Jede Selig- oder Heiligsprechungen
hat einen Vorlauf von Jahren oder Jahrzehnten, wie sich auch an den Causen von Johannes
XXIII. und Johannes Paul II. zeigt, die am kommenden Sonntag heilig gesprochen werden.
So lange braucht es, bis die kirchenrechtlichen Verfahren durchlaufen sind, die allen
Gläubigen garantieren sollen, dass ein neuer Heiliger tatsächlich heilig ist. Wie
laufen diese Verfahren ab? Was macht sie so langwierig? Wie lässt sich „Heiligkeit“
überhaupt prüfen? Die katholische Kirche kennt ein genau festgelegtes Verfahren zur
Selig- und Heiligsprechung. Es handelt sich um regelrechte Gerichtsverfahren, in denen
auch der Nachweis eines Wunders eine Rolle spielt. Gudrun Sailer hat die Informationen
zusammengestellt.
1 – Bei der Aufnahme eines Prozesses zur Seligsprechung
– die der Heiligsprechung vorangeht – muss der Tod des Kandidaten oder der Kandidatin
mindestens fünf Jahre zurück liegen. Diese zeitliche Pufferzone soll der objektiveren
Bewertung des Falles dienen. In besonderen Fällen kann die Frist verkürzt werden,
wie es etwa bei Johannes Paul II. geschah. Unabdingbar ist hingegen der „Ruf der Heiligkeit“,
aber auch der „Ruf der Wundertätigkeit“. Das bedeutet, das Kirchenvolk muss überzeugt
von der Heiligkeit des oder der Verstorbenen sein. Es ist niemals die Institution
Kirche, die ein Verfahren zur Seligsprechung von sich aus anstrengt.
2 - Dem
Ortsbischof jener Diözese, in dem der oder die Kandidatin zur Seligsprechung verstarb,
kommt es zu, das Verfahren aufzunehmen. Um diesen Schritt muss der Bischof förmlich
gebeten werden. Zunächst beauftragen die Betreiber der Seligsprechung – das kann die
Diözese selbst sein, eine Pfarrei, ein Orden oder sonst ein Zusammenschluss von Gläubigen
– einen Postulator oder eine Postulatorin. Diese Figur sammelt alle sachdienlichen
Informationen über das Leben des oder der Kandidatin und bittet den Ortsbischof um
die Eröffnung des Ermittlungsprozesses für die Seligsprechung.
3 - Der Heilige
Stuhl muss dem Bischof dazu eine Genehmigung erteilte, das „Nihil Obstat“, wörtlich:
„Nichts spricht dem entgegen“.
4 - Nun tritt das Verfahren in seine diözesane
Phase. Der Bischof lässt ein Diözesantribunal für die Causa einrichten.
5
- Die Erhebungen können beginnen. Durchgeführt werden sie vom Postulator und vom so
genannten Justizpromotor. Dessen Aufgabe ist es, im Gegensatz zur Arbeit des Postulators
die möglichen Hindernisse einer Seligsprechung aufzudecken. Im alten Verfahren zur
Selig- und Heiligsprechung, das 1983 neu geregelt wurde, hieß der entsprechende Akteur
„Advocatus diaboli“; er ging als „Anwalt des Teufels“ in den rhetorischen Sprachgebrauch
ein. Der Informationsprozess umfasst das Studium von Dokumenten und das Sammeln von
Zeugenaussagen über den Lebenswandel und die christlichen Tugenden des oder der Kandidatin,
die nun den Titel Dienerin Gottes bzw. Diener Gottes führt. Die christlichen Tugenden
setzen sich aus den theologischen Tugenden - Glaube, Hoffnung und Liebe - und den
Kardinaltugenden zusammen: Weisheit, Gerechtigkeit, Mäßigung und Stärke.
6
- Am Ende der diözesanen Phase gehen alle Akten nach Rom an die Selig- und Heiligsprechungskongregation,
womit die vatikanische Phase des Verfahrens beginnt. Unter der Leitung eines so genannten
Relators, der an der Kongregation sitzt, bereitet nun der Postulator die Positio vor.
Diese Schrift weist die „heroische Ausübung der Tugenden“ durch den oder die Dienerin
Gottes nach und ist somit das zentrale Dokument des Verfahrens. Neun Theologen begutachten
die Positio. In dieser Phase tritt der Glaubenspromotor der Heiligsprechungskongregation
in das Verfahren ein, der, ähnlich wie der Justizpromotor auf der diözesanen Ebenen
des Verfahrens, mögliche Zweifel an der Heiligkeit der betreffenden Person untersucht
und am Ende Schlussfolgerungen aus der gesamten Dokumentation zieht. Wenn die Mehrheit
der Theologen sich positiv äußert, geht die Causa zur Beurteilung an die Kardinäle
und Bischöfe, die der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen angehören.
7 - Fällt das Urteil der Kardinäle und Bischöfe ihrerseits positiv aus, präsentiert
der Präfekt der Kongregation das Ergebnis des ganzen Prozesses dem Papst, der nach
seinem Willen seine Zustimmung erteilt und die Kongregation dazu ermächtigt, ein Dekret
über die heroischen Tugenden zu verfassen. Ab diesem Punkt ist der Diener oder die
Dienerin Gottes „venerabile“, das heißt verehrungswürdig.
8 - Ist der Diener
oder die Dienerin Gottes nicht den Märtyrertod gestorben, braucht es zur Seligsprechung
den Nachweis eines Wunder auf seine oder ihre Fürsprache. Dieses Wunder muss sich
nach dem Tod ereignet haben. Den Nachweis des behaupteten Wunders erbringt ein getrenntes
kirchenrechtliches Ermittlungsverfahren. Da es sich in den meisten Fällen um Heilungswunder
handelt, ist der vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen eine
Ärztekommission angeschlossen. Nach der Untersuchung des Wunders geben die Kardinäle
und Bischöfe ihre Einschätzung darüber ab, und die Kongregation leitet sie dem Papst
weiter. Dieser entscheidet frei, ob er die Seligsprechung anordnet oder nicht: Ein
„Rechtsanspruch“ auf die Selig- oder Heiligsprechung bei positiv durchlaufenem Verfahren
besteht nicht. Die Selig- und Heiligsprechung durch den Papst ist ein Akt, den dieser
in Ausübung seines unfehlbaren Lehramtes vornimmt. Mit der Seligsprechung ist der
oder die Selige zur Verehrung in einer bestimmten Ortskirche oder in einem Orden freigegeben.
9 - Zur Heiligsprechung werden die Befunde des Ermittlungsverfahrens kein
zweites Mal aufgerollt. Indes verlangt die Kirche zur Heiligsprechung ein weiteres
Wunder, das sich nach der Seligsprechung ereignet haben muss. Auch bei seliggesprochenen
Märtyrern ist zur Heiligsprechung ein Wunder vonnöten. Wieder kann der Papst am Ende
frei entscheiden, ob er die Heiligsprechung anordnet. Heilige werden in den „Kanon
der Heiligen“ eingeschrieben, „kanonisiert“, wie es kirchlich heißt. Ihr Verehrung
ist damit auf weltkirchlicher Ebene statthaft.