An einem Freitagmittag Mitte April auf dem Freiburger Münsterplatz: Zwischen den üppig
von Blumen und Gemüse und natürlich Spargel prangenden Marktständen drängt sich eine
bunte Menschenmenge, fröhlich plaudernd und die obligatorische Wurst im Weck kauend.
Die Frühlingssonne bescheint ein prächtiges Bild. Den dann in das Münster Eintretenden
empfängt dagegen konzentrierte Stille, obgleich alle Bänke dicht besetzt sind von
andächtigen Menschen. Es werden Namen verlesen, immer mehr Namen, eine schier endlose
Liste. Dann erklingt meditative Orgelmusik, gefolgt von gemeinsamem Gesang. Schließlich
Vaterunser und ein Segen. Was geschieht hier um die Mittagszeit?
Neugierig
greift man nach einem liegengebliebenen Programmzettel: Ökumenischer Gottesdienst.
Aber aus welchem Anlass? Es wurde ein Totengedenken und die Bestattung der Vielen
gefeiert, deren Namen soeben verlesen worden waren, nämlich der Verstorbenen, die
hochherzig ihren Körper den Medizinstudenten der letzten Semester zum Studium der
menschlichen Anatomie zur Verfügung gestellt hatten, zu einer Zergliederung scheinbar
namenloser Leichen, die schlicht versachlicht und zu Präparaten gemacht wurden. Jetzt,
mit der Verlesung ihrer Namen wurde ihnen eine Art Auferstehung zuteil, da sie sich
nämlich im Bewusstsein der an ihnen ausgebildeten Studenten im Nachhinein wieder in
Personen, wenn auch verstorbenen, verwandeln durften.
Für die Medizinstudenten,
die an dieser Feier teilnahmen, war das ein für ihre spätere ärztliche Tätigkeit exemplarisches
und entscheidendes Ereignis. Sie vollzogen mit dieser Totenehrung vielleicht erstmalig
jenen Sichtwechsel, den sie immer wieder vollziehen müssen, wenn sie bei der nüchternen
Diagnostik und Therapie körperlicher Leiden den Blick auch brüderlich auf die Person
des Kranken richten – sollen. Der frühere Lehrer der pathologischen Anatomie in Freiburg,
Franz Büchner, hatte nie die Hoffnung aufgegeben, die künftigen Ärzte würden auch
durch das Medium der Technik hindurch ihren Kranken brüderliche Hilfe leisten. Das
Totengedenken für die Anatomieleichen, das im Freiburger Münster seit einigen Jahren
gefeiert wird, mag der Beginn der Einübung solcher ärztlicher Kunst dienen.
Es
waren aber nicht nur die Studenten, die an diesem Totengedenken teilnahmen. Vielmehr
erschienen auch die Angehörigen derer, die ihren Körper der Anatomie zur Verfügung
gestellt hatten, was ja auch eine oft jahrelange Verschiebung der Bestattung zur Folge
hatte. Sie durften erleben, dass die künftigen Ärzte entgegen allem Anschein eines
würdelosen Präparierens ein Bewusstsein von der Würde der Personen pflegen, an deren
körperlichen Überresten sie studiert haben.
Ähnliche Veranstaltungen gibt es
an vielen Universitäten. Und eigentlich sollte man auch diejenigen Menschen in das
Gedenken einbeziehen, die ebenfalls großherzig nach ihrem Tode ihre Organe zur Transplantation
freigeben, um Menschenleben zu retten. Nicht zuletzt auch deswegen, weil auf diese
Weise die transplantierenden Ärzte daran erinnert werden, dass sie nicht nur mit Präparaten,
sondern mit Organen von Personen arbeiten, um die auch Hinterbliebene trauern. Das
Freiburger Ereignis mag deswegen nicht nur frommer Brauch sein, sondern lebendiger
Beitrag gegen eine Enthumanisierung der Medizin.