Sie war vor allem
eine Reise der Gesten, die Nahost-Visite von Papst Franziskus. „Sensationell“ fand
Günther Bernd Ginzel diese Gesten: Ginzel ist ein jüdischer deutscher Journalist und
sehr engagiert im Gespräch zwischen Christen, Juden und Muslimen. Im Kölner Domradio
sagte er, Franziskus habe vor allem mit seinem Besuch im Holocaust-Memorial Yad Vashem
am Montag „den Nerv getroffen, den auch der Vor-Vorgänger, Johannes Paul II, getroffen
hatte“.
„Das Bild des polnischen Papstes mit der kranken, gebrechlichen
Überlebenden aus Polen, die gemeinsam da saßen und darüber nachdachten, wie es möglich
ist, was hier auf dieser Welt in dieser Zeit geschehen ist – das war eindringlich.
Papst Franziskus hat nun zu einer anderen Geste gefunden, aber auch weil die israelischen
Gastgeber das so vorbereitet hatten. Als erstes sprach er mit einer alten Dame, die
als Fünfjährige gerettet wurde, weil sie in einem Kloster vor den Nazis versteckt
wurde. Und diese alte Dame sagt: ‚Meine wahre Familie - alle anderen sind umgebracht
worden - sind die Nonnen.’ Und der Papst, tiefgebeugt vor ihr, ergreift die Hände
und küsst sie. Das hat er bei den anderen vier Überlebenden und ihren schrecklichen
Geschichten auch getan. Das ist mehr als alles andere, was an Worten noch auszudrücken
wäre.“
Beeindruckt ist Ginzel auch von der Einladung des Papstes an die
Präsidenten von Israel und Palästina, zu einem Gebet um den Frieden demnächst in den
Vatikan zu kommen. Im Juni oder in der ersten Julihälfte werden also Palästinenserpräsident
Mahmud Abbas und Israels Präsident und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres – der
Mitte Juli aus dem Amt scheidet – nach Rom kommen.
„Dies ist ein Beispiel
dafür, dass wohl noch nie eine Pilgerfahrt eines Papstes ins Heilige Land so hoch
politisch war wie diese, ohne dass das jetzt demonstrativ herübergekommen wäre. Was
also hat er gemacht? Er hat eine wunderbare Idee. Was fehlt in diesem Nahen Osten?
Was funktioniert seit Generationen nicht? - Der Dialog. Jede Seite beharrt auf ihrem
Standpunkt, sie sieht das eigene Leiden, sie verweigert die Anerkennung des Leidens
der anderen. Darin unterscheiden sich Palästinenser und Israelis in keiner Weise.
Und jetzt sind da zwei große alte Männer kurz vor dem Ende ihrer politischen Karriere.
Sie können sich Freiheiten erlauben und etwas tun, was andere niemals wagen würden
- sie können auf dieses überraschende Angebot des Papstes eingehen. Sie können zum
Abschluss ihres politischen Lebens dank des Papstes ein Zeichen setzen, zusammenkommen.“
„Überwältigt
von diesem katholischen Papst“
Sowohl Abbas als auch Peres sind „säkular“,
so Ginzel; für beide sei Religion „Teil der Kultur, Teil der Emotion, aber nicht Teil
der Lebenspraxis“.
„Und sie kommen zusammen, überwältigt von diesem katholischen
Papst, und werden ein Zeichen setzen, das in der Region sicherlich wahnsinnig viele
aufregen wird, wütend machen wird. Weil es genau das ist, was viele zu verhindern
versuchen! Aber das ist vielleicht sogar die Botschaft dieses ganzen Heilig-Land-Trips
des Papstes: Überwindet das, was euch bisher gehindert hat am Frieden. Versucht etwas
Neues, und ich als Papst kann euch auch nur zu Gesten ermuntern. Und dies könnte eine
Geste sein, die wiederum anderen sehr viel mehr Mut macht, über ihren Schatten zu
springen und den anderen als etwas Gleichwertiges, als einen Menschen anzunehmen.“
Dass
der Papst auf seiner Reise sowohl auf palästinensischer wie auf israelischer Seite
viel Mitgefühl gezeigt hat für alle, die unter dem Konflikt leiden, ist nach Ginzels
Eindruck „keine Show“.
„Natürlich ist es in den Palästinensergebieten sehr
gut angekommen, als er an der Mauer Station gemacht hat und mit seiner Geste gegen
die Mauer protestierte. Gleichzeitig rief er aber auch die Palästinenser zu Gewaltlosigkeit
auf, das wiederum werden die nicht gern gehört haben. Denn Franziskus zeigte auch:
Diese Mauer wäre nicht da, hätte es nicht vorher die Gewalt gegen Unschuldige gegeben.
Die Mauer ist ein Symbol dafür, wenn auf Gewalt mit Gewalt geantwortet wird.“
In
den deutschen Medien sei es kaum beachtet worden, dass Papst Franziskus auch das Grab
von Israels Staatsgründer Theodor Herzl besuchte. Dabei war das für Ginzel „der sichtbare
Bruch mit einer antijudaistischen Theologie, die zwangsläufig seit der Begründung
des Zionismus auch in einer antiisraelischen Haltung eingemündet ist“.
„Pius
X. hatte ja damals Herzl brüsk abgewiesen, als dieser um Unterstützung des Vatikans
bat. Mit diesen ‚Gottesmördern’ wollte der damalige Papst nicht zu tun haben. Er sah
Israel als Staat der Juden als eine Gefahr für die katholische Kirche. Das war der
Grund, weshalb es auch lange nicht zu diplomatischen Beziehungen zwischen Vatikan
und Israel gekommen war. Das begann erst unter Johannes Paul II. Und nun geht Franziskus
diesen Schritt weiter und besucht das Grab Herzls. Das war auch eine Versöhnungsgeste
gegenüber dem Staat Israel.“
Gleichzeitig habe Franziskus dem Staat Israel
allerdings „eingebläut“, dass es „auch ein Recht der Palästinenser auf einen Staat“
gebe.
„Die Zukunft kann nur in einer Zweistaatlichkeit im Heiligen Land
liegen, ein freies Israel und ein freies Palästina. Dafür müssen wir beten, ein bisschen
mehr als nur beten.“
Letzte Frage an den jüdischen Publizisten Ginzel:
Was bleibt von der Papstreise?
„Ein großer Impuls, das Mutmachen, differenziert
auf alle Seiten zu schauen und zu überlegen, was auch die Außerstehenden tun können,
um den Dialog zwischen Islam und Juden in Gang zu bringen. Dann die sensationelle
Geste, als Franziskus auf den Tempelberg ging. Der Papst kommt dorthin, zieht die
Schuhe aus und zeigt seine Demutsgeste. Und er mahnt dabei an: Wir sind Kinder Abrahams,
lasst uns gemeinsam sein. Aber gleichzeitig sagt er auch hier Dinge, die man nicht
hören will: Es gibt keine Gewalt im Namen Gottes. Lasst ab von der Gewalt gegen andere
Menschen im Namen der Religion. Dann geht er zur Klagemauer, links und rechts neben
ihm ein jüdischer Freund und ein muslimischer Freund, in der Mitte der Papst. Das
sind Dinge, die es in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben hat! Und sie stehen
vor dem Tempelberg, der für Christen, Muslime und Juden eine der heiligsten Stätten
ist. Und der Papst umarmt beide, und so stehen die Kinder Abrahams dort umarmt. Wissen
Sie, etwas Pathos gehört mit dazu. Das sind Bilder, die bleiben.“
Das ist,
so Ginzel, „die Vision für die Zukunft, gegen alle Fundamentalisten“. Eine, wie er
glaubt, „ganz phantastische Geste, die bleiben wird“.
„Mit Sicherheit wird
auch die große Unruhe bleiben unter all den Gruppierungen auf der christlichen, jüdischen
und christlichen Seite, die eben nur eine einzige Wahrheit kennen wollen, nämlich
die jeweils eigene. Und jene, die durch diese Friedenssymbole ihren eigenen Machtanspruch
unterminiert sehen. Wir werden mit erheblichen Diskussion vor Ort zu tun haben, und
ich bin sicher, der Papst wollte das mit anstoßen.“