Chinas Zivilgesellschaft
ist in den letzten Jahren zunehmend erwacht, doch Kontrollen und Gängelungen durch
den Staat stehen immer noch auf der Tagesordnung. Die Demokratiebewegung in der Volksrepublik
gedenkt an diesem Mittwoch, dem 4. Juni, dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen
Friedens in Peking vor 25 Jahren – im Vorfeld des Jahrestages verstärkte das Regime
die Internetzensur und das Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften auf dem historisch
bedeutsamen Platz. Wie steht es um das Tauziehen zwischen Landesführung und Demokratiebewegung
in China – das wollte das Kölner Domradio vom Leiter des China-Zentrums e.V. in Sankt
Augustin wissen. Pater Martin Welling:
„Es gibt relativ viele Demonstrationen
in China. Man glaubt es kaum: Im letzten Jahr wurden veröffentlicht, dass es zwischen
80.000 und über 100.000 kleinere bis große Demonstrationen gab. Es ist also nicht
völlig unmöglich, aber die Anzeichen sind so, dass das Regime wohl relativ fest im
Sattel sitzt.“
Für die chinesische Regierung sei es sehr wichtig, zu zeigen,
dass alles, was sie tut, vor Hintergrund der Stabilität des Landes gerechtfertigt
sei, so Welling weiter. Die Kommunistische Partei habe hier einen deutlichen Alleinvertretungsanspruch.
„Das heißt, jede kleine oder kleinste Anfrage, die an den Alleinanspruch
der Partei gerichtet wird, macht die Partei sehr nervös. Sie versucht also noch das
kleinste mögliche Feuerchen auszumachen, sobald etwas aufkommt. Manche wissen das
gar nicht, aber die Kommunistische Partei hat nur etwa 80 Millionen Mitglieder in
einem Land von 1,4 Milliarden Menschen. Das heißt, dass zum Machterhalt auch auf die
kleinsten Bewegungen reagiert wird.“
Aus den Versprechungen, die der chinesische
Staatspräsident Xi Jinping am Anfang seiner Regierungszeit gemacht hatte – Wahrung
der Menschenrechte und ein rechtsstaatliches System – sei nicht viel geworden, so
der Experte:
„Heute ist es schon eher umgekehrt: dass, wenn jemand von einem
rechtsstaatlichen System spricht, ihn dies durchaus in ein Arbeitslager bringen kann.
Es wurde gesagt, ,die Arbeitslager sollen aufgelöst werden‘ – und einige scheinen
aufgelöst worden zu sein, aber man weiß nicht: wo sind denn jetzt die Menschen hin?
Dafür gibt es wieder andere Lager, sog. Zentren für Menschen, die sich in unnormaler
Weise über Behörden beschweren. Das wird also als psychische Krankheit beschrieben!
Also auf der einen Seite sehen die Menschen, es gibt viele Versprechungen, die Hoffnungen
machen und auch in die richtige Richtung zeigen, aber dann bei der eigentlichen Verwirklichung
gibt es große Enttäuschung. Und wenn diese Differenz zu groß wird, dann kann natürlich
auch in einem Riesenland wie China etwas passieren, dass die Menschen schlicht und
einfach zu enttäuscht sind. Die sozialen Probleme sind riesig, der Generationenkonflikt
– wenn ein Kind später vier bis sechs erwachsene Menschen unterstützen muss. Das birgt
sehr große soziale Gefahren.“
Zur Lage der Katholiken in der Volksrepublik
sagte der Steyler Missionar:
„Sie können ihren Glauben eigentlich recht
frei leben; es wird keiner verhaftet, nur weil er sagt, er sei Christ. Was die Regierung
aber möchte: Sie will alles unter Kontrolle haben. Was sie nicht unter Kontrolle haben
kann, macht sie nervös - etwa die Untergrundkirchen, sie lassen sich nicht offiziell
registrieren. Das wird beargwöhnt, und die Gläubigen und Priester werden dazu gedrängt,
in die Patriotische Vereinigung einzutreten. Im evangelischen Bereich haben wir die
Hauskirchen. Keiner weiß genau, wie viele, einige sagen 40, einige 100 Millionen Menschen,
die in einer Grauzone der Legalität leben, ihren Glauben leben, sich aber nicht registrieren
lassen. Das mag die Regierung überhaupt nicht.“
Im Verhältnis zwischen
dem Heiligen Stuhl und der Volksrepublik beobachtet Welling eine „relative
Stille“:
„Es gab einmal die Äußerung, der Papst habe an Xi Jingping
einen Brief geschrieben, woraufhin die Vertretung der Patriotischen Kirche gleich
sagte: ,Ja, misch dich nicht in unsere inneren Angelegenheit ein!' Im Augenblick merken
wir gar nicht, dass sich etwas Positives tut. Im Gegenteil - in der letzten Zeit gab
es größere Spannungen in Wenzhou - dort wurden mittlerweile 64 Kirchen zum Teil zerstört,
die Kreuze abgenommen oder die illegalen Teile der Kirchen abgeschlagen. Dann gibt
es neue Bestimmungen für Waisenheime, die gerade die Waisenheime im Untergrund betreffen...
Der Druck ist in der letzten Wochen stärker geworden.“