2014-04-23 10:10:38

D: Eine Art Auferstehung


An einem Freitagmittag Mitte April auf dem Freiburger Münsterplatz: Zwischen den üppig von Blumen und Gemüse und natürlich Spargel prangenden Marktständen drängt sich eine bunte Menschenmenge, fröhlich plaudernd und die obligatorische Wurst im Weck kauend. Die Frühlingssonne bescheint ein prächtiges Bild. Den dann in das Münster Eintretenden empfängt dagegen konzentrierte Stille, obgleich alle Bänke dicht besetzt sind von andächtigen Menschen. Es werden Namen verlesen, immer mehr Namen, eine schier endlose Liste. Dann erklingt meditative Orgelmusik, gefolgt von gemeinsamem Gesang. Schließlich Vaterunser und ein Segen. Was geschieht hier um die Mittagszeit?

Neugierig greift man nach einem liegengebliebenen Programmzettel: Ökumenischer Gottesdienst. Aber aus welchem Anlass? Es wurde ein Totengedenken und die Bestattung der Vielen gefeiert, deren Namen soeben verlesen worden waren, nämlich der Verstorbenen, die hochherzig ihren Körper den Medizinstudenten der letzten Semester zum Studium der menschlichen Anatomie zur Verfügung gestellt hatten, zu einer Zergliederung scheinbar namenloser Leichen, die schlicht versachlicht und zu Präparaten gemacht wurden. Jetzt, mit der Verlesung ihrer Namen wurde ihnen eine Art Auferstehung zuteil, da sie sich nämlich im Bewusstsein der an ihnen ausgebildeten Studenten im Nachhinein wieder in Personen, wenn auch verstorbenen, verwandeln durften.

Für die Medizinstudenten, die an dieser Feier teilnahmen, war das ein für ihre spätere ärztliche Tätigkeit exemplarisches und entscheidendes Ereignis. Sie vollzogen mit dieser Totenehrung vielleicht erstmalig jenen Sichtwechsel, den sie immer wieder vollziehen müssen, wenn sie bei der nüchternen Diagnostik und Therapie körperlicher Leiden den Blick auch brüderlich auf die Person des Kranken richten – sollen. Der frühere Lehrer der pathologischen Anatomie in Freiburg, Franz Büchner, hatte nie die Hoffnung aufgegeben, die künftigen Ärzte würden auch durch das Medium der Technik hindurch ihren Kranken brüderliche Hilfe leisten. Das Totengedenken für die Anatomieleichen, das im Freiburger Münster seit einigen Jahren gefeiert wird, mag der Beginn der Einübung solcher ärztlicher Kunst dienen.

Es waren aber nicht nur die Studenten, die an diesem Totengedenken teilnahmen. Vielmehr erschienen auch die Angehörigen derer, die ihren Körper der Anatomie zur Verfügung gestellt hatten, was ja auch eine oft jahrelange Verschiebung der Bestattung zur Folge hatte. Sie durften erleben, dass die künftigen Ärzte entgegen allem Anschein eines würdelosen Präparierens ein Bewusstsein von der Würde der Personen pflegen, an deren körperlichen Überresten sie studiert haben.

Ähnliche Veranstaltungen gibt es an vielen Universitäten. Und eigentlich sollte man auch diejenigen Menschen in das Gedenken einbeziehen, die ebenfalls großherzig nach ihrem Tode ihre Organe zur Transplantation freigeben, um Menschenleben zu retten. Nicht zuletzt auch deswegen, weil auf diese Weise die transplantierenden Ärzte daran erinnert werden, dass sie nicht nur mit Präparaten, sondern mit Organen von Personen arbeiten, um die auch Hinterbliebene trauern. Das Freiburger Ereignis mag deswegen nicht nur frommer Brauch sein, sondern lebendiger Beitrag gegen eine Enthumanisierung der Medizin.

(rv 23.04.2014 Hans-Bernhard Wuermeling)








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