2014-02-17 12:17:26

Zentralafrika: „Christen und Muslime begehen Völkermord“


„Was da in Zentralafrika passiert, erfüllt den Tatbestand des Völkermords.“ Das sagt der Völkerrechtler Christian Tomuschat von der Humboldt-Universität zu Berlin. Der emeritierte Professor war Mitglied im UN-Menschenrechtsausschuss und gehörte der UN-Völkerrechtskommission an. Im Gespräch mit Radio Vatikan bestätigt er die Sorge der UN, dass in der Zentralafrikanischen Republik „alle Zutaten für einen Völkermord vorhanden“ wären.

RealAudioMP3 Aus der Ferne sei die Situation zwar nicht leicht zu bewerten, so Tomuschat. Angesichts der „brutalsten Akte“, die einzelne religiöse Gruppen derzeit in Zentralafrika gegeneinander verübten, kommt der Völkerrechtler aber zu dem Schluss: „Das ist Völkermord.“

„Es sind also keine persönlichen Motive besonderer Art, sondern es ist der Tatbestand, dass Menschen einer anderen Gruppe wegen der Gruppenzugehörigkeit verfolgt werden und dass offenbar auch das Bestreben vorherrscht, diese Gruppe als solche zu eliminieren! Ganz offensichtlich von beiden Seiten: Sowohl von Seiten der Moslems wie von Seiten der Christen. Dass beide Gruppen einander bis aufs Blut bekämpfen, das erfüllt den Tatbestand des Völkermords.“

In einem Abkommen der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1948 wird Genozid offiziell definiert. Nicht jeder Totschlag, nicht jeder Mord sei gleich ein Völkermord, so Tomuschat. Gemäß Artikel 2 der Konvention müssten vor allem zwei Elemente erfüllt sein:

„Einmal müssen es bestimmte Akte sein, wie insbesondere die Tötung von Menschen. Das wichtigste ist aber, dass diese Tötungen oder sonstigen gefährlichen Akte von einer bestimmten Absicht getragen sein müssen: nämlich eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder zeitweise zu zerstören. Es kommt also ganz entscheidend auf die Absicht an.“

Gemäß der Konvention reicht für „Völkermord“ der Tod eines einzigen Menschen aus, wenn die entsprechende Absicht vorhanden ist. Diese Absicht zu beweisen, sei aber nicht leicht, betont Tomuschat:

„Das subjektive Element ist nicht ganz einfach zu bestimmen, weil man da in die Köpfe der Menschen hineinleuchten müsste. Und es wird dann im Allgemeinen aus äußeren Umständen geschlossen, die keinen anderen Schluss zulassen, als dass der Täter tatsächlich eine solche Absicht verfolgt hat. Wenn es zum Beispiel Soldaten insbesondere auf Frauen und Kinder abgesehen haben, Babys ermorden, Embryonen aus den Bäuchen der Frauen herausschneiden und ähnliches. Solche grausamen Akte können gar nicht anders erklärt werden als durch die Absicht, diese Gruppe als solche zu zerstören.“

Die UN-Völkermordskonvention trägt den Stempel ihrer Zeit: Sie ist die internationale Antwort auf die Verbrechen der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg. Wenn die Konflikte also politisch motiviert sind, könnten noch so viele Menschen sterben: „Ein Bürgerkrieg ist kein Völkermord“, so Tomuschat.

„Die politischen Beweggründe dahinter spielen im Tatbestand des Völkermords keine Rolle. Das ist nicht eingeschlossen worden. Ganz bewusst hat man davon Abstand genommen auch politische Motive in den Tatbestand des Völkermords zu integrieren, weil der Tatbestand dann alle Konturen verlieren würde, denn viele Gewalttaten haben ja einen politischen Hintergrund.“

Was bringt die Klassifizierung „Völkermord“?
Wenn der Internationale Strafgerichtshof (ICC) jetzt ermittele, habe das vor allem eine präventive Wirkung, so der Experte weiter. „Aber die Mühlen beim ICC mahlen langsam“, bedauert er. Auch ändere die offizielle Bestätigung „Ja, das ist Völkermord“ an der Situation vor Ort erst einmal nichts. Was kann die Internationale Gemeinschaft also machen? Tomuschat:

„Zunächst einmal so eine Sicherheitstruppe dorthin zu entsenden, das ist schon sehr sinnvoll. Das wird auf der anderen Seite – vor allem im Sicherheitsrat – immer mit einem gewissen Missbehagen betrachtet. Weil die Erfahrung gezeigt hat, dass es mit der einmaligen, kurzfristigen Entsendung einer Truppe nicht sein Bewenden haben kann, sondern dass man sich da möglicherweise auf Dauer festsetzen muss, über Jahre und möglicherweise Jahrzehnte hinweg. Afghanistan ist ja auch ein abschreckendes Beispiel geworden. Überall hat sich gezeigt, dass diese kurzfristigen Einsätze eigentlich wenig bringen.“

Bürokratisierte Brutalität
Wenn Kämpfe als Genozid klassifiziert werden, werde damit die Brutalität irgendwie auch bürokratisiert, sagt Tomuschat: Das Entsenden von Truppen verlange Genehmigungen, die mühsam eingeholt werden müssten. Der Völkermord in Zentralafrika werde damit zum internationalen Dilemma. Selbst die Präsenz der französischen Truppen vor Ort sei bloß ein Tropfen auf einem heißen Stein, findet Tomuschat:

„Die Zentralafrikanische Republik ist ja kein sehr großes Land. Aber immerhin, sie hat Dimensionen, die doch die Leistungsfähigkeit einer solch kleinen Truppe übersteigen. Der Sicherheitsrat könnte natürlich die Entsendung eines größeren Kontingents beschließen, aber der Sicherheitsrat muss dann auch immer Staaten finden, die bereit sind, Truppen zu entsenden in dieses Land, in diese anarchische Situation hinein, die natürlich auch für die Soldaten nicht ungefährlich ist. Das Ganze muss finanziert werden. Der Sicherheitsrat ist in gewisser Weise auch ein Papiertiger: Wenn er niemanden findet, der seine Befehle ausführt oder von den Ermächtigungen gebrauch macht, dann sitzt die ganze Sache auf dem Trockenen.“

Und der Völkermord in Zentralafrika geht weiter.

(rv 17.02.2014 ms)








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