2014-06-04 11:00:44

Welthungerhilfe: „Hunger wird in Afrika als Waffe eingesetzt“


Extremisten gewinnen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara nach Einschätzung der Welthungerhilfe immer mehr an Boden. Wolfgang Jamann, der Generalsekretär der Welthungerhilfe, stellt im Interview mit unserem Partnersender Domradio besonders besorgniserregende Entwicklungen vor.

„Es gibt mittlerweile einige Weltregionen wie Nordafrika, Zentralasien aber auch die Sahelzone, die sich von Nigeria im Westen bis Somalia im Osten zieht, die eine doppelte Bedrohung erleiden: Die zunehmende Verarmung, Versteppung und Verwüstung durch Auswirkungen des Klimawandels, da gibt es immer mehr Dürren, immer weniger Regen oder unberechenbaren Regen, der diese armen Länder vor große Herausforderungen stellt. Und das wird dann gesteigert durch politische Destabilisierung. Teile von Al Kaida ziehen in den Sahel, da gibt es alle möglichen Gruppierungen, die die schon geschlagenen Länder weiter destabilisieren und für interne Vertreibungen sorgen. Das ist leider ein neuer Trend, der sich verstetigt.”

Wie gehen Sie als spendenfinanzierte Organisation mit dieser zunehmenden Not um?

„Wir haben es mit immer mehr Schauplätzen zu tun, an denen wir aktiv sind. Und obwohl unsere Spenden insgesamt etwas gestiegen sind, gibt es für diese politischen Krisen sehr wenig Unterstützung. Es ist viel einfacher, für die Opfer von Naturkatastrophen Spenden zu generieren, weil viele Menschen natürlich die Verantwortung für politische Krisen erst einmal bei den politisch Handelnden suchen. Das ist ja auch richtig so. Trotzdem braucht man für die Unterstützung der humanitär Betroffenen auch Geld, denn diese Menschen sind ganz oft unschuldig in Not. Die Welthungerhilfe versucht ja, die Menschen vor dem Verhungern zu retten, gleichzeitig aber auch politischen Druck auszuüben auf die Verantwortlichen, die etwas verändern können.”

Gibt es da konkrete Maßnahmen, die sie empfehlen?

„Absolut. Das Interessante ist, dass sich in Afrika die zwischenstaatlichen Organisationen mittlerweile sehr engagieren und sich in die Konfliktbewältigung einschalten. Die brauchen natürlich Unterstützung. Das sind oft arme Länder, die selber versuchen, politischen Einfluss zu nehmen. Die brauchen diplomatische und politische Unterstützung z.B. seitens der Europäischen Gemeinschaft. Wir fordern dies auch von der EU ein, weil die zwischenstaatlichen Organisationen in diesen Regionen am meisten bewirken können.
Zudem haben wir im Norden Verantwortung durch unseren Lebensstil. Wir machen es den Menschen in Afrika wirklich nicht einfach, ihre Lebensbedingungen selber zu verbessern, weil wir mit unserer Überflussgesellschaft auf das Marktgeschehen Einfluss nehmen und überflüssige Nahrungsmittel auf afrikanische Märkte abladen. Dadurch verschlechtern sich dort die Einkommensmöglichkeiten, was wiederum zur Destabilisierung beiträgt.”

Gleichzeitig steigt das Risiko für die Helfer durch ein labiles politisches Umfeld. Wie geht die Welthungerhilfe mit den gestiegenen Risiken um?

„Die Welthungerhilfe ist mittlerweile in über 25 fragilen Staaten unterwegs. Das sind Staaten, in denen sehr viele Gefahren herrschen, und unsere Mitarbeiter sind diesen Gefahren ausgesetzt. Sie sind zwar in der Regel hervorragend vorbereitet und geschult mit speziellen Sicherheitstrainings. Wir sind auch sehr vorsichtig. Wenn wir bei der Analyse feststellen, dass unsere Mitarbeiter dort nicht mehr sicher arbeiten können, ziehen wir uns zurück. Unsere Mitarbeiter können auch jederzeit sagen, dass sie dort nicht mehr arbeiten können oder wollen. Trotzdem sind Risiken nicht komplett auszuschließen, das Umfeld für unsere Mitarbeiter wird immer schwieriger.“

In Syrien gibt es mitten im Bürgerkrieg Präsidentschaftswahlen - glauben Sie, dass das den Menschen auch nur irgendwie hilft?

„Es ist ein extrem schwieriges politisches Umfeld, da sehen wir keine Hoffnungssignale. Der Konflikt hat eine humanitäre Dimension angenommen, die ohne Vergleich ist. Da gibt es über drei Millionen Menschen, die intern auf der Flucht sind. Neun Millionen Menschen brauchen Hilfe und bekommen sie ganz oft nicht. Hier wird von der Regierung und auch der Rebellenbewegung Hunger als Waffe eingesetzt. Wir als humanitäre Helfer können dort gar nicht mehr arbeiten. Wir senden dort keine Mitarbeiter mehr hin, sondern arbeiten ausschließlich mit lokalen Bürgerkomitees, und selbst die geraten in Gefahr. Politische Hoffnungsschimmer sehen wir nicht, wir brauchen aber unbedingt Zugang zu den von der humanitären Katastrophe Betroffenen, z.B. über Korridore und Schutzzonen. Es ist humanitär überhaupt nicht hinzunehmen, dass Hunderttausende schlichtweg verhungern, weil dort politische Konflikte ausgetragen werden.“

(domradio 04.06.2014 pr)








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