Johannes Oesterreicher: Schutz für Juden, Schutz für Pius XII.
Ein katholischer Priester
jüdischer Abstammung, der Papst Pius XII. in den 1930er Jahren zu einem offenen Protest
gegen Hitler veranlassen wollte – nach dem Krieg aber denselben Papst vor Anschuldigungen
in Schutz nahm, er habe schuldhaft zum Holocaust geschwiegen: das ist Johannes Oesterreicher
(1904-1993). Der Wiener Diözesanpriester war Gegenstand eines Vortrags bei einer Tagung
vergangene Woche im Vatikan, die sich mit dem Heiligen Stuhl und der „Rassendebatte“
in der Zwischenkriegszeit beschäftigte. Der in Berkeley, Kalifornien, lehrende Historiker
John Connelly hat sich mit Johannes Oesterreicher beschäftigt. Die erste Initiative
des Priesters für die Juden geht noch auf die Zeit von Pius XI. zurück, der im Februar
1939 starb.
„1938, als Pius XI. noch lebte, wollten Oesterreicher und seine
Mitstreiter Pius XI. dazu bewegen, dass er weltweit um Unterstützung bittet für verfolgte
Juden. Warum aus dieser Initiative nichts geworden ist, das weiß ich nicht genau.
Niemals hat der Vatikan in jener Zeit offen für die Juden Stellung genommen, und das
hat Oesterreicher tief beunruhigt.“
Oesterreicher selbst hatte eine jüdische
Erziehung genossen und sich erst als junger Mann taufen lassen. Er studierte Theologie
und empfing die Priesterweihe.
„In der Diözese Wien hat er in den 30er
Jahren die sogenannte Judenmission übernommen, das hieß damals das Sankt Pauluswerk.
Er hat gleichzeitig eine Zeitschrift herausgegeben, ,Die Erfüllung‘, mit der er Juden
für das Christentum gewinnen wollte, aber gleichzeitig gegen Antisemitismus und Rassismus
Stellung nahm.“
1938 nach dem „Anschluss“ musste der Priester jüdischer
Herkunft Österreich verlassen. Er zog zunächst nach Paris, hielt dort im Radio Predigten:
Brandreden gegen Hitler, die in Deutschland und Österreich empfangen wurden. Goebbels
ließ sie aufzeichnen und abtippen, die Transskripte liegen im Deutschen Bundesarchiv
in Koblenz.
„Er hat darin explizit Hitler und den Nationalsozialismus verdammt
und sehr starke Worte benutzt, etwa hat er Hitler als Antichrist, als Widersacher
in menschlicher Form bezeichnet, und er hat die deutschen Verbrechen in Polen offen
beschrieben.“
Der österreichische Priester hatte gute Beziehungen in den
Vatikan hinein. So kannte er den Privatsekretär von Pius XII., den deutschen Jesuiten
Robert Leiber. Das Agieren des Heiligen Stuhles befremdete den im Exil ausharrenden
Priester zutiefst.
„Oesterreicher hat sich vor allem geärgert, dass nicht
explizit gegen Hitler Stellung genommen wurde. Damit Klarheit bestanden hätte, vor
wem Katholiken gewarnt werden sollten. Warum das nicht passierte? Johannes Oesterreicher
hat ja keine Machtposition in jener Zeit gehabt. Der Papst musste zusehen, wenn er
etwas gegen Hitler gesagt hätte, dann hätte das sofort Konsequenzen für die Kirche
in Deutschland gehabt. Oesterreicher meinte, das müsse man in Kauf nehmen.“
Als
auch Paris nicht mehr sicher genug war, floh Oesterreicher über Marseille und Portugal
in die Vereinigten Staaten. Dort avancierte er zum Fachmann für jüdisch-christliche
Beziehungen.
„1961 ist er als Peritus zum Sekretariat für die Förderung
der Einheit der Christen zu Kardinal Bea nach Rom geholt worden; er war mitbeteiligt
am Entwurf für ,Nostra Aetate‘, das Konzilsdekret von 1965, mit dem die Kirche mit
dem Antijudaismus gebrochen hat.“
1963, also während des II. Vatikanischen
Konzils, feierte Rolf Hochhuths kritisches Theaterstück „Der Stellvertreter“ Premiere.
Darin zeichnet der Autor das Bild eines Papstes, der zur Verfolgung und zum Massenmord
an den Juden schuldhaft geschwiegen hat; das Theaterstück prägt die öffentliche Meinung
über Pius XII. bis heute. Ausgerechnet Johannes Oesterreicher, der versucht hatte,
den Heiligen Stuhl zu einer offenen Kritik an Hitler zu bewegen, nahm den Papst im
Nachhinein in Schutz.
„Er hat erstens gesagt: Hitler war so auf die Zerstörung
der Juden versessen, dass keine Worte von irgendwelcher Seite irgendeinen Einfluss
auf ihn gehabt hätten, nur die vollkommene Zerstörung der deutschen Streitkräfte hätte
das bewirkt. Und zweitens hat er gesagt, wir müssen die Gewissensüberprüfung von Pius
respektieren. Vielleicht von heute aus, aus der Perspektive des Jahres 1964, hätten
wir es gerne gehabt, wenn der Papst nicht geschwiegen hätte, aber wir müssen trotzdem
seine Lage zu verstehen suchen. Der Papst meinte, wenn er etwas gesagt hätte, hätte
das wahrscheinlich mehr negative als positive Folgen gehabt. Oesterreicher sagte,
die Grundlage jeder zwischenmenschlichen Beziehung ist Respekt vor dem Gewissen. Und
er bezog diese Worte auf die Lage von Pius XII.“