Syrien: Erzbischof Tomasi hofft auf Minimalkonsens
Es war das erste Mal, dass sich Vertreter der syrischen Regierung und der Exil-Opposition
am Verhandlungstisch gegenübersaßen – bei der so genannten „Friedens-Konferenz“ Genf
2 am Mittwoch in Montreux lag Spannung in der Luft. Opposition und Regierung beschuldigten
sich gegenseitig für das unaufhörliche Blutvergießen im Land, das bis heute schätzungsweise
130.000 Todesopfer forderte und neun Millionen Menschen in die Flucht trieb. Die Streitparteien
verhandeln an diesem Freitag weiter. Für Vatikanvertreter Silvano Tomasi, der am Mittwoch
in der Schweiz mit am Verhandlungstisch saß, war der erste Zusammenprall immerhin
ein hoffnungsvoller Schritt:
„So haben wir zum ersten Mal ein Treffen der
Konfliktparteien, das einen Minimalkonsens bringen kann, um Gewalttaten und Zerstörung
– wenn nicht im ganzen Land, dann wenigstens in einem Teil Syriens – zu unterbinden.
So kann ein schrittweiser Prozess der Verständigung begonnen werden, der vor allem
zu einer Akzeptanz der (…) bei Genf 1 vereinbarten Punkte führen sollte: eine Übergangsregierung,
der Beginn der Arbeit an einer neuen Verfassung und schließlich freie Wahlen. Auf
diesem Weg wäre es möglich, die Voraussetzungen für den Aufbau von Frieden in Syrien
zu schaffen. Es gibt viel zu tun!“
Auf der Genf 1-Konferenz hatten sich
die Teilnehmer 2012 formal auf eine Waffenruhe und die Bildung einer Übergangsregierung
geeinigt, an der die Opposition beteiligt werden sollte. Der Kompromiss war aber nie
umgesetzt worden. Zentraler Streitpunkt in Montreux war jetzt die politische Zukunft
des syrischen Machthabers Bashar al Assad. Erzbischof Tomasi betont, dass die Syrer
die Konfliktlösung selbst in die Hand nehmen müssten, das Ausland könne den Stabilisierungsprozess
lediglich begleiten. In diesem Punkt liegt der Vatikan übrigens auf einer Linie mit
Russland.
„Denn die Lösung von Syriens Problem muss von den Syrern kommen:
Sie sind es, die ihre Zukunft planen müssen! Die internationale Gemeinschaft sollte
ihnen dabei helfen, doch die Antwort muss von ihnen kommen.“
Dass es für
Genf 2 rund vierzig Staaten und internationale Organisationen an den Verhandlungstisch
schafften, wertet der Vatikanvertreter insgesamt als „positiven Schritt“:
„Denn
das zeigt, dass es trotz der starken bestehenden Divergenzen und der teilweisen Feindseligkeit
der verschiedenen Gruppen im Syrienkonflikt eine Dringlichkeit gibt, das Gespräch
aufzunehmen. Diese Sensibilität der Internationalen Gemeinschaft hat sehr konkrete
Formen angenommen: Fast alle Länder haben gesprochen und offizielle Erklärungen abgegeben,
die die Regierungen verpflichten, sich für Frieden zu engagieren.“
Für
humanitäre Korridore
Mit der Forderung des Vatikans nach einem umgehenden
Waffenstillstand in Syrien seien „fast alle“ Teilnehmer einverstanden gewesen, sagt
Tomasi.
„Unter den aufgezählten Prioritäten herrschte die Überzeugung vor,
dass es keine militärische Lösung des Konfliktes gibt; man muss eine Alternative suchen,
den Dialog. Von fast allen wurde bestätigt, dass vor dem Hintergrund des Leids der
Familien und angesichts der mehr als 130 Millionen Toten der erste Schritt ein Waffenstillstand
sein muss; das gegenseitige Töten, die fortwährende Zerstörung müssen ein Ende haben!“
Auch
die Dringlichkeit der humanitären Hilfe habe die Mehrheit der Konferenz verstanden:
„Ausdrücklich wurde betont, dass es in Syrien einen unmittelbaren Zugang
zu humanitären Hilfen für alle hilfsbedürftigen Menschen braucht. Schulen, Krankenhäuser
und Kliniken wurden zerstört, und es fehlen Medizin, die Grundversorgung und in einigen
Gegenden auch Verpflegung für die Bevölkerung. Man muss unverzüglich einen Weg finden,
zu den bedürftigen Personen vorzudringen: durch Hilfskorridore, mittels derer die
internationalen Organisationen, etwa das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen, agieren
können.“