2014-02-25 13:34:46

Johannes Oesterreicher: Schutz für Juden, Schutz für Pius XII.


RealAudioMP3 Ein katholischer Priester jüdischer Abstammung, der Papst Pius XII. in den 1930er Jahren zu einem offenen Protest gegen Hitler veranlassen wollte – nach dem Krieg aber denselben Papst vor Anschuldigungen in Schutz nahm, er habe schuldhaft zum Holocaust geschwiegen: das ist Johannes Oesterreicher (1904-1993). Der Wiener Diözesanpriester war Gegenstand eines Vortrags bei einer Tagung vergangene Woche im Vatikan, die sich mit dem Heiligen Stuhl und der „Rassendebatte“ in der Zwischenkriegszeit beschäftigte. Der in Berkeley, Kalifornien, lehrende Historiker John Connelly hat sich mit Johannes Oesterreicher beschäftigt. Die erste Initiative des Priesters für die Juden geht noch auf die Zeit von Pius XI. zurück, der im Februar 1939 starb.

„1938, als Pius XI. noch lebte, wollten Oesterreicher und seine Mitstreiter Pius XI. dazu bewegen, dass er weltweit um Unterstützung bittet für verfolgte Juden. Warum aus dieser Initiative nichts geworden ist, das weiß ich nicht genau. Niemals hat der Vatikan in jener Zeit offen für die Juden Stellung genommen, und das hat Oesterreicher tief beunruhigt.“

Oesterreicher selbst hatte eine jüdische Erziehung genossen und sich erst als junger Mann taufen lassen. Er studierte Theologie und empfing die Priesterweihe.

„In der Diözese Wien hat er in den 30er Jahren die sogenannte Judenmission übernommen, das hieß damals das Sankt Pauluswerk. Er hat gleichzeitig eine Zeitschrift herausgegeben, ,Die Erfüllung‘, mit der er Juden für das Christentum gewinnen wollte, aber gleichzeitig gegen Antisemitismus und Rassismus Stellung nahm.“

1938 nach dem Anschluss“ musste der Priester jüdischer Herkunft Österreich verlassen. Er zog zunächst nach Paris, hielt dort im Radio Predigten: Brandreden gegen Hitler, die in Deutschland und Österreich empfangen wurden. Goebbels ließ sie aufzeichnen und abtippen, die Transskripte liegen im Deutschen Bundesarchiv in Koblenz.

„Er hat darin explizit Hitler und den Nationalsozialismus verdammt und sehr starke Worte benutzt, etwa hat er Hitler als Antichrist, als Widersacher in menschlicher Form bezeichnet, und er hat die deutschen Verbrechen in Polen offen beschrieben.“

Der österreichische Priester hatte gute Beziehungen in den Vatikan hinein. So kannte er den Privatsekretär von Pius XII., den deutschen Jesuiten Robert Leiber. Das Agieren des Heiligen Stuhles befremdete den im Exil ausharrenden Priester zutiefst.

„Oesterreicher hat sich vor allem geärgert, dass nicht explizit gegen Hitler Stellung genommen wurde. Damit Klarheit bestanden hätte, vor wem Katholiken gewarnt werden sollten. Warum das nicht passierte? Johannes Oesterreicher hat ja keine Machtposition in jener Zeit gehabt. Der Papst musste zusehen, wenn er etwas gegen Hitler gesagt hätte, dann hätte das sofort Konsequenzen für die Kirche in Deutschland gehabt. Oesterreicher meinte, das müsse man in Kauf nehmen.“

Als auch Paris nicht mehr sicher genug war, floh Oesterreicher über Marseille und Portugal in die Vereinigten Staaten. Dort avancierte er zum Fachmann für jüdisch-christliche Beziehungen.

„1961 ist er als Peritus zum Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen zu Kardinal Bea nach Rom geholt worden; er war mitbeteiligt am Entwurf für ,Nostra Aetate‘, das Konzilsdekret von 1965, mit dem die Kirche mit dem Antijudaismus gebrochen hat.“

1963, also während des II. Vatikanischen Konzils, feierte Rolf Hochhuths kritisches Theaterstück „Der Stellvertreter“ Premiere. Darin zeichnet der Autor das Bild eines Papstes, der zur Verfolgung und zum Massenmord an den Juden schuldhaft geschwiegen hat; das Theaterstück prägt die öffentliche Meinung über Pius XII. bis heute. Ausgerechnet Johannes Oesterreicher, der versucht hatte, den Heiligen Stuhl zu einer offenen Kritik an Hitler zu bewegen, nahm den Papst im Nachhinein in Schutz.

„Er hat erstens gesagt: Hitler war so auf die Zerstörung der Juden versessen, dass keine Worte von irgendwelcher Seite irgendeinen Einfluss auf ihn gehabt hätten, nur die vollkommene Zerstörung der deutschen Streitkräfte hätte das bewirkt. Und zweitens hat er gesagt, wir müssen die Gewissensüberprüfung von Pius respektieren. Vielleicht von heute aus, aus der Perspektive des Jahres 1964, hätten wir es gerne gehabt, wenn der Papst nicht geschwiegen hätte, aber wir müssen trotzdem seine Lage zu verstehen suchen. Der Papst meinte, wenn er etwas gesagt hätte, hätte das wahrscheinlich mehr negative als positive Folgen gehabt. Oesterreicher sagte, die Grundlage jeder zwischenmenschlichen Beziehung ist Respekt vor dem Gewissen. Und er bezog diese Worte auf die Lage von Pius XII.“

(rv 25.2.2014 gs)








All the contents on this site are copyrighted ©.