2014-06-06 10:17:34

Papst Franziskus - porträtiert als Lehrer


„Autorität kommt von augere, was so viel heißt wie „wachsen lassen”. Autorität zu haben heißt nicht, eine repressive Person zu sein. Die Repression ist eine Deformation der Autorität. Autorität hat, wer einen Raum des Wachsens schaffen kann.” Jorge Mario Bergoglio heißt der Mann, der das gesagt hat, in seinem Interviewbuch El Jesuita – Der Jesuit. An diesen Ausführungen des heutigen Papstes lässt sich seine langjährige Erfahrung als Lehrer ablesen. Als junger Pater in Buenos Aires unterrichtete Bergoglio Psychologie und Literatur an Schulen. Das Zitat mit der Autorität, die aus der Sicht des heutigen Papstes etwas mit „Raum geben” und „wachsen lassen” zu tun hat, fiel im Zusammenhang mit dem Lehrersein. Und wie sahen ihn die Schüler? Wir haben einen von ihnen vors Mikrofon bekommen: Jorge Milia.

„Bergoglio war jung, nicht viel älter als wir selbst. Er war 27, und wir waren 15 oder 16. Ein starker Moment im Leben, mit vielen Entdeckungen, die es zu machen galt. Für uns war er, nun, ich kann nicht sagen ein Freund, denn er war ein Professor. Aber er hatte so ein freundliches Kindergesicht! Das war aber nur ein Bild. Er war ein strenger Mann. Wie heute. Ein Mann der offenen Türen, offene Türen für diese Jugendlichen, die nicht so recht wussten, was sie eigentlich wollten – so wie es einem Jugendlichen halt gehen kann. Bergoglios Idee war: Wir sollten in der Schule einen Schlüssel erhalten, um die Zukunft zu entdecken, die uns erwartete.”

Jorge Milia war Mitte der 1960er Jahre Schüler Bergoglios im Colegio de la Inmaculada Concepcion in Santa Fe in Argentinien. Der Lehrer hat in seinem Interviewbuch diesen Schüler als Protagonist einer Begebenheit vorgestellt, die ein Licht auf beide wirft. Der halbwüchsige Milia war begabt, aber faul. Bei einem schwierigen Examen vor mehreren Prüfern ließ Bergoglio ihn über den ganzen Stoff referieren, statt wie vorgesehen nur über einen Teil. Das Ergebnis war glänzend. Der Pater sagte: Der Schüler würde ein „Sehr gut” verdienen. Aber wir werden ihm nur ein „Gut” geben, denn er soll lernen, dass die tägliche Pflichterfüllung zählt. „Es kommt darauf an, Stein auf Stein zu setzen.” Milia sagt, diese Lektion habe er nie vergessen.

Bergoglio war ziemlich originell. Er hatte eine Linie, bestimmte Ziele zu erreichen, war aber offen für die Absichten seiner Schüler. Nicht nur akzeptierte er unsere Neugier. Er förderte sie. Wenn einer eine Idee hatte, irgendetwas herausfinden und erforschen wollte, dann wusste er, dass Bergoglio ihm helfen würde, das zu verwirklichen.“

Aus Jorge Milia ist übrigens etwas geworden: Journalist, Dichter und Schriftsteller. Die Liebe zur Literatur hat dem Argentinier jener Professor vermittelt – Pater Bergoglio. Jorge Milia hat sogar ein Buch über seinen Lehrer geschrieben, es wurde unter dem Titel „Maestro Francesco” gerade ins Italienische übersetzt. Bis heute telefonieren die beiden ab und zu miteinander. Für Jorge ist Franziskus auch heute noch Jorge. Auch deshalb ist die Erinnerung an den Lehrer immer noch stark.

Jorge hatte eine große Gabe der Ironie und überhaupt einen Sinn für Humor. Seine Witze waren immer zum Lachen, niemals auf Kosten anderer, niemals wie eine Ohrfeige. Wenn es aber ernste Momente gab, war er der ernsteste von allen. Und er mochte Fußball. Da er aber ein Problem mit seiner Lunge hatte, spielte er nicht selber. Er war nicht wie andere Patres, die ihre Soutanen rafften und kickten – die gab es auch. Bergoglio führte ein etwas förmlicheres Leben.”

Einem guten Lehrer ist es gegeben, Sicherheit zu vermitteln, formulierte Pater Bergoglio in dem Kapitel über Erziehung des zitierten Interviewbuches. Sicherheit, das sei nicht bloß ein Rat, sondern ein Zeugnis des Lehrenden selbst, „eine Übereinstimmung zwischen dem, was man denkt und fühlt, und dem, was man tut”. Der gute, Sicherheit vermittelnde Lehrer also benützt – Zitat Bergoglio – „die Sprache des Kopfes, des Herzens und der Hände gleichermaßen”. Jorge Milia denkt da an das „wachsen lassen“, an den Raum für das Neue, den der Pater mit dem Kindergesicht seinen Schülern öffnete.

„Das Leben ist keine Telenovela, pflegte er zu sagen. Die Liebe ist etwas anderes, etwas Größeres. Die Erziehung, die Idee der Erziehung Bergoglios, war nichts Abgetrenntes, nichts für sich Stehendes, abseits der Dinge, die wir leben sollten.”

(rv 06.06.2014 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.