2014-03-22 14:27:30

Papst an Mafiosi: Bekehrt euch!


RealAudioMP3 Bekehrt euch, solange noch Zeit bleibt! Das hat Papst Franziskus am Freitagabend der Mafia zugerufen. In einer römischen Pfarrei betete er mit Angehörigen von Mafia-Opfern; die Vigil fand in der Kirche San Gregorio VII. nahe der Vatikanmauern statt. Ein Gottesdienst im Zeichen des Gedenkens an die rund 15.000 unschuldigen Opfer, die das organisierte Verbrechen in den letzten Jahrzehnten in Italien gefordert hat.
Beifall für den Papst: Das ganze Viertel ist auf den Beinen, als Franziskus abends in einem dunklen Kleinwagen an der modernen Pfarrkirche vorfährt. Viele Menschen säumen die Zufahrtsstraße und winken. Vor der Kirche umarmt der Papst als erstes und sehr herzlich den italienischen Priester Luigi Ciotti, der ihn zur Gebetsvigil eingeladen hatte. Don Ciottis Organisation „Libera“ ruft jährlich zu einem „Tag der Erinnerung und des Einsatzes“ gegen Mafia, Camorra und andere Verbrecherorganisationen auf.
Hand in Hand gehen der Papst und der Anti-Mafia-Priester in die Kirche hinein. Dort begrüßt Franziskus Angehörige von Mafia-Opfern, darunter viele Kinder. Rund 900 Familien füllen den überschaubaren und schmucklosen Innenraum des Gotteshauses. „Heiliger Vater“, so wendet sich eine Frau an den Papst. Ihr Vater, ein Händler, ist 1989 in Locri von der Mafia umgebracht worden. „Schauen Sie uns an, Heiliger Vater. Jeden von uns. Wir alle trauern um einen Vater, eine Mutter, einen Sohn, einen Bruder, eine Schwester, eine Frau, einen Mann. Wir sind geprägt von ihrem Fehlen – aber auch von ihrem Mut, ihrem Stolz, unserem Willen, weiterzuleben.“ Ein Chor singt den Sonnengesang des heiligen Franziskus, dann werden, einer nach dem anderen, die Namen der von der Mafia Getöteten verlesen. Jeder Name: eine Geschichte. Angehörige von Opfern wechseln sich beim Verlesen ab. Mehr als eine halbe Stunde dauert dieses Aneinanderreihen der Namen, insgesamt 842 Namen werden genannt. „Wir gedenken aller“, sagt ein Sprecher: „der Getöteten, deren Namen wir kennen, und auch der Ermordeten, über die wir noch nicht genug Informationen gefunden haben. Allen Opfern der Mafia versprechen wir unseren Einsatz.“ Ein kurzes Evangelium wird verlesen; es sind die Seligpreisungen Jesu.
Papst Franziskus ist sichtlich bewegt, als er dann das Wort ergreift. Er wolle den Angehörigen der Mafia-Opfer eine Hoffnung mitgeben, sagt er: „die Hoffnung, dass allmählich der Sinn für Verantwortung über die Korruption den Sieg davonträgt“. Von innen müsse diese Änderung kommen, „vom Gewissen her“; von dort aus müssten sich „die Verhaltensweisen ändern, die Beziehungen, das soziale Gefüge“, so der Papst. Hartnäckigkeit brauche man dazu und Durchhaltevermögen, aber so könne die Gerechtigkeit allmählich „Raum gewinnen, Wurzeln schlagen, sich ausbreiten“.
„Ich will vor allem denen unter euch meine Solidarität ausdrücken, die durch Mafia-Gewalt einen geliebten Menschen verloren haben. Danke für euer Zeugnis, weil ihr euch nicht in euch selbst verschlossen habt, weil ihr hinausgegangen und eure Geschichte von Schmerz und Hoffnung erzählt habt. Das ist so wichtig, vor allem für die jungen Leute!“
Er bete von ganzem Herzen für alle Opfer der Mafia: Noch vor ein paar Tagen, so Papst Franziskus, hätten Killer in Taranto sogar ein Kind nicht verschont. Den „großen Abwesenden heute“, den „abwesenden Hauptdarstellern“, wolle er auch noch etwas sagen, den Männern und Frauen der Mafia.
„Ich bitte euch, ändert euer Leben, bekehrt euch, hört auf, das Böse zu tun! Und wir beten für euch: bekehrt euch. Darum bitte ich euch auf Knien. Es ist für euer eigenes Wohl. Das Leben, das ihr jetzt lebt, gefällt uns nicht und wird keine Freude bringen, euch wird es nicht glücklich machen. Die Macht und das Geld, die ihr jetzt habt, aus vielen schmutzigen Geschäften und Mafia-Verbrechen, sind blutiges Geld und mit Blut befleckte Macht, und wird euch nicht ins andere Leben bringen. Bekehrt euch: jetzt ist noch Zeit, um nicht in der Hölle zu enden. Und die erwartet euch, wenn ihr auf dieser Straße weitergeht.“
Und Franziskus fuhr fort:
„Auch ihr habt einen Vater und eine Mutter gehabt, denkt an sie! Weint ein wenig und bekehrt euch.“
Zum Schluss des atmosphärisch sehr dichten Gottesdienstes betet der Papst gemeinsam mit den Gläubigen das Vater Unser. Den Segen erteilt er dann mit der Stola des Priester Don Peppe Diana um den Hals: Der Geistliche ist vor genau zwanzig Jahren von der Mafia erschossen worden, er war ihr in die Quere gekommen, weil er jungen Leuten durch seine Pfarreiarbeit eine Alternative zur Kriminalität bot. Die Brüder von Don Peppe Diana sind an diesem Abend in Rom bei der Gebetsvigil mit dabei, auch die Brüder des gleichfalls ermordeten sizilianischen Geistlichen Don Pino Puglisi, der bereits seliggesprochen worden ist.
Der Geistliche Luigi Ciotti hatte Papst Franziskus zu der Gedenkveranstaltung für Mafia-Opfer eingeladen. Die von Ciotti gegründete Anti-Mafia-Organisation „Libera“ ruft seit 1996 jährlich zu einem „Tag der Erinnerung und des Einsatzes“ gegen Mafia, Camorra und andere Verbrecherorganisationen auf. Vor dem Papst und Hunderten von Betroffenen erinnerte Don Ciotti bei der Gebetsvigil daran, wie sehr das organisierte Verbrechen mit Gesellschaft und Kultur verwoben sei. Er sagte in seinem Grußwort:
„Das Problem der Mafiaorganisationen ist kein nur kriminelles Problem. Wenn das so wäre, würden die Einsatzkräfte der Polizei und die Justiz reichen. Es ist ein soziales und kulturelles Problem, ein Problem, das öffentliche und soziale Verantwortlichkeiten betrifft, die oft zu persönlichem Machtgebaren und angesichts von Individualismus degenerieren.“
Die an diesem Abend in Rom versammelten Betroffenen seien durch den Wunsch nach Wahrheit und Gerechtigkeit vereint, fuhr er fort. Unter den über 800 Mafiaopfern, deren Namen verlesen wurden, seien 80 Kinder, zahlreiche zufällige Opfer und viele Menschen, die sich ganz bewusst und mutig gegen das grganisierte Verbrechen gewehrt hätten: „Wer das Leben für die Gerechtigkeit und die Wahrheit verliert, schenkt Leben, er selbst ist Leben – wie alle Opfer des Terrorismus und der Pflicht, an die wir heute Abend denken“, so der Geistliche, der die Bürger zu Zivilcourage gegen die Mafia aufrief. Auch die beiden bekannten italienischen Staatsanwälte Paolo Borsellino und Giovanni Falconi, die die Mafia in den 90er Jahren tötete, standen auf der Liste, ebenso mehrere Kirchenvertreter, die sich im Kampf gegen die Mafia engagiert hatten.
Weiter erinnerte er an die zahlreichen Toten, die es in Italien jährlich aufgrund unversicherter Arbeit und der Schwarzarbeit gibt – auch dies ein Terrain des organisierten Verbrechens. Und er ging auf den Psychoterror ein, den viele Mafiaopfer und Angehörige durch die Repression und Drohungen der Verbrecher erleiden müssen. Vor diesem Hintergrund sei mehr Entschiedenheit der Politik nötig, mahnte der engagierte Priester:
„Es braucht heute mehr denn je einen Ruck. Es braucht eine soziale Politik, Arbeitsplätze, Investitionen in Schulen. Man muss den Menschen Hoffnung und Würde wiedergeben. Die Politik muss sich wieder in den Dienst des Gemeinwohls stellen. Und insbesondere muss man die Güter der Mafia konfiszieren und den sozialen Gebrauch, den sie davon machen, einschränken.“
Die Mafia hat, etwa in vielen Teilen Süditaliens, als „Arbeitsgeber“ den Staat als Garanten von Arbeit untergraben. Das Problem wird durch die Wirtschaftskrise noch verstärkt. Hier muss nach Ansicht von Don Ciotti der Staat seine Wirkungsmacht Stück für Stück zurückgewinnen und das soziale Leben stärken. Auch müsse man die Menschen unterstützen, die sich um Gerechtigkeit bemühten, indem sie mutig mit der Justiz zusammenarbeiteten. Von der Mafia bedrohte Bürger bräuchten Unterstützung, appellierte der Geistliche, der sich auch für mehr Bemühungen im Kampf gegen die Korruption aussprach.
(rv 22.03.2014 sk/pr)








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