Christen in Syrien: „Wir wollen keine Waffenlieferungen!“
In Genf findet seit
Donnerstag Abend wieder eine Konferenz zu Syrien statt: Aber es ist nicht die von
vielen geforderte Friedenskonferenz der internationalen Gemeinschaft für Syrien, sondern
eine kirchliche Konferenz: „Christen in Syrien – die Herausforderung, mit einer Stimme
zu sprechen“, heißt der Titel. Die Teilnehmer beraten an diesem Freitag mit UNO-Vertretern
und wollen schriftlich eine gemeinsame Strategie ausarbeiten. In welche Richtung das
gehen könnte, sagte uns in einem Interview der syrisch-orthodoxe Erzbischof Dionysius
Jean Kawak aus Damaskus:
„Mir missfällt es, immer nur von der Lage der Christen
in Syrien zu sprechen. Alle in Syrien – und unter ihnen auch die Christen – leiden
unter dem Mangel an Stabilität im Land! Allerdings kann ich nicht leugnen, dass die
Christen etwas mehr leiden als die anderen, weil sie außerdem noch eine Minderheit
sind. Und weil es immer mehr islamischen Extremismus gibt, das kommt noch dazu. Maalula,
Kessab, Homs sind Städte mit starker christlicher Präsenz, die genau deshalb angegriffen
worden sind. In den letzten Tagen haben die Radikalen, bevor sie sich aus Homs zurückgezogen
haben, eine der ältesten christlichen Kirchen der Stadt in Brand gesteckt: die Kirche
der Jungfrau vom Gürtel, die syrisch-orthodoxe Kathedrale.“
Und trotzdem
besteht der Erzbischof darauf: Wir müssen vom Leiden aller Syrer sprechen, nicht nur
von dem der Christen. Sonst spielt man das Spiel der Extremisten, die die Christen
aus dem Land verdrängen wollen, wie das schon im Irak geschehen ist.
„Alle
Gemeinschaften, alle Menschen in Syriens, das ganze Volk, alle leiden! Darum ist es
wichtig, die internationale Gemeinschaft um Hilfe zu bitten – allerdings, Waffen sollte
sie nicht schicken! Wir wollen nicht noch mehr Waffen in Syrien, wir wollen eine andere
Art von Hilfe!“
Diese Hilfe sollte aus der Sicht des Erzbischofs darin
bestehen, dass die internationale Gemeinschaft von außen die Streitparteien Syriens
zu einem neuen Anlauf von Friedensgesprächen bringt. Wie sie das schon einmal, wenn
auch erfolglos, in Genf versucht hat. Es gebe „immer noch andere Wege zum Frieden“,
zitiert der orthodoxe Erzbischof den Papst.
„Ein internationales Eingreifen
sollte darauf aus sein, uns Syrer alle an einen Runden Tisch zu setzen – aber es sollte
nicht in unser Schicksal und in unseren Dialog eingreifen. Nur helfen, dass Rebellen
und Regierung ins Gespräch kommen.“
Der Erzbischof lässt offen, ob er sich
auch Vertreter des Iran oder Katars am Runden Tisch wünscht. Für ihn sind die Friedensbemühungen
für Syrien vor allem eine Sache der Syrer selbst. Kräfte aus dem Ausland hätten versucht,
das gute Auskommen der verschiedenen Gruppen und Religionen in Syrien zu stören, sagt
Dionysius Jean Kawak. Und fürchtet einen Exodus der Christen:
„Die christliche
Gemeinschaft geht zahlenmäßig deutlich zurück. Früher war die Rede von zehn Prozent,
also etwa zwei Millionen Menschen. Heute ist es schwierig, eine genaue Zahl zu nennen
– vielleicht noch ein Drittel der früheren Zahl. Ich bitte die internationale Gemeinschaft,
uns zum Dialog zu verhelfen und humanitäre Hilfe zu leisten. Man muss natürlich denen
beispringen, die ins Ausland geflohen sind, aber auch den Menschen, die sich weiter
im Landesinnern aufhalten, auch den Christen. Wenn wir den Menschen, die noch in Syrien
sind, nicht helfen, werden sie wohl auch versuchen, irgendwie ins Ausland zu flüchten!“
„Die
Leute sterben, und wir verkaufen Waffen“
An der Genfer Konferenz nimmt
auch der frühere Bischofsvikar von Aleppo, Giuseppe Nazzaro, teil. Er erzählt, dass
die Menschen in der Stadt „alles verloren“ haben: Ihnen seien „nur noch Tränen zum
Weinen geblieben“.
„Das ist die Lage, von der ich erzählen kann: Bomben,
Raketen, Schüsse jeden Tag. Zerstörung und Tod. Panik unter der Bevölkerung, und der
Wunsch zu flüchten – aber wohin denn? Die Leute haben ja nichts mehr, und die Straßen
sind blockiert. Man versucht einfach zu überleben. Das ist für mich die größte Sünde
des Westens: dass er nicht an diese Brüder und Schwestern in Aleppo denkt, die so
unendlich leiden. Die Leute sterben, und wir verkaufen und verteilen weiter Waffen,
auf beiden Seiten!“
Bischof Nazzaro ist froh darüber, dass Papst Franziskus
immer wieder zum Frieden in Syrien aufruft und dass er in diesem Anliegen im letzten
September sogar einen eigenen Tag des Fastens und Betens abgehalten hat.
„Das
war sehr positiv. Die Leute waren froh, zu wissen, dass der Papst an Syrien denkt
und für sie betet. Aber ist der Heilige Vater etwa der einzige, der aufschreit? Was
machen denn die anderen? Wir müssen uns alle fragen: Was tun wir für diese Christen,
unsere Brüder im Glauben, und für alle Menschen dort, diese Kinder Gottes, denn wir
sind doch alle nach dem Bild Gottes geschaffen?“