2014-01-29 16:42:00

Ziviles Engagement in Italien: „Retake Roma“ putzt Kirchen und historische Gebäude


RealAudioMP3 Keine Kunst, sondern Kriminalität: Die meisten Graffiti in Rom sind illegal. Trotzdem prangern anonyme Signaturen, Parolen und Zeichen an fast jeder Hauswand, Kirchenmauer oder Brücke. Sogar Straßen sind manchmal besprayt. „Das ist Vandalismus“, sagt die Jura-Professorin an der Uni Roma Tre, Rebecca Spitzmiller. Die Amerikanerin lebt seit fast dreißig Jahren in Rom und hat die „feigen Tags“ satt. „Retake Roma“, also: „Holt Rom zurück“, heißt die Gruppe, die sie mit Freunden aus lauter Frust über die Graffiti und die Tatenlosigkeit der italienischen Justiz gegründet hat. Die zivile Putzkolonne boomt: Mehr als 1200 Mitglieder helfen seit fünf Jahren beim Aufräumen. Freiwillig. Marion Sendker war für uns bei so einer Putzaktion dabei.


„Die Stadt wäre sauber. Sie könnte sauber sein in einer Woche, wenn die Menschen endlich für ihre eigenen Häuser, Kirchen und Parks die Verantwortung übernehmen würden. Das ist ja sogar gesetzlich so vorgeschrieben. Aber das Gesetz wird nicht durchgesetzt, denn die Sache ist längst außer Kontrolle geraten.“


Ihre eigene Hauswand war mit Schmierereien besprüht. Weil die Stadt der Amerikanerin aber erst in einigen Jahren und zu Kosten in Höhe von 10.000 Euro helfen konnte, hat Rebecca Spitzmiller kurzen Prozess gemacht: 20 Arbeitsstunden und 45 Euro für Ofenreiniger später war die Außenmauer sauber. Aus privat wurde dann schnell öffentlich: Unter dem Namen „Retake Roma“ putzen Freiwillige seitdem Parks, Brücken und Kirchenmauern in Rom. Die Kirchen Sant‘Emerenziana und Sant‘Agnese in Rom gehörten zu den ersten Projekten.


„Die Kirche hat eine grundlegende Rolle bei der Motivation gespielt und hat der ganzen Gemeinde einen moralischen Impuls gegeben, sich auf sehr deutliche Weise zu beteiligen. Das war für beide Kirchen sehr wichtig; es hat eine Veränderung in beiden Nachbarschaften gegeben: Die Menschen sind seitdem aufmerksamer und halten ihre Hauseingänge sauber. Denn Dreck steckt an: Wenn Leute Müll auf den Straßen sehen, werfen sie ihren Müll dazu! Das fördert den Irrglauben, dass Kriminalität hier okay ist, und so steigt die Kriminalitätsrate.“


Spitzmiller ist fest davon überzeugt, dass ihre Aktion das zivile Engagement für die Stadt fördert und hofft auf noch größere Beteiligung:


„Das lässt die Menschen zusammenarbeiten und schafft Beziehungen, sodass sie sich kennenlernen und anfangen, sich umeinander zu kümmern. Es bringt sie auch dazu, miteinander zu reden, auf eine Art, wie sie es sonst nicht machen würden.“


Bei „Retake Roma“ arbeiten Menschen aus aller Welt und mit ganz unterschiedlichem Lebenshintergrund zusammen: Fünf Jahre alte Kinder sind genauso dabei wie die Generation ihrer Großeltern. Inzwischen geht es auch nicht mehr nur um Graffiti, denn auch Müll wird aufgesucht – je nachdem was gerade anliegt. Die achtjährige Martina ist mit ihrer Mutter und ihrer Schwester gekommen, um aufzuheben, was andere weggeworfen haben.


„Wir sammeln hier den ganzen Müll auf. Wir packen das alles in unsere Plastiksäcke. Zum Beispiel alte Zeitungen, ganz viele Sachen aus Plastik und Kunststoff und auch viel Papier. Es ist ganz schön schmutzig. Vielleicht ist das so, weil es den Leuten nicht wichtig ist, ihren Müll in einen Mülleimer zu werfen, also schmeißen sie alles auf den Boden. Und darum sind wir jetzt hier. Das macht mir auch Spaß, denn so helfe ich der Natur, gesund zu werden. Das ist nämlich wichtig, damit wir überleben können.“


Es seien fast immer Jugendliche, die öffentliche und private Gebäude besprühen, weiß Rebecca Spitzmiller. Dabei „suchen sie doch auch nur nach einem Zeitvertreib und nach jemandem, der ihnen Aufmerksamkeit schenkt.“ Mit dem „Oma-und-Opa-Joker“ versucht die Professorin, ihre Schüler zu motivieren:


„Ich erzähle den jungen Schülern in der Schule immer: Versuch, deine Großeltern stolz zu machen! Wände zu besprühen ist kein Kunstwerk, das ist Vandalismus. Und wenn du glaubst, dass wer anders sich darum kümmern muss, dann hast du nicht verstanden, worum es hier geht. Es ist so, wie Papst Franziskus sagt: Es beginnt bei jedem einzelnen von uns. Hab keine Angst, etwas anders zu machen und das Leben voll auszuschöpfen. Verschlaf es nicht. Du musst aufwachen und rausgehen, und wenn du ein Problem siehst, versuch es zu lösen!“


Um Graffiti von Häusern und Kirchen zu lösen, brauchen die Freiwilligen nur einen Kratzer und Wasser mit Seife. Eine Kirche an einem Tag, das sei machbar. Bei Backsteinmauern helfe allerdings oft nur noch der Griff zu Pinsel und Farbe.


„Extreme Probleme verlangen manchmal extreme Mittel: Es ist wie ein ,Verband‘, der so lange halten muss, bis die Mauer dann professionell gesäubert werden kann. In der Zwischenzeit wollen wir der Kirche, in der wir beten, wenigstens die Würde zurückgeben und zumindest ein ,Pflaster‘ auf die Wunden malen. Das sieht immerhin besser aus, als die Schmierereien. Es ist keine hoffnungslose Sache, es ist eigentlich so einfach.“


Wer aufräumt, zeige damit Respekt und Liebe für seinen Mitmenschen, genauso wie für die Welt. „Das ist alles Einstellungssache“, findet Spitzmiller und kommt noch einmal auf den Papst zu sprechen:


„Wir haben das Glück, in so einer reichen Gesellschaft leben zu dürfen, noch dazu in dieser Stadt, in der wir diese wunderschönen, historischen Denkmäler haben und diese wunderbaren Parks, die weltweit bekannt sind. Trotzdem haben wir noch nicht wirklich angefangen – und sei es auch nur oberflächlich – auf unsere Umgebung aufzupassen. Der Papst, der selbst Bescheidenheit vorlebt und mit beiden Beinen auf dem Boden steht, ist hier eine wundervolle Inspiration – er ermahnt jeden von uns, unseren Anteil dazu zu tun, um diesen Planeten und uns selbst zu heilen.“


(rv 29.01.2014 ms)









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