„Niemals
mehr o Herr, niemals mehr!“ Mit diesen Worten hat Papst Franziskus in Jerusalem der
von den Nationalsozialisten ermordeten Juden gedacht. Seine Ansprache in der Holocaust-Gedenkstätte
Yad Vashem an diesem Montagmorgen war eine Meditation, die um diese drei Begriffe
kreiste: Schmerz, Schuld und Erbarmen. Am Ende ging der Papst dabei ins Gebet über.
„Adam, wo bist du? (vgl. Gen 3,9) Wo bist du, o Mensch? Wohin bist du gekommen?“
Yad
Vashem – das bedeutet Gedenken an die Namen, an all die Menschen, die in der Shoah
ermordet wurden. Sie seien „für immer verankert im Gedächtnis des Allmächtigen Gottes“,
hatte Benedikt XVI. hier vor fünf Jahren betont. Das Holocaust-Memorial wurde 1953
durch einen Beschluss der Knesset eingerichtet; zu ihm gehören mehrere Museen, Forschungsinstitute
und Orte der Erinnerung an die über sechs Millionen von den Nazis getöteten Juden.
Franziskus setzte in seiner Meditation die „Tragödie des Holocaust“ in Bezug zum Sündenfall:
„Der
Vater kannte das Risiko der Freiheit; er wusste, dass der Sohn verlorengehen könnte…
doch vielleicht konnte nicht einmal der Vater sich einen solchen Fall, einen solchen
Abgrund vorstellen! Jener Ruf ,Wo bist du?‘ tönt hier, angesichts der unermesslichen
Tragödie des Holocaust wie eine Stimme, die sich in einem bodenlosen Abgrund verliert…
Mensch, wer bist du? Ich erkenne dich nicht mehr. Wer bist du, o Mensch, Wer bist
du geworden? Zu welchem Gräuel bist du fähig gewesen? Was hat dich so tief fallen
lassen?“
Gott, der seine Schöpfung nicht mehr wiedererkennt – doch nicht
die Schöpfung trage die Schuld, der Mensch sei gut gemacht:
„Nein, dieser
Abgrund kann nicht allein dein Werk sein, ein Werk deiner Hände, deines Herzens…“
Lange sprach der Papst nicht, doch waren seine Worte intensiv und ernst.
Die Meditation erinnerte ein wenig an seine Ansprache auf der Mittelmeerinsel Lampedusa,
die Worte, die Franziskus dort für das Leid an die Flüchtlinge fand: ,Kain, wo ist
dein Bruder?‘, hatte er damals gefragt. Auch in Yad Vashem meditierte Franziskus über
die Abgründe des Menschen, die Versuchung des Bösen.
„Wer hat dich verdorben?
Wer hat dich verunstaltet? Wer hat dich angesteckt mit der Anmaßung, dich zum Herrn
über Gut und Böse zu machen? Wer hat dich überzeugt, dass du Gott bist? Nicht nur
gefoltert und getötet hast du deine Brüder, sondern du hast sie als Opfer dir selber
dargebracht, denn du hast dich zum Gott erhoben. Heute hören wir hier wieder die Stimme
Gottes: Adam, wo bist du?“
Ausgehend vom alttestamentarischen Buch Baruch
verband der Papst das Schuldbekenntnis dann mit der Bitte um Vergebung:
„Ein
Übel ist über uns gekommen, wie es unter dem ganzen Himmel noch nie geschehen ist.
Jetzt aber, o Herr, höre unser Gebet, erhöre unser Flehen, rette uns um deiner Barmherzigkeit
willen. Errette uns aus dieser Ungeheuerlichkeit.“
Aus der Meditation ging
der Papst dann über ins Gebet: Gegen Gott hat der Mensch gesündigt, Gottes Erbarmen
braucht der Mensch. Die Scham über das Begangene sei eine „Gnade“, so der Papst.
„Denk
an uns in deiner Barmherzigkeit. Gib uns die Gnade, uns zu schämen für das, was zu
tun wir als Menschen fähig gewesen sind, uns zu schämen für diesen äußersten Götzendienst,
unser Fleisch, das du aus Lehm geformt und das du mit deinem Lebensatem belebt hast,
verachtet und zerstört zu haben. Niemals mehr, o Herr, niemals mehr!“
Ins
Ehrenbuch der Gedenkstätte schrieb der Papst nach seiner Meditation auf Spanisch:
„Mit Scham über das, was der Mensch, der im Bild und der Ähnlichkeit Gottes
nach geschaffen wurde, fähig war zu tun; mit der Scham des Menschen, der sich zum
Herrn des Bösen gemacht hat; mit der Scham über das, was der Mensch, der sich für
Gott hielt, geopfert hat für sich selbst und für seine Brüder. Nie wieder, nie wieder!" In
der „Halle der Erinnerung“ stellte der Papst die Ewige Flamme höher und legte einen
Kranz auf dem Mosaikboden nieder, wo die Namen der Vernichtungslager verzeichnet sind.
Anschließend betete er mit gebeugtem Haupt still vor einer Steinplatte, unter der
die Asche von Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungslager begraben ist. Vor
seiner Meditation sprach Franziskus kurz mit sechs Überlebenden des Holocaust, wobei
er vorab jedem einzelnen - für alle überraschend - die Hände küsste. Begleitet wurde
er von Staatspräsident Schimon Peres und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
Bei
seiner Ankunft in Israel hatte Franziskus am Sonntag den Besuch in Yad Vashem als
einen „besonderen Moment“ seines Aufenthalts bezeichnet. Die Schoah, der sechs Millionen
Juden zum Opfer gefallen seien, bleibe ein Symbol dafür, „wie weit die Ruchlosigkeiten
des Menschen gehen, wenn er, durch falsche Ideologien angestiftet, die grundlegende
Würde eines jeden Menschen vergisst“, sagte er auf dem Flughafen von Tel Aviv. Er
bete zu Gott, dass ein solches Verbrechen nie wieder geschehe. Auch viele Christen
und andere seien ihm zum Opfer gefallen.