Unser Buchtipp: Eine Geschichte von Demenz und Liebe
Erst kürzlich sagte
Papst Franziskus in einer Botschaft an die Päpstliche Akademie für das Leben: „Gesundheit
oder Behinderungen sind niemals ein Grund, um eine Person auszuschließen oder, schlimmer
noch, des Lebens zu berauben.“ Zur aktuellen Sterbehilfediskussion in verschiedenen
Ländern Europas bezieht der Papst klar Stellung. Und schlimmer noch als Krankheit
oder Behinderung sind aus seiner Sicht „Verlassen sein, Ausschluss oder das Verweigern
von Liebe“. Dass es auch anders geht, zeigt unser Buchtipp von diesem Samstag.
Stellen
Sie sich vor, ihr eigener Vater erkrankt an Demenz. Alzheimer. Sie sagen: „Papa, ich
bin’s, dein Sohn, deine Tochter.“ Er sagt: „Ich habe keinen Sohn, keine Tochter.“
Der Mensch vor ihnen, ihr Vater, erkennt sie nicht mehr – und sie erkennen ihn nicht
mehr, er scheint plötzlich ein Fremder. Doch sie geben ihren Vater nicht in ein Heim,
nein: sie entscheiden sich, ihn selbst zu pflegen, zu begleiten, bis zum Tod. Wie
diese große Herausforderung gelingen kann, das beschreibt Bernd Eichmann sehr einfühlsam
in seinem Buch „Vatter baut ab. Eine Geschichte von Demenz und Liebe.“
Liebe Ein
gutes Beispiel für diese Liebe ist wohl die Szene, in der der pflegende Sohn beschließt:
„Vatter braucht ein Kuscheltier! Das wird mir klar, als er die leere Tasse nicht mehr
loslässt und sie bei sich behalten will. […] Ob er nur etwas für die Hände braucht
oder etwas zum Liebhaben, kann ich nicht auseinanderhalten. Ist vielleicht auch nicht
wichtig. Wichtig ist, dass ich mich mit einem Spielzeug für Vatter befassen muss!“
Und damit, wie dieses dem Vater „untergejubelt“ werden kann, ohne ihn dabei zu demütigen
denn: „Vatter sieht nicht aus wie ein Kind. Und er spricht, wenn er spricht, mit erwachsenen
Worten.“ Also kauft der Sohnemann einen „Retro-Teddy“ und erzählt seinem Vater, den
habe er neulich beim Aufräumen gefunden, der verloren geglaubte Teddy aus Kinderzeiten
sei wieder da! Das funktioniert, statt der leeren Tasse knuddelt Vatter nun mit seinem
neuen, „alten“ Teddy. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr der Sohn den Vater respektiert,
die Krankheit schafft es nicht, seine Liebe zum Vater zu verdrängen, auch wenn der
Sohn zwischenzeitlich öfter mal verzweifelt, einen kurzen „Burnout“ erleidet und eine
Pflegekraft zur Hilfe ruft, weil er mal Luft braucht und raus muss.
Leise
Kritik am Pflegesystem Auffällig ist auch, dass der Sohn immer versucht, seinen
Vater zu verstehen, sein Handeln zu erklären – auch wenn er dabei hin und wieder an
seine Grenzen stößt. Läuft etwas schief gibt er nicht automatisch dem dementen Vater
die Schuld, sondern er sucht auch bei sich selbst nach Ursachen des Problems. Bei
der Schilderung entnervter und überarbeiteter Pflegekräfte, auf die der Sohn bei einem
Krankenhausaufenthalt trifft, äußert der Autor leise Kritik am Pflegesystem und Verständnis
für Krankenpfleger und Krankenschwestern, die unter diesen Umständen nicht immer die
nötige Zeit und Aufmerksamkeit für die Kranken finden: „Wie hart sie arbeiten müssen:
Die Wechselschichten! Die Personalverknappung! Die Optimierer auf den kaufmännischen
Etagen! Das zermürbt. Deshalb müssen sie sich abschotten gegen das Leid des Einzelnen.
Sonst brennen sie aus.“ Dennoch ist da ein Fehler im System, so der Autor, der an
dieser Stelle betont: Es geht „immer wieder, immer aufs Neue um den einzelnen Menschen.“
Genau das zeigt Eichmann in seinem Buch.
Danke, Vatter „Eine Geschichte
von Demenz und Liebe“, der Untertitel des Buches trifft es sehr gut, denn Bernd Eichmann
spart einerseits den Krankheitsverlauf und konkrete Beschreibungen der Demenz nicht
aus. Bei allen Problemen und Hindernissen die sich durch die Pflege des dementen Vaters
– im Buch zärtlich „Vatter“ genannt – ergeben, kommt immer wieder auch die Liebe durch.
Dabei gelingt Eichmann das große Kunststück, weder unrealistisch, noch kitschig zu
wirken. Trotz der teilweise ungeschönten Schilderungen der Realität ist es auch nicht
so, dass einem ständig der Trauerkloß im Hals sitzt – im Gegenteil, beim Lesen stiehlt
sich auch immer mal wieder ein leises Lächeln aufs Gesicht. Ohne diese gewisse Leichtigkeit
trotz des ernsten Themas, ohne diese Liebe zum Vater, auch wenn er teilweise kaum
noch als der zu erkennen ist, der er mal war, wäre eine solche Pflege wohl auch nicht
möglich. Und unterm Strich, was bleibt? Das beantwortet der Autor mit zwei Worten.
Nach den letzten Sätzen und einer leeren Zwischenseite steh da noch: „danke, Vatter!“.
Die Angaben zum Buch: Bernd Eichmann: „Vatter baut ab. Eine Geschichte
von Demenz und Liebe“. Gütersloher Verlagshaus, etwa 18 Euro.