Michelangelo, ein „Enthüller der wahren Würde des Menschen“
Vor 450 Jahren starb Michelangelo. Dem genialen Künstler und Architekten der italienischen
Renaissance verdanken die Päpste einige der herausragenden Werke im Vatikan, wie die
Deckenfresken und das „Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle, die Kuppel des
Petersdoms und die Pietà. Papst Paul VI. – der einzige Papst des 20. Jahrhunderts,
der sich für Kunst interessierte – hat im Jahr 1972 bei einer Messe mit Künstlern
im Petersdom über die „geheimnisvolle Schönheit“ der Werke Michelangelos meditiert.
Über die „gigantische und majestätische Kuppel“ des Petersdoms sagte Paul VI.:
„Hier
empfängt die Seele mehr denn je den Drang, in die Höhe aufzusteigen, wegen etwas,
das den Menschen und seine Geschichte übersteigt … angetrieben von derselben Sehnsucht,
die auch Michelangelo empfand.“
Michelangelo war ein komplexer Charakter.
Zeitgenossen schilderten ihn als aufbrausend und schwierig, er blieb zeit seines Lebens
unverheiratet, schwärzte manche Kollegen an, und über die Einzigartigkeit seiner Kunst
wachte er eifersüchtig. Doch die Werke, die Michelangelo hinterließ, sind von einer
Tiefe und Schönheit, die alle Jahrhunderte überstrahlt.
„Er war ein Meister
für jede Generation der Kunst, die, durchtränkt von humanistischen Werten bis hin
zur Freude an Formen heidnischer Ausdruckskraft, doch ihre höchste und unverfälschte
Inspiration aus religiösen Werten zieht. Michelangelo wollte nicht bloß das Bild von
der Materie befreien, die Figur vom Stein, die Idee vom Entwurf, sondern er bemühte
sich, uns die wahren Aspekte der Würde des Menschen zu enthüllen, die Heiligkeit des
Lebens, die geheimnisvollen und manchmal schrecklichen Schönheit des christlichen
Entwurfs von der Welt.“
Mit kaum 25 Jahren schuf Michelangelo ein so sublimes
Werk wie die Pietà, das die Kunstgeschichte als erste christliche Skulptur der Neuzeit
ansieht. In der Sixtinischen Kapelle war der Künstler zweimal zugange. Zunächst entstanden
die Deckenfresken, die 1512 enthüllt wurden. Nach 25 Jahren kehrte Michelangelo zurück
und malte das bis heute berühmteste Fresko der Geschichte, das „Jüngste Gericht“.
Das Gesamtkunstwerk der Michelangelo-Fresken würdigte Paul VI. so:
„Da
gibt es die Engel, Propheten, Apostel, Päpste, Märtyrer, Bekenner, die Welt der Sibyllen.
Alles beherrschend thront die Gegenwart Gottes; eines gerechten und barmherzigen Gottes,
der der zerfallenden Menschheit seine Erlösung zu einem neuen Leben schenkt. Der Zusammenhalt
der immensen Szene ist die Bibel. … Die Sixtinische Kapelle wird mit ihrem Jüngsten
Gericht“ so etwas wie ein offenes Buch für die Gebildeten und die Ungebildeten, für
die Glaubenden und die Nichtglaubenden, und sie wird auch eine wirksame Erinnerung
an das Volk Gottes, weiterhin die Gewissheiten des Evangeliums zu leben.“
Michelangelos
letzte Jahre waren von tiefen Selbstzweifeln gequält. Paul VI.:
„Wer die
Biografie Michelangelos kennt, weiß, dass der unruhige und sehende Geist des Künstlers
an seinem Ende – er starb 1564 mit 89 Jahren – durch quälende Gedanken ging. Dies
lähmte nicht seine immer mit dem Meißel bewehrte Hand, verwarf aber sein Urteil über
seine eigene Kunst, so als sei sie eine vergebliche Mühe, ein Hindernis seines Heils.
Der letzte traurige und aufgewühlte Gedanke des großen Künstlers, ein wissender Gedanke:
Er sah, dass die Kunst, obwohl königlich und erhaben, im Insgesamt der menschlichen
Existenz kein Selbstzweck ist. Sie ist und muss eine nach oben führende Treppe sein.
Sie zählt in dem Maß, wie sie auf den höchsten Gipfel unseres Lebens, auf Gott hin
gerichtet ist.“