Ukraine/Russland: Rolle der Kirchen ist beschränkt
Die Kirchen in der
Ukraine können wenig für eine Deeskalation der Lage tun. Das sagt im Gespräch mit
Radio Vatikan der Professor für Ostkirchenkunde an der Universität Münster, Thomas
Bremer. Die kirchliche Situation sei in der gegenwärtigen Lage in der Ukraine zwar
wichtig. In den verschiedenen Kirchgemeinschaften, die es in der Ukraine gibt, spiegelten
sich die verschiedenen Optionen des Landes wider, so Bremer. Die einen seien für den
Erhalt der nationalen Einheit, andere wünschten sich eine Annäherung zu Russland oder
sogar eine Spaltung des Landes. Zwar habe sich das Oberhaupt des Moskauer Patriarchats,
Kyrill I., gegen eine solche Spaltung der Ukraine ausgesprochen, doch viele Mitglieder
seiner Kirche wünschten sich das Gegenteil.
„Insgesamt ist es jedoch so,
dass die russisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats – also die kanonische
orthodoxe Kirche in der Ukraine – im Osten des Landes und auf der Krim sehr stark
vertreten ist, während das sogenannte Kiewer Patriarchat – also eine nicht-kanonische
Kirche unter einem anderen Oberhaupt – das eine schwierige Geschichte hinter sich
hat, eine Kirche ist, die eher die ukrainische Option betont, während die ukrainisch
griechisch-katholische Kirche, die vor allem im Westen des Landes stark ist, vor allem
für die Einheit der Ukraine eintritt. Der griechisch-katholische Großerzbischof hat
sich in den letzten Tagen sehr kritisch zu Russland und zu den russischen politischen
Aktionen geäußert.“
In Moskau hatte Patriarch Kyrill in den vergangenen
Tagen seinerseits betont, dass Orthodoxe auf beiden Seiten der Barrikaden stünden.
Selbst bei TV-Aufnahmen sah man wie russisch-orthodoxe Priester des Moskauer Patriarchats
sowohl bei russischen Soldaten als auch bei ukrainischen Militärs standen und für
sie beteten. Solche Einstellungen erinnern an die Situation vor 20 Jahren im ehemaligen
Jugoslawien, bei der die Kirchen ebenfalls nicht viel für den Frieden beitragen konnten.
„Damit
ist die kanonische orthodoxe Kirche in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.
Um nochmals auf das jugoslawische Beispiel zu kommen: Es hat während der Auflösungskriege
Jugoslawiens in den 90er Jahren eine Reihe von Treffen gegeben zwischen dem serbisch-orthodoxen
Patriarchen und dem katholischen Erzbischof von Zagreb. Sie hatten gemeinsam für den
Frieden aufgerufen. Diese Aufrufe hatten damals faktisch nicht gefruchtet. Sie haben
den Kriegsverlauf nicht beeinflusst. Es ist gut und wichtig, dass wir das haben und
heute sagen können, wenigstens die Kirchen haben sich gegen den Krieg damals geäußert.
Tatsachlich sind auch die kirchlichen Beziehungen heute besser als vor dem Krieg in
Südosteuropa.“
Bremer plädiert deshalb dafür, dass die verschiedenen Kirchen
in der Ukraine sich wenigstens träfen. Dies wäre ein wichtiger Erfolg, so der Experte.
„Das
ist aber in der Ukraine ganz schwierig, weil es eben die unkanonischen orthodoxen
Kirchen gibt, mit denen eigentlich – und ich würde sagen auch verständlicherweise
– die russisch-orthodoxe Kirche nicht unbedingt Kontakt haben will. Die stärkste katholische
Kirche ist die griechisch-katholische Kirche und die Beziehung zwischen dieser Kirche
und den orthodoxen Kirchen war bisher oft sehr schwierig. Deswegen ist es kirchlich
gesehen eine sehr diffizile Gemengelage, ich würde sagen, es ist noch schwieriger
als damals auf dem Balkan.“
Im Gegensatz zu den Balkankriegen hätten sich
jedoch nicht nur Zeiten geändert, auch die Dimensionen seien anders, so Bremer von
der Universität Münster. Die USA werden wohl mit Sanktionen und einem Abbruch der
Beziehungen gegen Russland vorgehen, schätzt er die Entwicklung ein.
„Wenn
ich das etwas flapsig sagen kann: ein Krieg gegen Serbien ist was anders als ein Krieg
gegen Russland. Ich glaube auch, dass ein Krieg zwischen der Ukraine und Russland
wenig wahrscheinlich ist. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen, wie beispielsweise
den Unterschieden der Armee, der Größe des Landes, der besonderen Struktur der Bevölkerung
usw. Es ist ja auch erfreulich, dass es bis jetzt auf der Krim und im Osten des Landes
noch keine Todesopfer gegeben hat, sondern dass die russischen Soldaten sozusagen
einfach da sind und die Situation zum größten Teil kontrollieren.“
Bremer
befürchtet, dass durch diese Präsenz in der Ukraine es eine ähnliche Situation wie
im ehemaligen Jugoslawien geben wird, in der über Jahre hinaus die Lage blockiert
bleibt.