Vatikansprecher: So habe ich die Wahl von Franziskus erlebt
Bis vor einem Jahr kannten sie sich nicht: der heutige Papst Franziskus und sein Sprecher
Federico Lombardi. Dabei sind beide Jesuiten. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur
Zenit erzählte Pater Lombardi, wie er den Amtsverzicht Benedikts XVI. und die Wahl
Bergoglios zum römischen Bischof erlebt hat. Lombardi leitet den Vatikanischen Pressesaal
und Radio Vatikan. Hier lesen Sie Auszüge aus dem Gespräch in unserer eigenen Übersetzung.
Vor
einem Jahr schien die Lage katastrophal: Skandale, ob echte oder erfundene, wurden
von den Medien mit einer Aggressivität berichtet, die ihresgleichen suchte...
Lombardi:
„Die Medien sind nicht immer imstande, bestimmte Sachlagen objektiv zu bewerten. Manchmal
wurde eine emotionale Atmosphäre geschürt, in der nur die negativen Aspekte betont
wurden. Rund um die Kirche wurde ein Klima des Negativen geschaffen. Ein Teil des
Pontifikats von Benedikt XVI. ist von belastenden Angelegenheiten geprägt worden.
Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker hat mehr als einen Schatten
über die Kirche geworfen... Dann waren da die internen Fragen, die zu einem Nachrichtenleck
geführt haben – und das verschärfte noch das negative Bild des Vatikans in überproportionaler
Weise. Ich will die Irrtümer und falschen Dinge nicht leugnen, aber da wurde verallgemeinernd
ein Schatten des Verdachts über die Institutionen und Personen, die mit absoluter
Treue dem Papst und der Kirche gedient haben, geworfen...“
Mit welchen
Gefühlen haben Sie die Nachricht gehört, dass es Paolo Gabriele war, der den Papst
(in der „Vatileaks“-Affäre) verraten hatte?
Lombardi: „Paolo Gabriele
... hat auf schwerwiegende Weise das Vertrauen des Papstes verraten. Ich gebe über
sein Benehmen keinerlei persönliches Urteil ab...“
In diesem Zeitraum
haben die Medien den Vatikan scharf kritisiert und erklärt, er habe viele Kommunikationsfehler
begangen. Was halten Sie von diesen Kritiken?
Lombardi: „Die Tatsache,
dass Paolo Gabriele Hunderte von Dokumenten an einen Journalisten weitergegeben hat,
hat nichts mit der Fähigkeit des Vatikans zur Kommunikation zu tun! Es gibt Probleme
und Handlungen dieser Art, die keinerlei Kommunikation weniger schwerwiegend machen
kann. Natürlich kann man sich immer verbessern, darum ist ja im Staatssekretariat
die Figur eines Kommunikationsberaters in der Person von Greg Burke aufgetaucht...
Mit Greg im Staatssekretariat bin ich ruhiger, und außerdem habe ich eine Person,
die die amerikanischen Medien gut kennt.“
Für den 11. Februar 2013 hatte
Papst Benedikt XVI. ein Konsistorium zusammengerufen. Keiner sah voraus, was dort
geschehen würde. Wie haben Sie die Nachricht vom Amtsverzicht Benedikts XVI. erlebt?
Lombardi:
„Ich wiederhole es oft, auch wenn es meine Gesprächspartner jedesmal wundert, dass
das für mich gar nicht so eine erschütternde oder überraschende Sache war! Nicht weil
man mir das etwa schon vor dem 11. Februar gesagt hätte, sondern weil man, wenn man
Benedikt XVI. von nahem erlebte, sich klar darüber wurde, dass er über seine abnehmenden
Kräfte am Nachdenken war. Es lag im Bereich des Möglichen, dass er zu dieser Entscheidung
kommen würde... Ich habe diesen Moment mit einer gewissen Nüchternheit erlebt und
versucht, die Motive für den Amtsverzicht gut zu erklären: Sie finden sich meiner
Meinung nach alle auf dem Blatt, das Benedikt XVI. während des Konsistoriums verlesen
hat.“
Ab 12.30 Uhr an diesem 11. Februar standen sie im Kreuzfeuer der
Fragen von Hunderten von Journalisten aus aller Welt. Außerdem war das eine Situation
ohne Präzedenzfall, neuartig. Wie haben Sie diese Lage gemeistert? ... Wer waren Ihre
Ansprechpartner an der Kurie?
Lombardi: „Die meiste Arbeit in dieser
Zeit bestand darin, ständig Quellen zu finden, um auf die Fragen, die die Journalisten
mir stellten, antworten zu können. Bis zum 28. Februar gab es den Staatssekretär,
dann hat Kardinal Tarcisio Bertone die Rolle des Camerlengo übernommen. Andere Gesprächspartner
waren: der Dekan des Kardinalskollegiums, der Substitut des Staatssekretariats, der
Sekretär des Governatorats, die Gendarmerie, die Präfektur des Päpstlichen Hauses...
Oft musste ich den Journalisten sagen: Darauf kann ich jetzt nicht antworten, ich
werde dir aber morgen antworten, und dann musste ich nach den richtigen Personen für
die Antwort suchen...“
Wie bewerten Sie die Arbeit der Medien vor dem
Konklave, die viele Kardinäle als „papabili“ unter die Lupe genommen haben?
Lombardi:
„Im Vatikanischen Pressesaal treffe ich viele Journalisten mit unterschiedlichen Haltungen.
Es gibt sehr ernsthafte, objektive Personen, die nach der Wahrheit suchen, dann gibt
es auch welche voller Vorurteile und vielleicht mit einer kritischen und negativen
Einstellung gegenüber der Kirche; einige von ihnen nutzen die Informationen, um die
Kirche zu diskreditieren. Ich leiste allen gegenüber meinen Beitrag..., danach hat
dann jeder Einzelne die Verantwortung für das, was er schreibt.“
Welchen
Eindruck machte auf Sie die Wahl des einzigen Jesuiten im Konklave zum Papst? Kannten
Sie ihn?
Lombardi: „Ich kannte ihn nicht. Das einzige Mal, bei dem ich
die Gelegenheit hatte, ihn zu treffen, war die Generalkongregation der Jesuiten, bei
der Hans-Peter Kolvenbach zum General gewählt wurde; er war damals argentinischer
und ich war italienischer Vertreter. Aber wir haben damals noch nicht einmal miteinander
gesprochen. Dann wurde Pater Bergoglio Bischof und nahm nicht mehr aktiv am Leben
der Gesellschaft Jesu teil.“
Wie viel an der Art und Weise, wie sich
Papst Franziskus verhält, ist charakteristisch für die Ausbildung und Tradition der
Gesellschaft Jesu?
Lombardi: „Als Jesuit finde ich in Papst Franziskus
die ganze Dimension des geistlichen Charakters und der Art, Dinge anzugehen, wie sie
auch die Gemeinschaft auszeichnen. In den Santa-Marta-Predigten zum Beispiel, wo der
Bezug auf das Evangelium immer an die direkte Umsetzung im Leben gekoppelt ist. Dieses
Vorgehen erinnert mich sehr an die Geistlichen Exerzitien des heiligen Ignatius...
Ein anderer charakteristischer Aspekt ist die Einfachheit der Lebensführung. Der Papst
führt ein karges Leben ohne Äußerlichkeit und Triumphalismen, das finde ich als Jesuit
sehr vertraut.“
Die Wahl von Franziskus hat die Sicht der Medien auf
das Papsttum radikal verändert. Wo liegt das Geheimnis seiner Effizienz und Fähigkeit,
mit den Menschen zu kommunizieren, was dann auch die Medien für ihn einnimmt?
Lombardi:
„Es gab eine Änderung in der Sprache, die nicht nur die Worte betrifft, sondern auch
die Gesten und die Verhaltensweisen. Papst Franziskus gelingt es, an das Herz der
Menschen zu rühren und in gewisser Weise Distanz und Barrieren zu überwinden. Herzstück
dieser neuen Sprache ist die Verkündigung der Liebe Gottes zu allen... während vorher
in den Medien das Vorurteil verbreitet war, dass die Kirche immer nur Nein sagt und
den Leuten nicht nahe wäre...“
Welche Art von Problem bedeutet es für
Sie als Leiter des Vatikanischen Pressesaals, wenn ein Papst oft spontan redet ...
und privat mit so vielen Leuten am Telefon redet?
Lombardi: „Das schafft
ähnliche Probleme, wie sie auch die Gendarmerie hat, wenn der Papst im Kontakt zu
den Leuten stehen will und einen kugelsicheren Wagen verweigert. Wir stehen im Dienst
des Papstes, wir lernen seinen Stil, seine Art zu sein und zu kommunizieren. Ich muss
verstehen, wie ich zu seiner Kommunikation beitragen kann...“
Was würden
Sie den Journalisten raten, um die Kommunikation zu verbessern, vor allem was den
Papst, die Kurie und die Kirche im allgemeinen betrifft?
Lombardi: „Das,
was den Journalisten oft fehlt, ist, die Intention der Mission der Kirche und des
Papstes zu begreifen. Oft werden Ereignisse anhand von Lesarten gedeutet, die nichts
mit der Realität der Kirche zu tun haben, etwa politischen oder ökonomischen... Im
Kampf der Kirche gegen Missbrauch zum Beispiel sehen viele nur eine Art und Weise,
sich gegen Angriffe zu verteidigen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um einen
Prozess, um Kohärenz mit dem Evangelium, innere Erneuerung, Reinigung zu finden.“
Viele
Journalisten sehen auch die Kurienreform nur als eine Erneuerung politischer Natur...
Lombardi:
„Dem Papst ist es gelungen, begreiflich zu machen, dass es die Kirche gibt, um den
Menschen zu sagen: Ihr werdet geliebt. Von daher ist die Reform der Kurie etwas Zweitrangiges.
Sie dient der Kirche, um die Botschaft des Evangeliums nicht nur im Vatikan, sondern
in den Bistümern und an der Peripherie besser zu verkündigen. Die zentralen Strukturen
existieren nicht, um (andere) zu beherrschen, sondern um zu dienen und zu helfen.
Darauf zielt die Reform.“