Welthungerhilfe: „Hunger wird in Afrika als Waffe eingesetzt“
Extremisten gewinnen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara nach Einschätzung
der Welthungerhilfe immer mehr an Boden. Wolfgang Jamann, der Generalsekretär der
Welthungerhilfe, stellt im Interview mit unserem Partnersender Domradio besonders
besorgniserregende Entwicklungen vor.
„Es gibt mittlerweile einige Weltregionen
wie Nordafrika, Zentralasien aber auch die Sahelzone, die sich von Nigeria im Westen
bis Somalia im Osten zieht, die eine doppelte Bedrohung erleiden: Die zunehmende Verarmung,
Versteppung und Verwüstung durch Auswirkungen des Klimawandels, da gibt es immer mehr
Dürren, immer weniger Regen oder unberechenbaren Regen, der diese armen Länder vor
große Herausforderungen stellt. Und das wird dann gesteigert durch politische Destabilisierung.
Teile von Al Kaida ziehen in den Sahel, da gibt es alle möglichen Gruppierungen, die
die schon geschlagenen Länder weiter destabilisieren und für interne Vertreibungen
sorgen. Das ist leider ein neuer Trend, der sich verstetigt.”
Wie gehen
Sie als spendenfinanzierte Organisation mit dieser zunehmenden Not um?
„Wir
haben es mit immer mehr Schauplätzen zu tun, an denen wir aktiv sind. Und obwohl unsere
Spenden insgesamt etwas gestiegen sind, gibt es für diese politischen Krisen sehr
wenig Unterstützung. Es ist viel einfacher, für die Opfer von Naturkatastrophen Spenden
zu generieren, weil viele Menschen natürlich die Verantwortung für politische Krisen
erst einmal bei den politisch Handelnden suchen. Das ist ja auch richtig so. Trotzdem
braucht man für die Unterstützung der humanitär Betroffenen auch Geld, denn diese
Menschen sind ganz oft unschuldig in Not. Die Welthungerhilfe versucht ja, die Menschen
vor dem Verhungern zu retten, gleichzeitig aber auch politischen Druck auszuüben auf
die Verantwortlichen, die etwas verändern können.”
Gibt es da konkrete
Maßnahmen, die sie empfehlen?
„Absolut. Das Interessante ist, dass sich
in Afrika die zwischenstaatlichen Organisationen mittlerweile sehr engagieren und
sich in die Konfliktbewältigung einschalten. Die brauchen natürlich Unterstützung.
Das sind oft arme Länder, die selber versuchen, politischen Einfluss zu nehmen. Die
brauchen diplomatische und politische Unterstützung z.B. seitens der Europäischen
Gemeinschaft. Wir fordern dies auch von der EU ein, weil die zwischenstaatlichen Organisationen
in diesen Regionen am meisten bewirken können. Zudem haben wir im Norden
Verantwortung durch unseren Lebensstil. Wir machen es den Menschen in Afrika wirklich
nicht einfach, ihre Lebensbedingungen selber zu verbessern, weil wir mit unserer Überflussgesellschaft
auf das Marktgeschehen Einfluss nehmen und überflüssige Nahrungsmittel auf afrikanische
Märkte abladen. Dadurch verschlechtern sich dort die Einkommensmöglichkeiten, was
wiederum zur Destabilisierung beiträgt.”
Gleichzeitig steigt das Risiko
für die Helfer durch ein labiles politisches Umfeld. Wie geht die Welthungerhilfe
mit den gestiegenen Risiken um?
„Die Welthungerhilfe ist mittlerweile in
über 25 fragilen Staaten unterwegs. Das sind Staaten, in denen sehr viele Gefahren
herrschen, und unsere Mitarbeiter sind diesen Gefahren ausgesetzt. Sie sind zwar in
der Regel hervorragend vorbereitet und geschult mit speziellen Sicherheitstrainings.
Wir sind auch sehr vorsichtig. Wenn wir bei der Analyse feststellen, dass unsere Mitarbeiter
dort nicht mehr sicher arbeiten können, ziehen wir uns zurück. Unsere Mitarbeiter
können auch jederzeit sagen, dass sie dort nicht mehr arbeiten können oder wollen.
Trotzdem sind Risiken nicht komplett auszuschließen, das Umfeld für unsere Mitarbeiter
wird immer schwieriger.“
In Syrien gibt es mitten im Bürgerkrieg Präsidentschaftswahlen
- glauben Sie, dass das den Menschen auch nur irgendwie hilft?
„Es ist ein
extrem schwieriges politisches Umfeld, da sehen wir keine Hoffnungssignale. Der Konflikt
hat eine humanitäre Dimension angenommen, die ohne Vergleich ist. Da gibt es über
drei Millionen Menschen, die intern auf der Flucht sind. Neun Millionen Menschen brauchen
Hilfe und bekommen sie ganz oft nicht. Hier wird von der Regierung und auch der Rebellenbewegung
Hunger als Waffe eingesetzt. Wir als humanitäre Helfer können dort gar nicht mehr
arbeiten. Wir senden dort keine Mitarbeiter mehr hin, sondern arbeiten ausschließlich
mit lokalen Bürgerkomitees, und selbst die geraten in Gefahr. Politische Hoffnungsschimmer
sehen wir nicht, wir brauchen aber unbedingt Zugang zu den von der humanitären Katastrophe
Betroffenen, z.B. über Korridore und Schutzzonen. Es ist humanitär überhaupt nicht
hinzunehmen, dass Hunderttausende schlichtweg verhungern, weil dort politische Konflikte
ausgetragen werden.“