in der Nähe von Frankfurt, da gab es ab
und zu Kinoprogramm, aber nie etwas ganz Besonderes. Also da wurde ich nicht geprägt.
Meine Eltern hatten ein Restaurant, also auch von dieser Seite gab es da keine künstlerischen
Ambitionen in der Familie. Es ist eher zufällig entstanden, ich bin als junges Mädchen
mit meiner Familie nach München gezogen und habe hier ab und zu gejobbt: an Drehorten,
zuerst als Komparse, später als Skriptgirl und da habe ich dann langsam meine Liebe
zu diesem Metier, zu dieser Branche entdeckt und zu der Arbeit im Team mit anderen
Menschen. Und dann habe ich mich getraut, mich an der Filmhochschule in München zu
bewerben. Also, ich bin hier sehr langsam hineingewachsen.”
Welche Voraussetzungen
muss eine Filmemacherin besitzen, um sich auf dem Gebiet der Kinokunst erfolgreich
behaupten zu können?
„Es gibt verschiedene Ansätze Kino zu machen. Es gibt
Menschen, die sind sehr formalistisch, die studieren ganz besonders das Kino, den
Film in seiner Form, wobei eine leere Form ohne Inhalt natürlich völlig irrelevant
und unwichtig ist. Für mich war nicht das Kino als Medium an sich das Entscheidende,
sondern immer die Figuren, die in diesen Geschichten erzählt werden. Also ich glaube,
wenn man gute Filme machen möchte, da muss man ein echtes, wahres Interesse an den
Menschen haben. Man muss über menschliche Begebenheiten, Schicksale und Konstellationen
und vor allem über menschliche Figuren in ihren ganzen Abgründen und in ihren Stärken
erzählen wollen. Und man muss eine gewisse Fähigkeit haben, genau hinzuschauen und
diese Menschen studieren, die einem im Leben und im Alltag begegnen.”
Gerade
wollte ich Sie fragen, Frau Link: In Ihrer künstlerischen Arbeit bringen Sie sich
ja auch persönlich sehr intensiv mit ein: Sie müssen sich als Autorin in die verschiedensten
Persönlichkeiten und Charaktere hineinfühlen können. Sie bestimmen damit sozusagen
die Tonart des Films. Was reizt Sie an der Regie am meisten? Die Intuition? Die Empathie?
Die Erfahrung? Die Menschenführung?
„(Lacht) Ja, das alles zusammen. Das
ist das, was ich an meinem Beruf so liebe. Dass ich in sehr verschiedenen Stadien
mich bewege und arbeite, bis ein Film fertig ist. Also, zuerst sitze ich ziemlich
alleine irgendwie am Schreibtisch und denke mir meine Geschichten aus. Ich gehe aber
auch spazieren oder fahre im Auto, höre Musik, die mich inspiriert, lass mich irgendwie
in einen anderen Zustand versetzen, um tief in meine Geschichten, in meine Ideen einzutauchen.
Das ist eine sehr schöne und kreative Zeit, die aber auch ein bisschen einsam ist.
Dann beginne ich meine eigenen Visionen, meine Gedanken, das, was ich da ausgebrütet
habe, in einem stillen Raum. zu lieben. Mit einem ganzen Team umzusetzen. Meine Schauspieler
liebe ich ganz besonders und trage sie immer auf Händen, weil ich glaube, dass sie
für mich wirklich ein sehr, sehr kostbares Gut sind, weil sie meine privaten Gedanken
zum Leben erwecken können.”
Welche Kunstart nähert sich eigentlich am
meisten der Filmkunst? Ist es die Malerei, die Musik, die Literatur, die Architektur?
Oder umgekehrt: muss sich die Filmkunst in all diese Kategorien irgendwie mit einbinden?
„Ich
würde sagen, meine Filme verdanken der Musik sehr viel. Ich habe einen Komponisten.
Riki Reiser aus der Schweiz, der die Musik zu meinen Filmen macht. Er ist mittlerweile
wirklich ein Verbündeter, ein Seelenverwandter: Wir brauchen gar nicht mehr viele
sprechen, wir ticken ähnlich, wir empfinden ähnlich. In der Musik und in der Intuition
kann man ausprobieren und sich zusammen in die richtige Stimmung versetzen. Also die
Musik ist sehr wichtig für meine Filme. Ich glaube aber auch, dass die Literatur
mit dem Film verwandt ist, weil sie versucht, Charaktere auf dem Papier entstehen
zu lassen. Ich versuche das dann mit dem Medium Film weiter zu führen. Es ist immer
das Hineinversetzen können in fremde Welten. Welten, die dann immer auch zu der eigenen
werden, weil man erreichen möchte, dass die Menschen sich mit einfühlen, in das eintauchen
können, was man da erzählt.”
Nach den Dreharbeiten beginnt das Gestalten
des Films zu einem Gesamtkunstwerk. Wie der Ton beim Töpfer etwa, wenn Sie mir diesen
Vergleich erlauben. Kann in dieser Phase noch etwas herausgeholt werden, was beim
Drehen vielleicht nicht so ganz gelungen ist?
„Im Schneideraum kann man
in der Tat noch vieles gestalten und in eine gewisse Richtung verändern. Ich würde
sagen: wenn drei verschiedene Regisseure mit dem gleichen Drehmaterial in den Schneideraum
gehen, würden alle drei, drei verschiedene Filme machen. Da bin ich mir ganz sicher.
Aber trotzdem glaube ich, dass man im Endeffekt schon am Drehort das herstellen muss
und das kriegen muss, was man im Schneideraum dann braucht, um den Film wirklich so
werden zu lassen, wie man sich das vorgestellt hat. Mann kann im Schneideraum sehr
viel machen, aber man kann nicht alles machen. Man kann nicht zaubern. Und der wichtigste
Moment ist doch tatsächlich der, wenn die Kamera läuft. Und wenn man mit den Schauspielern
versucht, eine gewisse Magie herzustellen, den man hinterher – vielleicht mit ein
bisschen Musik –noch ein bisschen manipulieren kann.
Wie beschreiben Sie
Ihren Seelenzustand, wenn Sie selbst Ihren Film zum ersten Mal so sehen, wie er dem
Publikum gezeigt wird? Im Endzustand sozusagen.
„Ein Moment der Erkenntnis
ist immer der, wenn ich vom Drehort in den Schneideraum komme und die Cutterin schon
ein bisschen vorgearbeitet hat. Da sehe ich die ersten Szenen und meistens bin ich
dann ganz fürchterlich erschrocken, weil nichts so ist, wie ich mir es vorgestellt
habe. Und alles ist anders, und ich denke: o Gott, jetzt ist alles daneben gegangen,
jetzt werden alle Menschen herausfinden, dass ich doch nichts kann. Da bekommt man
große Zweifel. Aber dann formt man das gemeinsam mit der Cutterin, zu dem man dann
doch stehen kann. Da gibt es dann noch einmal Zweifel und Unsicherheiten, doch langsam
wird das Werk zum eigenen Kind und wird zu einem Teil von einem selbst.”
Im
Mittelpunkt Ihres filmischen Schaffens stehen sehr oft Ehe und Familie: hat das persönliche
Gründe?
„Ja. Das hat mehr oder weniger einen bewussten und unterbewussten
Grund, dass ich mich immer wieder mit Familie auseinandersetze. Mit der Konstellation:
Generationen treffen aufeinander, es geht immer in einer oder anderen Form um Kommunikation.
Es geht immer darum: wie geht man in die Beziehung mit den anderen, mit der Familie.
Es ist ein bisschen das Gefühl von einer fest gegebenen Struktur, aus der man nicht
ausbrechen kann und in meiner Wahrnehmung auch nicht ausbrechen soll. In der man sich
immer darauf besinnt, dass das die Wurzel ist: also die Familie ist für mich der Ort,
an dem ich großes Glück, Geborgenheit empfinde, natürlich auch Leid, in dem ich alles
über meine eigenen Schwächen und meine Komplexe, meine Unsicherheiten gelernt habe
und vielleicht zum Teil auch beigebracht bekommen habe. Eine Familie kann auch schrecklich
verletzen und weh tun und alle Abgründe aufzeigen. Und auf der anderen Seite ist es
aber auch der Ort, der mich geprägt hat. Das ist so das kleinste soziale Gefüge in
unserer Gesellschaft. Und was in der Familie geschieht, das überträgt sich auch auf
die Welt nach draußen. Es ist auf jeden Fall der Ort, der uns im positiven wie im
negativen entscheidend prägt und deswegen interessiert er mich immer wieder.”
Haben
Sie schon an die Realisierung eines Films mit religiösem Inhalt gedacht? Welche Thema
würde Sie da besonders reizen?
„Ehrlich gesagt, habe ich das nicht. Meine
Form, mich mit Religion auseinanderzusetzen ist eher, dass ich das große Ganze erkennen
möchte, worum es geht im Leben. Mein Gewissen, meine Gefühle für andere Menschen,
für die Natur, für die Welt, in der ich lebe. Mein Gewissen sagt mir, was richtig
und was falsch ist - hoffentlich immer in einem ausreichendem Maße. Das spiegelt sich
in so vielen zwischenmenschlichen Details und Beziehungen zueinander. Ich glaube nicht,
dass ich in einem Film direkt über Gott sprechen könnte. Dieses Thema würde ich wahrscheinlich
nicht wählen.”
Sie sind Patin des karitativen Hilfsvereins für Kinder: ‚Children
for a better world’. Was hat Sie zu dieser besonderen Schutzfunktion bewogen?
„Was
ich an dieser Hilfsorganisation toll finde, ist, dass Kinder sehr früh miteingebunden
werden in Entscheidungsprozesse, dass Kinder, denen es gut geht, die aus unserer Welt
kommen, deren Eltern über gewisse Möglichkeiten verfügen, dass die sich stark machen
für Kinder, denen es nicht so gut geht. Also, dass nicht nur die Erwachsenen entscheiden,
sondern dass Kinder und Jugendliche mit ihren Hilfsprojekten und Ideen und Ansätzen
aktiv werden und das Gefühl haben: ich kann sehr wohl etwas tun, ich kann in dieser
Welt etwas verbessern oder verändern und ich kann den Ort, an dem ich lebe, prägen.”
Was
lässt Sie menschlich mehr wachsen: das Scheitern oder das Gelingen?
„Ooooooh!
Das Scheitern gehört dazu, um das Gelingen wirklich zu wertschätzen. Ich habe mit
meinen sehr frühen beruflichen Erfolg gedacht – und da wurde ich dann doch ein bisschen
hochnäsig – na ja gut, so scheint es bei mir zu funktionieren. Ich mache einen Film,
dann bekomme ich Preise, dann mach ich meinen nächsten Film und so geht es weiter……
Ich habe schon eine große Dankbarkeit empfunden, das habe ich immer. Ich habe immer
gedacht, wie wunderbar, dass ich das machen darf. Dass ich diesen Beruf ausüben darf.
Dass ich in dieser privilegierten Situation bin, meinen Blick auf die Welt zu schildern.
Ich habe als Mensch, als Caroline, gedacht, ich kann das jetzt anscheinend und so
geht es dann immer weiter…..Dadurch, dass man dann auch mal was macht, das vielleicht
nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt, das kommerziell nicht so erfolgreich ist, das
nicht so gute Kritiken bekommt, wird man wieder demütiger und man wird zweifelnder
und im Zweifelsfall ist das Zweifeln und das Infragestellen immer ein guter Ratgeber,
um die eigene Arbeit und die Qualität der Arbeit zu überprüfen. Wenn ich denke, wie
mein erster Film “ Jenseits der Stille” entstanden ist, da war ich voller Zweifel
und Unsicherheiten, aber ich habe irgendwie in mir auch gespürt, was mir Kraft gegeben
hat: Ich habe immer wieder neu mein Drehbuch überarbeitet, hart daran gearbeitet,
an diesen meinen ersten Film. Ich glaube, ohne dies geht es nicht. Man muss schon
auch wirklich immer wieder mit dem Scheitern konfrontiert werden, damit man zu einer
wirklich guten und sinnvollen Arbeit kommt. Sonst wird man selbstgefällig und dann
ist das Ergebnis nicht mehr richtig gut. Ich war großzügig und ich war dankbar, im
Moment des Siegens des Gelingens, aber für mich als Mensch habe ich auch viel profitiert
davon, dass manchmal dann die Dinge nicht so ganz geklappt haben, wie ich es mir erwartet
habe.”