Das Kreuz in der Debatte: Ein Kommentar von Weihbischof Anton Losinger
Die EU und religiöse Symbole: Ein Debattenbeitrag aus geistlicher Sicht von Anton
Losinger, Weihbischof in Augsburg und Mitglied des deutschen Ethikrates.
Das
Kreuz in der Debatte
Das Kreuz Jesu Christi steht erneut zur Debatte. Der
sozialdemokratische Spitzenkandidat bei der Europawahl, Martin Schulz, will alle religiösen
Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannen. Vor einigen Tagen hatte er in einer TV-Debatte
gesagt, dass zwar jeder die Möglichkeit haben solle, seinen Glauben persönlich zu
zeigen. Der öffentliche Ort müsse jedoch „neutral" sein, darauf müsse er bestehen.
Schulz sieht in Europa „das Risiko einer sehr konservativen Bewegung zurück". Dies
müsse bekämpft werden.
Uns bewegt auf bundesdeutscher Ebene das hochumstrittene
„Kruzifixurteil“ des Bundesverfassungsgerichts. Am 16. Mai 1995 hatte das höchste
Gericht der Republik verkündet, dass es im Namen des hohen Gutes der Religionsfreiheit
einem Schüler nicht zumutbar sei, unter dem Kreuz zu lernen, und deshalb das Kreuz
- auch gegen den Willen der Mehrheit der Mitschüler - aus seinem Klassenzimmer zu
entfernen sei.
Wir erlebten daraufhin eine tiefe Entrüstung bei vielen Christen,
empörte Leserbriefserien in allen großen Zeitungen, Eltern, die sich zu Wort meldeten
und ihren Elternwillen zu einer christlichen Erziehung ihrer Kinder „unter dem Kreuz“
dokumentierten, und klare Gegenpositionen aus allen kirchlichen Ebenen und die größte
kirchliche Demonstration der Republik. Wollen wir wirklich eine Bildung ohne das Kreuz?
Ohne religiösen Bezugspunkt? Ohne Sinnfragen? Ohne die grundlegende Wertedimensionen
eines christlichen Abendlandes?
Über die rechtliche Debatte hinaus ist dies
der entscheidende Punkt, der uns als Christen zutiefst beunruhigen und herausfordern
muss. Es ist die zentrale Frage: Welche Bedeutung hat das Kreuz für uns? Warum brauchen
wir das Kreuz? Und in welchen Räumen?
Ich plädiere für für das Kreuz in unseren
Schulen:
Wir brauchen das Kreuz in den Schulen
Denn
vor allem junge Menschen suchen heute Orientierung und Halt! Wo sie keine Antworten
bekommen, entsteht geistige Not. Da gerät unsere Gesellschaft in dramatische Schieflagen!
Gerade in diesen Tagen, da uns Amoktaten an unseren Schulen aufschrecken, wird uns
so deutlich wie selten bewusst, wie wichtig tragende geistige Maßstäbe für das Leben
junger Menschen sind.
Es wäre ein bitterer Fehler unserer Erwachsenenwelt,
zu meinen, Kinder lebten in einer heilen Welt und hätten keine Probleme, oder die
Probleme von Kindern wären klein, nur weil die Kinder klein sind! Im Gegenteil: Gerade
Kinder und junge Menschen von heute brauchen dringender denn je Antworten auf die
Sinnfragen, die Leidfragen ihres Lebens sind. Sie brauchen religiöse Zuwendung, sie
brauchen Religionsunterricht und sie brauchen ein Gesicht, in das sie blicken können
in ihren Zweifeln und auch Ängsten, die eben nicht pädagogisch und psychologisch geglättet
werden können. Dafür steht das Kreuz in unseren Klasszimmern, dafür steht das Gesicht
des liebenden, mitleidenden Christus!
Geradezu ein Signal ist für mich hier
die sympathische junge Studentin Sophie Scholl, Mitglied des Widerstandskreises
„Weisse Rose“, die nach einer mißglückten Flugblattaktion im Lichthof der Münchener
Universität verhaftet und sehr schnell am 24. Februar 1943 durch das Fallbeil in München
Stadelheim hingerichtet wurde. Von ihr gibt es Aufzeichnungen und Briefe aus der Haft.
Da legt sie den Finger in die Wunde: „Das mache ich Dir zum Vorwurf, du denkender
Mensch in dieser Schicksalsstunde unserer Geschichte. Du verwendest alle Kraft und
Energie auf die letzte Perfektionierung des Maschinengewehrs, aber die wesentlichsten
aller Fragen lässt du außer Acht: Die Frage Wohin? Und die Frage Warum?“ Dafür
steht das Kreuz in unseren Schulen!
Ein wesentlicher Platz für das Kreuz sind
die Orte von Leid und Krankheit.
Wir brauchen das Kreuz in
den Krankenhäusern
Leid und Krankheit ist immer gegenwärtig in unserem
Leben. Trotz all der Möglichkeiten modernster Wissenschaft und Technik, trotz höchster
medizinischer Kunst werden wir die Hinfälligkeit des Leidens nie beseitigen. Leiden,
Krankheit und Tod, das gehört unentrinnbar tief hinein in unsere menschliche Existenz.
Besonders im medizinischen Bereich ist uns doch in jüngster Zeit, trotz der phantastischen
Möglichkeiten und Aussichten, die uns die moderne Gentechnologie und Biomedizin verheißt,
vieles fraglich geworden. All die Zweifel und Proteste um gentechnische Verfahren,
die Grenzen der Embryonenforschung, Präimplantationsdiagnostik, die Fragen nach dem
Beginn und dem Ende des menschlichen Lebens, der Kampf um den Schutz des unantastbaren
Lebensrechtes der Person – all das zeigt die Kehrseite einer wissenschaftlichen Entwicklung,
die wachsende Ängste in den Menschen entstehen lässt.
Hier begegnet uns ganz
aktuell eine sehr drückende Frage: Warum erbitten heute mehr und mehr ältere Menschen
in ihren Patientenverfügungen aktive Sterbehilfe? Warum wollen sie künstlich aus dem
Leben befördert werden? In unseren Untersuchungen im Deutschen Ethikrat ergaben sich
zwei Antworten: Erstens die Angst vor großen unerträglichen Schmerzen. Und zweitens
die Angst davor, ein unübersehbarer Pflegefall zu werden und – wie die Menschen das
drastisch ausdrücken – dahinzusiechen.
Auf beide Ängste hätten wir theoretisch
gute Antworten: Erstens die Forderung nach palliativmedizinischer Ausbildung der Ärzte
und verstärkter Forschung in der Schmerzmedizin, um den Menschen die Angst vor unerträglichen
Schmerzen zu nehmen. Und zweitens das Hospiz. Menschen sollen in dieser letzten entscheidenden
Phase ihres Lebens menschlich begleitet, in Frieden und liebevoller Geborgenheit dem
wichtigsten Ziel des Lebens entgegen gehen können: dem Sterben.
Aber alle die
theoretischen Lösungen werden in dieser Situation zweitrangig, wenn Menschen keinen
Halt und wirklichen Trost finden.
Gott nimmt das Leid nicht weg. Die Schwerkraft
der Geschichte, das Negative des Leidens bleibt bestehen, solange wir als Menschen
leben. Aber eines ist anders: Das Leid hat mit dem Karfreitag eine andere Dimension
bekommen. Gott ist im Leiden nicht fern! Und darum gibt es keine Ecke unserer Existenz,
die so dunkel wäre, dass Gott sie nicht kennt! Der bleibende Trost, den Gott schenkt,
ist eine neue Dimension:
Darum brauchen wir das Kreuz in unseren Krankenzimmern,
in den Pflegeheimen und zuhause, wo Menschen von Angehörigen gepflegt werden, damit
kranke und sterbende Menschen mit Hoffnung auf den leidenden Christus blicken können,
und in liebender menschlicher Zuneigung leben und auch sterben dürfen, wenn es an
der Zeit ist.
Deshalb treten wir in der Kirche mit Leidenschaft ein gegen kommerzielle
Sterbehilfeorganisation wie DIGNITAS oder EXIT, und auch gegen die Praktiken, die
allesamt ein Geschäft mit dem Tod machen.
Deshalb sind wir gegen ärztlich assistierten
Suizid – Ärzte sind Heiler und Helfer - und wenden uns gegen ein Ärztebild, das sich
vom Heiler zum Vollstrecker wandelt. Darum stemmen wir uns vehement gegen Tötung auf
Verlangen. Weil um Jesu willen kein Mensch durch die Hand eines anderen aktiv exekutiert,
oder auch nur durch sublimes Drängen seiner Umgebung in den Tod gedrängt werden soll.
Darum
schließlich ein letzter Ort, an dem wir das Kreuz brauchen.
Wir
brauchen das Kreuz in unserm Alltag
Wir brauchen heute Kreuze in den
Herrgottswinkeln unserer Familien, wir brauchen Gipfelkreuze auf unseren Bergen, wir
brauchen das Kreuz auch in den Gerichtssälen, in den Amtszimmern und in der politischen
Öffentlichkeit. Das Kreuz ist wichtig, damit die Menschen das richtige menschenwürdige
Maß bewahren und sich nicht überheben über die Würde des anderen. Das Kreuz ist wichtig,
damit wir immer wieder die eigene Endlichkeit und Begrenztheit realisieren gegen die
Kreuzigung und Erniedrigung des Nächsten! Das Kreuz in unseren Lebensräumen ist wichtig,
damit uns an den Kreuzungspunkten unserer Existenz, auch in der Not und im Leid die
Hoffnung bewahrt bleibt. Das macht den Unterschied!
„Welchen Unterschied
werdet ihr machen?“
Das Kreuz, seine heilende Gegenwart, ist aber zugleich
auch eine große Herausforderung vor allem an die junge Generation und ihren Glauben.
Papst Benedikt XVI. machte dies beim XXIII. Weltjugendtag in Australien zum Thema
seiner Ansprache vor Tausenden junger Menschen in Sydney. Im abendlichen Kreuzweg,
den er mit den jungen Leuten ging, spitzt er es auf diese Entscheidungsfrage an die
junge Generation zu: „Welchen Unterschied werdet ihr machen?“
„Liebe junge
Freunde,“ sagt der Papst, „erlaubt mir, Euch jetzt eine Frage zu stellen. Was werdet
Ihr der nächsten Generation hinterlassen? Baut Ihr Euer Leben auf festen Fundamenten
und errichtet Ihr etwas, das Bestand haben wird? Lebt Ihr Euer Leben auf eine Weise,
die inmitten einer Welt, die Gott vergessen will oder ihn im Namen einer falsch verstandenen
Freiheit sogar ablehnt, Raum schafft für den Geist? Wie setzt Ihr die Gaben ein, die
ihr empfangen habt, die Kraft, die der Heilige Geist auch jetzt in Euch freisetzen
möchte? Welches Erbe werdet Ihr jenen jungen Menschen hinterlassen, die nach Euch
kommen? Welchen Unterschied werdet Ihr machen?“