»Dann verließ Jesus die Stadt und ging … zum Ölberg; seine Jünger folgten ihm« (Lk
22,39). Als die von Gott festgelegte Stunde gekommen ist, die Menschheit von
der Knechtschaft der Sünde zu befreien, zieht Jesus sich hierher, nach Getsemani,
an den Fuß des Ölbergs zurück. Wir befinden uns an diesem heiligen Ort, der durch
das Gebet Jesu, durch seine Angst, durch sein Blutschwitzen geheiligt ist; geheiligt
vor allem durch sein „Ja“ zum liebenden Willen des Vaters. Beinahe scheuen wir uns,
den Gefühlen nachzuspüren, die Jesus in jener Stunde empfunden hat; gleichsam auf
Zehenspitzen treten wir in jenen inneren Ort ein, wo das Drama der Welt entschieden
wurde. In jener Stunde hat Jesus das Bedürfnis gespürt zu beten und seine Jünger,
seine Freunde, die ihm gefolgt waren und seine Sendung ganz von nahem geteilt hatten,
bei sich zu haben. Doch hier in Getsemani wird die Nachfolge schwieriger und unsicherer;
Zweifel, Müdigkeit und Schrecken nehmen überhand. In der sich überstürzenden Abfolge
der Passion Jesu nehmen die Jünger unterschiedliche Haltungen gegenüber dem Meister
ein: Nähe, Entfernung, Unsicherheit.
Uns allen – Bischöfen, Priestern, gottgeweihten
Personen und Seminaristen – wird es gut tun, uns zu fragen: Wer bin ich vor dem leidenden
Herrn? Gehöre ich zu denen, die von Jesus aufgefordert sind, mit ihm zu wachen,
und stattdessen einschlafen; die anstatt zu beten, versuchen zu entrinnen, indem sie
die Augen vor der Realität verschließen? Erkenne ich mich in denen, die aus Angst
geflohen sind und den Meister in der tragischsten Stunde seines Erdenlebens verlassen
haben? Gibt es in mir etwa die Doppelzüngigkeit, die Falschheit dessen, der Jesus
für dreißig Silberlinge verkauft hat; der Freund genannt worden war und ihn trotzdem
verraten hat? Erkenne ich mich in denen, die schwach waren und ihn verleugnet haben
wie Petrus? Er hatte Jesus kurz zuvor versprochen, ihm bis in den Tod zu folgen (vgl.
Lk 22,33); als er dann in die Enge getrieben und von Angst überfallen wird,
schwört er, ihn nicht zu kennen. Bin ich denen ähnlich, die ihr Leben bereits ohne
ihn organisierten wie die beiden Emmausjünger, die die Worte der Propheten nicht begreifen
und denen es schwer fällt, an sie zu glauben (vgl. Lk 24,25)? Oder befinde
ich mich dank Gottes Gnade unter denen, die treu waren bis zum Ende, wie die Jungfrau
Maria und der Apostel Johannes? Als auf Golgotha alles dunkel wird und jede Hoffnung
erschöpft scheint, ist nur die Liebe stärker als der Tod. Die Liebe drängt die Mutter
und den Lieblingsjünger, am Fuß des Kreuzes auszuharren, um Jesu Schmerz bis zur Neige
zu teilen. Erkenne ich mich in denen, die ihren Herrn und Meister bis zum Martyrium
nachgeahmt und damit bezeugt haben, wie er ihnen alles war, die unvergleichliche Kraft
für ihre Sendung und der letzte Horizont ihres Lebens?
Die Freundschaft Jesu
zu uns, seine Treue und seine Barmherzigkeit sind das unschätzbare Geschenk, das uns
ermutigt, unseren Weg der Nachfolge vertrauensvoll fortzusetzen, auch wenn wir gefallen
sind, Fehler gemacht und ihn verraten haben. Doch diese Güte des Herrn entbindet
uns nicht der Wachsamkeit gegenüber dem Versucher, der Sünde, dem Bösen und dem Verrat,
die auch das Leben der Priester und der Ordensleute durchkreuzen können. Wir spüren
das Missverhältnis zwischen der Größe der Berufung und unserer Kleinheit, zwischen
der Erhabenheit der Sendung und unserer menschlichen Hinfälligkeit. Doch in seiner
großen Güte und unendlichen Barmherzigkeit nimmt uns der Herr immer bei der Hand,
damit wir uns nicht von der Erschütterung überfluten lassen. Er ist immer an unserer
Seite, er lässt uns nie allein. Lassen wir uns also nicht von Angst und Trostlosigkeit
besiegen, sondern gehen wir mutig und zuversichtlich voran auf unserem Weg und in
unserer Sendung. Ihr, liebe Brüder und Schwestern, seid berufen, dem Herrn in diesem
gesegneten Land voll Freude nachzufolgen! Das ist ein Geschenk und eine Verantwortung.
Eure Präsenz hier ist sehr wichtig; die ganze Kirche ist euch dankbar und unterstützt
euch mit dem Gebet. Tun wir es der Jungfrau Maria und dem heiligen Johannes gleich
und stehen wir bei den vielen Kreuzen, an denen Jesus noch gekreuzigt ist. Das ist
der Weg, auf dem unser Erlöser uns in seine Nachfolge ruft. »Wenn einer mir dienen
will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein« (Joh
12,26).(rv)