2014-05-20 08:34:58

Das Kreuz in der Debatte: Ein Kommentar von Weihbischof Anton Losinger


Die EU und religiöse Symbole: Ein Debattenbeitrag aus geistlicher Sicht von Anton Losinger, Weihbischof in Augsburg und Mitglied des deutschen Ethikrates.

Das Kreuz in der Debatte

Das Kreuz Jesu Christi steht erneut zur Debatte. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat bei der Europawahl, Martin Schulz, will alle religiösen Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannen. Vor einigen Tagen hatte er in einer TV-Debatte gesagt, dass zwar jeder die Möglichkeit haben solle, seinen Glauben persönlich zu zeigen. Der öffentliche Ort müsse jedoch „neutral" sein, darauf müsse er bestehen. Schulz sieht in Europa „das Risiko einer sehr konservativen Bewegung zurück". Dies müsse bekämpft werden.

Uns bewegt auf bundesdeutscher Ebene das hochumstrittene „Kruzifixurteil“ des Bundesverfassungsgerichts. Am 16. Mai 1995 hatte das höchste Gericht der Republik verkündet, dass es im Namen des hohen Gutes der Religionsfreiheit einem Schüler nicht zumutbar sei, unter dem Kreuz zu lernen, und deshalb das Kreuz - auch gegen den Willen der Mehrheit der Mitschüler - aus seinem Klassenzimmer zu entfernen sei.

Wir erlebten daraufhin eine tiefe Entrüstung bei vielen Christen, empörte Leserbriefserien in allen großen Zeitungen, Eltern, die sich zu Wort meldeten und ihren Elternwillen zu einer christlichen Erziehung ihrer Kinder „unter dem Kreuz“ dokumentierten, und klare Gegenpositionen aus allen kirchlichen Ebenen und die größte kirchliche Demonstration der Republik. Wollen wir wirklich eine Bildung ohne das Kreuz? Ohne religiösen Bezugspunkt? Ohne Sinnfragen? Ohne die grundlegende Wertedimensionen eines christlichen Abendlandes?

Über die rechtliche Debatte hinaus ist dies der entscheidende Punkt, der uns als Christen zutiefst beunruhigen und herausfordern muss. Es ist die zentrale Frage: Welche Bedeutung hat das Kreuz für uns? Warum brauchen wir das Kreuz? Und in welchen Räumen?

Ich plädiere für für das Kreuz in unseren Schulen:

    Wir brauchen das Kreuz in den Schulen

Denn vor allem junge Menschen suchen heute Orientierung und Halt! Wo sie keine Antworten bekommen, entsteht geistige Not. Da gerät unsere Gesellschaft in dramatische Schieflagen! Gerade in diesen Tagen, da uns Amoktaten an unseren Schulen aufschrecken, wird uns so deutlich wie selten bewusst, wie wichtig tragende geistige Maßstäbe für das Leben junger Menschen sind.

Es wäre ein bitterer Fehler unserer Erwachsenenwelt, zu meinen, Kinder lebten in einer heilen Welt und hätten keine Probleme, oder die Probleme von Kindern wären klein, nur weil die Kinder klein sind! Im Gegenteil: Gerade Kinder und junge Menschen von heute brauchen dringender denn je Antworten auf die Sinnfragen, die Leidfragen ihres Lebens sind. Sie brauchen religiöse Zuwendung, sie brauchen Religionsunterricht und sie brauchen ein Gesicht, in das sie blicken können in ihren Zweifeln und auch Ängsten, die eben nicht pädagogisch und psychologisch geglättet werden können. Dafür steht das Kreuz in unseren Klasszimmern, dafür steht das Gesicht des liebenden, mitleidenden Christus!

Geradezu ein Signal ist für mich hier die sympathische junge Studentin Sophie Scholl, Mitglied des Widerstandskreises „Weisse Rose“, die nach einer mißglückten Flugblattaktion im Lichthof der Münchener Universität verhaftet und sehr schnell am 24. Februar 1943 durch das Fallbeil in München Stadelheim hingerichtet wurde. Von ihr gibt es Aufzeichnungen und Briefe aus der Haft. Da legt sie den Finger in die Wunde: „Das mache ich Dir zum Vorwurf, du denkender Mensch in dieser Schicksalsstunde unserer Geschichte. Du verwendest alle Kraft und Energie auf die letzte Perfektionierung des Maschinengewehrs, aber die wesentlichsten aller Fragen lässt du außer Acht: Die Frage Wohin? Und die Frage Warum?“
Dafür steht das Kreuz in unseren Schulen!

Ein wesentlicher Platz für das Kreuz sind die Orte von Leid und Krankheit.

    Wir brauchen das Kreuz in den Krankenhäusern

Leid und Krankheit ist immer gegenwärtig in unserem Leben. Trotz all der Möglichkeiten modernster Wissenschaft und Technik, trotz höchster medizinischer Kunst werden wir die Hinfälligkeit des Leidens nie beseitigen. Leiden, Krankheit und Tod, das gehört unentrinnbar tief hinein in unsere menschliche Existenz. Besonders im medizinischen Bereich ist uns doch in jüngster Zeit, trotz der phantastischen Möglichkeiten und Aussichten, die uns die moderne Gentechnologie und Biomedizin verheißt, vieles fraglich geworden. All die Zweifel und Proteste um gentechnische Verfahren, die Grenzen der Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik, die Fragen nach dem Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens, der Kampf um den Schutz des unantastbaren Lebensrechtes der Person – all das zeigt die Kehrseite einer wissenschaftlichen Entwicklung, die wachsende Ängste in den Menschen entstehen lässt.

Hier begegnet uns ganz aktuell eine sehr drückende Frage: Warum erbitten heute mehr und mehr ältere Menschen in ihren Patientenverfügungen aktive Sterbehilfe? Warum wollen sie künstlich aus dem Leben befördert werden? In unseren Untersuchungen im Deutschen Ethikrat ergaben sich zwei Antworten: Erstens die Angst vor großen unerträglichen Schmerzen. Und zweitens die Angst davor, ein unübersehbarer Pflegefall zu werden und – wie die Menschen das drastisch ausdrücken – dahinzusiechen.

Auf beide Ängste hätten wir theoretisch gute Antworten: Erstens die Forderung nach palliativmedizinischer Ausbildung der Ärzte und verstärkter Forschung in der Schmerzmedizin, um den Menschen die Angst vor unerträglichen Schmerzen zu nehmen. Und zweitens das Hospiz. Menschen sollen in dieser letzten entscheidenden Phase ihres Lebens menschlich begleitet, in Frieden und liebevoller Geborgenheit dem wichtigsten Ziel des Lebens entgegen gehen können: dem Sterben.

Aber alle die theoretischen Lösungen werden in dieser Situation zweitrangig, wenn Menschen keinen Halt und wirklichen Trost finden.

Gott nimmt das Leid nicht weg. Die Schwerkraft der Geschichte, das Negative des Leidens bleibt bestehen, solange wir als Menschen leben. Aber eines ist anders: Das Leid hat mit dem Karfreitag eine andere Dimension bekommen. Gott ist im Leiden nicht fern! Und darum gibt es keine Ecke unserer Existenz, die so dunkel wäre, dass Gott sie nicht kennt! Der bleibende Trost, den Gott schenkt, ist eine neue Dimension:

Darum brauchen wir das Kreuz in unseren Krankenzimmern, in den Pflegeheimen und zuhause, wo Menschen von Angehörigen gepflegt werden, damit kranke und sterbende Menschen mit Hoffnung auf den leidenden Christus blicken können, und in liebender menschlicher Zuneigung leben und auch sterben dürfen, wenn es an der Zeit ist.

Deshalb treten wir in der Kirche mit Leidenschaft ein gegen kommerzielle Sterbehilfeorganisation wie DIGNITAS oder EXIT, und auch gegen die Praktiken, die allesamt ein Geschäft mit dem Tod machen.

Deshalb sind wir gegen ärztlich assistierten Suizid – Ärzte sind Heiler und Helfer - und wenden uns gegen ein Ärztebild, das sich vom Heiler zum Vollstrecker wandelt. Darum stemmen wir uns vehement gegen Tötung auf Verlangen. Weil um Jesu willen kein Mensch durch die Hand eines anderen aktiv exekutiert, oder auch nur durch sublimes Drängen seiner Umgebung in den Tod gedrängt werden soll.

Darum schließlich ein letzter Ort, an dem wir das Kreuz brauchen.

    Wir brauchen das Kreuz in unserm Alltag

Wir brauchen heute Kreuze in den Herrgottswinkeln unserer Familien, wir brauchen Gipfelkreuze auf unseren Bergen, wir brauchen das Kreuz auch in den Gerichtssälen, in den Amtszimmern und in der politischen Öffentlichkeit. Das Kreuz ist wichtig, damit die Menschen das richtige menschenwürdige Maß bewahren und sich nicht überheben über die Würde des anderen. Das Kreuz ist wichtig, damit wir immer wieder die eigene Endlichkeit und Begrenztheit realisieren gegen die Kreuzigung und Erniedrigung des Nächsten! Das Kreuz in unseren Lebensräumen ist wichtig, damit uns an den Kreuzungspunkten unserer Existenz, auch in der Not und im Leid die Hoffnung bewahrt bleibt. Das macht den Unterschied!

„Welchen Unterschied werdet ihr machen?“

Das Kreuz, seine heilende Gegenwart, ist aber zugleich auch eine große Herausforderung vor allem an die junge Generation und ihren Glauben. Papst Benedikt XVI. machte dies beim XXIII. Weltjugendtag in Australien zum Thema seiner Ansprache vor Tausenden junger Menschen in Sydney. Im abendlichen Kreuzweg, den er mit den jungen Leuten ging, spitzt er es auf diese Entscheidungsfrage an die junge Generation zu: „Welchen Unterschied werdet ihr machen?“

„Liebe junge Freunde,“ sagt der Papst, „erlaubt mir, Euch jetzt eine Frage zu stellen. Was werdet Ihr der nächsten Generation hinterlassen? Baut Ihr Euer Leben auf festen Fundamenten und errichtet Ihr etwas, das Bestand haben wird? Lebt Ihr Euer Leben auf eine Weise, die inmitten einer Welt, die Gott vergessen will oder ihn im Namen einer falsch verstandenen Freiheit sogar ablehnt, Raum schafft für den Geist? Wie setzt Ihr die Gaben ein, die ihr empfangen habt, die Kraft, die der Heilige Geist auch jetzt in Euch freisetzen möchte? Welches Erbe werdet Ihr jenen jungen Menschen hinterlassen, die nach Euch kommen? Welchen Unterschied werdet Ihr machen?“

Anton Losinger, Weihbischof in Augsburg








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