2014-05-28 10:59:55

Heilig-Land-Reise: Dialog wagen, Mauern aufbrechen


RealAudioMP3 Sie war vor allem eine Reise der Gesten, die Nahost-Visite von Papst Franziskus. „Sensationell“ fand Günther Bernd Ginzel diese Gesten: Ginzel ist ein jüdischer deutscher Journalist und sehr engagiert im Gespräch zwischen Christen, Juden und Muslimen. Im Kölner Domradio sagte er, Franziskus habe vor allem mit seinem Besuch im Holocaust-Memorial Yad Vashem am Montag „den Nerv getroffen, den auch der Vor-Vorgänger, Johannes Paul II, getroffen hatte“.

„Das Bild des polnischen Papstes mit der kranken, gebrechlichen Überlebenden aus Polen, die gemeinsam da saßen und darüber nachdachten, wie es möglich ist, was hier auf dieser Welt in dieser Zeit geschehen ist – das war eindringlich. Papst Franziskus hat nun zu einer anderen Geste gefunden, aber auch weil die israelischen Gastgeber das so vorbereitet hatten. Als erstes sprach er mit einer alten Dame, die als Fünfjährige gerettet wurde, weil sie in einem Kloster vor den Nazis versteckt wurde. Und diese alte Dame sagt: ‚Meine wahre Familie - alle anderen sind umgebracht worden - sind die Nonnen.’ Und der Papst, tiefgebeugt vor ihr, ergreift die Hände und küsst sie. Das hat er bei den anderen vier Überlebenden und ihren schrecklichen Geschichten auch getan. Das ist mehr als alles andere, was an Worten noch auszudrücken wäre.“

Beeindruckt ist Ginzel auch von der Einladung des Papstes an die Präsidenten von Israel und Palästina, zu einem Gebet um den Frieden demnächst in den Vatikan zu kommen. Im Juni oder in der ersten Julihälfte werden also Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Präsident und Friedensnobelpreisträger Shimon Peres – der Mitte Juli aus dem Amt scheidet – nach Rom kommen.

„Dies ist ein Beispiel dafür, dass wohl noch nie eine Pilgerfahrt eines Papstes ins Heilige Land so hoch politisch war wie diese, ohne dass das jetzt demonstrativ herübergekommen wäre. Was also hat er gemacht? Er hat eine wunderbare Idee. Was fehlt in diesem Nahen Osten? Was funktioniert seit Generationen nicht? - Der Dialog. Jede Seite beharrt auf ihrem Standpunkt, sie sieht das eigene Leiden, sie verweigert die Anerkennung des Leidens der anderen. Darin unterscheiden sich Palästinenser und Israelis in keiner Weise. Und jetzt sind da zwei große alte Männer kurz vor dem Ende ihrer politischen Karriere. Sie können sich Freiheiten erlauben und etwas tun, was andere niemals wagen würden - sie können auf dieses überraschende Angebot des Papstes eingehen. Sie können zum Abschluss ihres politischen Lebens dank des Papstes ein Zeichen setzen, zusammenkommen.“

„Überwältigt von diesem katholischen Papst“

Sowohl Abbas als auch Peres sind „säkular“, so Ginzel; für beide sei Religion „Teil der Kultur, Teil der Emotion, aber nicht Teil der Lebenspraxis“.

„Und sie kommen zusammen, überwältigt von diesem katholischen Papst, und werden ein Zeichen setzen, das in der Region sicherlich wahnsinnig viele aufregen wird, wütend machen wird. Weil es genau das ist, was viele zu verhindern versuchen! Aber das ist vielleicht sogar die Botschaft dieses ganzen Heilig-Land-Trips des Papstes: Überwindet das, was euch bisher gehindert hat am Frieden. Versucht etwas Neues, und ich als Papst kann euch auch nur zu Gesten ermuntern. Und dies könnte eine Geste sein, die wiederum anderen sehr viel mehr Mut macht, über ihren Schatten zu springen und den anderen als etwas Gleichwertiges, als einen Menschen anzunehmen.“

Dass der Papst auf seiner Reise sowohl auf palästinensischer wie auf israelischer Seite viel Mitgefühl gezeigt hat für alle, die unter dem Konflikt leiden, ist nach Ginzels Eindruck „keine Show“.

„Natürlich ist es in den Palästinensergebieten sehr gut angekommen, als er an der Mauer Station gemacht hat und mit seiner Geste gegen die Mauer protestierte. Gleichzeitig rief er aber auch die Palästinenser zu Gewaltlosigkeit auf, das wiederum werden die nicht gern gehört haben. Denn Franziskus zeigte auch: Diese Mauer wäre nicht da, hätte es nicht vorher die Gewalt gegen Unschuldige gegeben. Die Mauer ist ein Symbol dafür, wenn auf Gewalt mit Gewalt geantwortet wird.“

In den deutschen Medien sei es kaum beachtet worden, dass Papst Franziskus auch das Grab von Israels Staatsgründer Theodor Herzl besuchte. Dabei war das für Ginzel „der sichtbare Bruch mit einer antijudaistischen Theologie, die zwangsläufig seit der Begründung des Zionismus auch in einer antiisraelischen Haltung eingemündet ist“.

„Pius X. hatte ja damals Herzl brüsk abgewiesen, als dieser um Unterstützung des Vatikans bat. Mit diesen ‚Gottesmördern’ wollte der damalige Papst nicht zu tun haben. Er sah Israel als Staat der Juden als eine Gefahr für die katholische Kirche. Das war der Grund, weshalb es auch lange nicht zu diplomatischen Beziehungen zwischen Vatikan und Israel gekommen war. Das begann erst unter Johannes Paul II. Und nun geht Franziskus diesen Schritt weiter und besucht das Grab Herzls. Das war auch eine Versöhnungsgeste gegenüber dem Staat Israel.“

Gleichzeitig habe Franziskus dem Staat Israel allerdings „eingebläut“, dass es „auch ein Recht der Palästinenser auf einen Staat“ gebe.

„Die Zukunft kann nur in einer Zweistaatlichkeit im Heiligen Land liegen, ein freies Israel und ein freies Palästina. Dafür müssen wir beten, ein bisschen mehr als nur beten.“

Letzte Frage an den jüdischen Publizisten Ginzel: Was bleibt von der Papstreise?

„Ein großer Impuls, das Mutmachen, differenziert auf alle Seiten zu schauen und zu überlegen, was auch die Außerstehenden tun können, um den Dialog zwischen Islam und Juden in Gang zu bringen. Dann die sensationelle Geste, als Franziskus auf den Tempelberg ging. Der Papst kommt dorthin, zieht die Schuhe aus und zeigt seine Demutsgeste. Und er mahnt dabei an: Wir sind Kinder Abrahams, lasst uns gemeinsam sein. Aber gleichzeitig sagt er auch hier Dinge, die man nicht hören will: Es gibt keine Gewalt im Namen Gottes. Lasst ab von der Gewalt gegen andere Menschen im Namen der Religion. Dann geht er zur Klagemauer, links und rechts neben ihm ein jüdischer Freund und ein muslimischer Freund, in der Mitte der Papst. Das sind Dinge, die es in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben hat! Und sie stehen vor dem Tempelberg, der für Christen, Muslime und Juden eine der heiligsten Stätten ist. Und der Papst umarmt beide, und so stehen die Kinder Abrahams dort umarmt. Wissen Sie, etwas Pathos gehört mit dazu. Das sind Bilder, die bleiben.“

Das ist, so Ginzel, „die Vision für die Zukunft, gegen alle Fundamentalisten“. Eine, wie er glaubt, „ganz phantastische Geste, die bleiben wird“.

„Mit Sicherheit wird auch die große Unruhe bleiben unter all den Gruppierungen auf der christlichen, jüdischen und christlichen Seite, die eben nur eine einzige Wahrheit kennen wollen, nämlich die jeweils eigene. Und jene, die durch diese Friedenssymbole ihren eigenen Machtanspruch unterminiert sehen. Wir werden mit erheblichen Diskussion vor Ort zu tun haben, und ich bin sicher, der Papst wollte das mit anstoßen.“

(domradio/rv 28.05.2014 sk)








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