2014-03-10 13:27:26

Kardinal Kasper: „Ich kann mir keine Situation vorstellen, wo Fehler nicht vergeben werden können“


RealAudioMP3 Er wolle nicht die Lehre der Kirche ändern, sondern diese auf die konkreten Lebensumstände anwenden. So beschreibt Kardinal Walter Kasper das Statement, das er zum Einstieg in die inhaltliche Arbeit des Konsistoriums vor zwei Wochen vorgetragen hat. Als er vom Papst gebeten wurde, zum Thema Familie ein längeres Statement vor den Kardinälen zu halten, hat er den Papst gewarnt, er habe seine eigenen Ansichten. Aber der Papst habe eine Debatte gewollt, in der verschiedene Sichtweisen auf den Tisch kommen und diskutiert werden. Das Statement von Kardinal Walter Kasper ist an diesem Montag auf deutsch als Buch erschienen, es heißt „Das Evangelium von der Familie“. Pater Bernd Hagenkord hat ihn danach gefragt, was er den übrigen Kardinälen mit auf den Weg gegeben hat.

Ihr Text ist überschrieben mit ‚Das Evangelium von der Familie’, die Kirche verkündet das Evangelium Jesu Christi, was genau ist dieses Evangelium von der Familie?

„Zunächst ist es ganz wichtig, dass die Bibel ganz positiv von der Familie redet: Es ist die älteste Institution der Menschheitsgeschichte. Das Evangelium von der Familie ist, dass Gott Mann und Frau füreinander geschaffen und in deren Hände die Zukunft der Menschheit gelegt hat und dass er dann in Jesus Christus um das Band der Liebe sein eigenes Band der Treue und der Zuneigung gelegt hat. Dadurch hat er ihr eine Beständigkeit und Würde sondergleichen gegeben. Die Familie ist damit nicht nur Zelle der Gemeinschaft, sondern auch Zelle der Kirche.
Die Familie, die zur Zeit in Schwierigkeiten und in Krise ist, ist etwas, was die Kirche mit aller Kraft unterstützen will - was auch die Aufgabe der kommenden Synode sein wird.“

Krise ist das Stichwort, Sie sprechen von kultureller Krise, Sie sprechen von anthropologischer Krise, die Familie sei darin für die Kirche der Weg der Zukunft. Wie kann sie das sein?

„In der Kirche wachsen die zukünftigen Glieder der Kirche heran, in der Familie wird getauft, und in der Familie erhält man auch die erste Kunde vom Glauben. Ich habe meinen Glauben ja nicht, weil ich Enzykliken gelesen habe, sondern von meiner Mutter und meinem Vater, mit denen bin ich in die Kirche gegangen! Die Familie ist auch ein Zentrum der Begegnung mit vielen anderen Menschen. Nur wenn die Kirche in der Familie verwurzelt ist, ist sie auch im Leben der Menschen verwurzelt.
Da ist eine Kluft entstanden, das ist ganz klar; es sind Verstehensschwierigkeiten da, und es wird eine Aufgabe der Synode sein, beides wieder mehr zusammen zu bringen.“

Wenn die Kirche in der Familie verwurzelt ist, ist sie im Leben verwurzelt

Sie sprechen in Ihrem Text von den Hauskirchen, was ein Begriff aus den ersten Jahrhunderten der Kirche ist. Ist das nicht eine Romantisierung einer Vergangenheit, die es so gar nicht mehr geben kann?

„Es geht nicht um die Romantisierung der so genannten bürgerlichen Familie, sondern es geht um eine neue Form von Familiengemeinschaft und um Orte, wo die Familien zu Hause sind und auch die Kinder zu Hause sind. Das ist ein Konzept, das sich in Afrika, in Lateinamerika und in Asien sehr bewährt hat, das könnte auch für uns in Westeurope neu von Bedeutung sein.“

Normen mit Bezug auf heutige Lebenswelt interpretieren

Wir haben zwei Synoden vor uns, wir haben ein Konsistorium zu diesem Thema hinter uns, bei dem Sie den vorliegenden Text als Rede gehalten haben. Sie sprechen darin von einem Strom, einer Entwicklung der Glaubenserfahrungen, vom Heiligen Geist; ist da Raum für die Synoden, zu debattieren, gibt es da eine Öffnung bei dem Thema?

„Die Lehrtradition zur Familie hat eine große Entwicklung gemacht, wie überhaupt sich die Lebenswelt der Familie geändert hat. Die Entwicklung steht heute nicht einfach still, sondern angesichts der gegenwärtigen kritischen Elemente muss man danach fragen – nicht wo man einfach ändern kann, sondern wo man vertiefen kann, wo man weiterführen kann. Das ist in vielen Punkten dringend notwendig. In meinem Vortrag habe ich mich natürlich vor allem für das Glücken und das Gelingen der Familie ausgesprochen: Die meisten jungen Menschen suchen das Glück ihres Lebens in der Familie.
Aber es gibt auch das Problem des Scheiterns. Die Kirche muss fragen, was sie tun kann, wie sie nahe sein kann, helfen kann, wo Familien gescheitert sind oder wo junge Menschen Angst haben vor der Familiengründung. Die Kirche muss nicht einfach ihre Normen ändern, sondern ihre Normen so interpretieren, dass sie einen Bezug haben zur heutigen Lebenswelt.“

„Der Papst ist entschieden der Meinung, dass man darüber sprechen muss“

Der Papst öffnet einen Raum für die Debatte, allein die Dauer über zwei Synoden hinweg deutet das an, es ist noch kein Ergebnis vorgeprägt, der Papst will, dass gesprochen wird. Es gibt aber auch Widerspruch. Auch der Verlag, in dem der Text erscheint, kündigt das Buch an als ‚die umstrittene Rede’. Warum ist das umstritten?

„Es gibt in der Tradition verschiedene Positionen, etwa bezüglich der wiederverheirateten Geschiedenen. Der Papst ist entschieden der Meinung, dass man darüber sprechen muss. Diejenigen, die das jetzt blockieren wollen, und die gibt es, die wollen im Grunde das, was der Papst will, sabotieren.
Darüber muss gesprochen werden. Meine ganz schlichte Frage ist, ob jemand, der einen Fehler gemacht hat, der aber bereut und alles tut, was in seiner Situation konkret möglich ist, ob man den nicht absolvieren [die Lossprechung in der Beichte, Anm.d.Red.] kann und ob bei dem nicht Vergebung möglich ist. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der Sünden und Fehler nicht vergeben werden können! Deshalb müssen wir diese Frage neu stellen und neu diskutieren.
Ich habe einen Vorschlag gemacht, da kann man anderer Meinung sein, das kann man vertiefen und weiterführen, aber die Diskussion ist dringend notwendig.“

Zwischen Laxismus und Rigorismus

Sie markieren auch die beiden Extreme zwischen gefälliger Anpassung – das eine Extrem – und der Instrumentalisierung der Menschen als Zeichen. Sind Sie optimistisch, dass wir in den nächsten Jahren einen Schritt weiter kommen?

„Die Kirche ist immer den Weg zwischen Rigorismus, der nicht der Weg des Christen sein kann, und auf der anderen Seite dem Laxismus, der einfachen Anpassung, gegangen. Das Evangelium steht immer quer zu menschlichen Erwartungen. Es geht um einen realistischen Weg in bestimmten Situationen. Es gibt ja nicht ‚Die Wiederverheirateten Geschiedenen’, das sind sehr, sehr unterschiedliche Situationen. Mir geht es um diejenigen, die in unseren Gemeinden sind und die Verlangen nach den Sakramenten haben, die sich engagieren in den Gemeinden.
Ich habe den Eindruck, dass sehr viele Bischöfe auf Grund ihrer Erfahrung nach einem gangbaren Weg suchen, der Papst sicherlich auch.
Damit, dass man zwischen Rigorismus und Laxismus einen Weg sucht, findet man sich in bester Gesellschaft. Der Patron der Moraltheologen, der heilige Alfons von Liguori, hat schon diesen Weg versucht. Mit einem einzelligen Rigorismus kommt man nicht weiter, das ist zum Teil auch klerikaler Pharisäismus.“

Sie sind also Optimist?

„Ich habe Hoffnung, dass wir einen solchen Weg finden, zu Gunsten der Menschen, aber auch zu Gunsten der Kirche.“


(rv 10.03.2014 ord)








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