Die Wirtschaft steht
im Dienste des Allgemeinwohls und nie über der Würde des Menschen. Das betont Papst
Franziskus in einem Brief an den Präsidenten des Weltwirtschaftsforums (WEF), Klaus
Schwab. Franziskus hatte den Brief bereits vergangene Woche geschrieben, der Vatikanische
Pressesaal stellte ihn am Dienstagabend vor. In der Schweizer Ortschaft Davos findet
derzeit das Wirtschafstreffen statt, an dem namhafte Vertreter aus Wirtschaft und
Politik teilnehmen. Kurienkardinal Peter Turkson hat die Botschaft des Papstes als
vatikanischer Sondergesandter dem WEF-Präsidenten Schwab übermittelt.
Franziskus
ruft die Top-Manager und Spitzenpolitiker auf, sich für eine gerechtere Verteilung
des Wohlstands einzusetzen. Sie hätten eine „klare Verantwortung gegenüber anderen,
vor allem denjenigen, die am zerbrechlichsten, schwächsten und verwundbarsten sind“,
so der Papst wörtlich. Und weiter schreibt er: „Es ist nicht hinnehmbar, dass Tausende
von Menschen weiterhin jeden Tag an Hunger sterben, obwohl erhebliche Mengen an Nahrung
verfügbar sind und oft einfach verschwendet werden.“ Um derartige Probleme anzugehen,
sei „ein erneuerter, tiefgreifende und erweiterter Sinn für Verantwortung“ nötig,
erklärte Papst Franziskus. Die internationale Geschäftswelt müsse „sicherstellen,
dass Wohlstand der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen“.
Soziale Gerechtigkeit
sei eines der wichtigsten Themen der 44. WEF-Jahrestagung, urteilt die „Neue Zürcher
Zeitung“. Laut einer WEF-Studie gehören die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit sowie
eine weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in vielen Ländern zu den potenziell
größten Gefahren für die Weltwirtschaft.
(rv/nzz 22.01.2014 mg)
Hier
lesen Sie den Brief des Papstes im Wortlaut
An Professor Klaus Schwab Präsident
des World Economic Forums
Ich bin sehr dankbar für Ihre freundliche
Einladung, mich an die Jahrestagung des World Economic Forums, das Ende dieses Monats
wie gewohnt in Davos-Klosters stattfinden wird, zu wenden. Im Vertrauen darauf, dass
die Tagung Gelegenheit bieten wird, um die Ursachen der Wirtschaftskrise, die die
Welt in den letzten Jahren getroffen hat, eingehender zu betrachten, möchte ich einige
Überlegungen vorstellen, in der Hoffnung, dass sie die Diskussionen des Forums bereichern
und einen nützlichen Beitrag zu seiner wichtigen Arbeit leisten.
Wir leben
in einer Zeit des bemerkenswerten Wandels und der beträchtlichen Fortschritte auf
verschiedenen Gebieten, die wichtige Auswirkungen auf das Leben der Menschheit haben.
In der Tat: „Lobenswert sind die Erfolge, die zum Wohl der Menschen beitragen, zum
Beispiel auf dem Gebiet der Gesundheit, der Erziehung und der Kommunikation“ (Evangelii
Gaudium, 52), neben vielen anderen Bereichen der menschlichen Tätigkeit. Außerdem
müssen wir die fundamentale Rolle anerkennen, welche das moderne Unternehmertum beim
Herbeiführen dieser Änderungen gespielt hat, indem es die gewaltigen Ressourcen der
menschlichen Intelligenz gefördert und weiterentwickelt hat. Dennoch haben die erreichten
Erfolge, selbst wenn sie für eine große Anzahl von Menschen Armut verringert haben,
oft zu einer weitreichenden sozialen Ausgrenzung geführt. Tatsächlich erfährt der
Großteil der Männer und Frauen unserer Zeit weiterhin tägliche Unsicherheit mit oft
dramatischen Konsequenzen.
Im Rahmen Ihres Treffens möchte ich die Bedeutung
der unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Instanzen für die Förderung
eines inklusiven Ansatzes, der die Würde jedes Menschen und das Allgemeinwohl berücksichtigt,
betonen. Ich beziehe mich auf ein Anliegen, das in jede politische und wirtschaftliche
Entscheidung einfließen sollte, das zuweilen jedoch kaum mehr als ein Nachsatz scheint.
Diejenigen, die in diesen Bereichen arbeiten, haben eine klare Verantwortung gegenüber
anderen, vor allem denjenigen, die am zerbrechlichsten, schwächsten und verwundbarsten
sind. Es ist nicht hinnehmbar, dass Tausende von Menschen weiterhin jeden Tag an Hunger
sterben, obwohl erhebliche Mengen an Nahrung verfügbar sind und oft einfach verschwendet
werden. Ebenso können wir nicht anders, als bewegt zu sein von den vielen Flüchtlingen,
die ein Mindestmaß an würdigen Lebensbedingungen suchen und nicht nur keine Gastfreundschaft
erfahren, sondern auf ihrem oft unmenschlichen Weg auch oft auf tragische Weise zugrunde
gehen. Ich weiß, dass diese Worte eindringlich und sogar dramatisch sind, aber sie
wollen die Fähigkeit dieser Versammlung, eine Veränderung zu bewirken, sowohl bekräftigen
als auch auf die Probe stellen. In der Tat können diejenigen, die ihre Fähigkeit zur
Innovation und zur Verbesserung der Lebensbedingungen vieler Menschen durch ihren
Einfallsreichtum und ihre fachliche Kompetenz bewiesen haben, noch einen weiteren
Beitrag leisten, indem sie ihre Fähigkeiten in den Dienst derer stellen, die noch
in extremer Armut leben.
Was wir brauchen, ist ein erneuerter, tiefgreifender
und erweiterter Sinn für Verantwortung bei allen. „Die Tätigkeit eines Unternehmers
ist eine edle Berufung, vorausgesetzt, dass er sich von einer umfassenderen Bedeutung
des Lebens hinterfragen lässt“ (Evangelii Gaudium, 203). Solche Männer und
Frauen sind in der Lage, dem Gemeinwohl effektiver zu dienen und die Güter dieser
Welt für alle zugänglicher machen. Dennoch verlangt die Entwicklung der Gleichberechtigung
mehr als Wirtschaftswachstum, obwohl sie es voraussetzt. Sie verlangt vor allem „eine
transzendente Sicht der Person“ (Benedikt XVI, Caritas in Veritate, 11), denn:
„Ohne die Aussicht auf ein ewiges Leben …(fehlt) dem menschlichen Fortschritt in dieser
Welt der große Atem“ (ebd.). Sie erfordert auch Entscheidungen, Mechanismen und Prozesse,
die darauf ausgerichtet sind, eine bessere Verteilung des Wohlstands, das Schaffen
von Beschäftigungsmöglichkeiten und eine integrale Förderung der Armen, die über eine
bloße Wohlfahrtsmentalität hinausgeht, herbeizuführen.
Ich bin überzeugt,
dass durch eine solche Offenheit gegenüber dem Transzendenten eine neue politische
und wirtschaftliche Mentalität Gestalt annehmen kann. Eine Mentalität, die in der
Lage ist, sämtliche wirtschaftlichen und finanziellen Aktivitäten zu leiten, im Horizont
eines ethischen Ansatzes, der wirklich menschengerecht ist.
Die internationale
Geschäftswelt kann auf viele Männer und Frauen zählen, die große persönliche Ehrlichkeit
und Integrität aufweisen, deren Arbeit inspiriert und geleitet wird von hohen Idealen
der Fairness, Großzügigkeit und Sorge für die authentische Entwicklung der menschlichen
Familie. Ich fordere Sie auf, auf diese großen menschlichen und moralischen Ressourcen
zurückgreifen und diese Herausforderung mit Entschlossenheit und Weitsicht anzunehmen.
Ohne natürlich die spezifischen wissenschaftlichen und fachlichen Anforderungen des
jeweiligen Kontextes außer Acht zu lassen, bitte ich Sie sicherzustellen, dass Wohlstand
der Menschheit dient, anstatt sie zu beherrschen.
Werter Herr Präsident
und liebe Freunde,
ich hoffe, dass Sie diese kurze Wortmeldung als Zeichen
meiner pastoralen Sorge sehen, sowie als konstruktive Unterstützung Ihrer Aktivitäten,
damit diese immer edler und fruchtbarer sein mögen. Ich erneuere meine besten Wünsche
für ein erfolgreiches Treffen und erbitte den göttlichen Segen für Sie und die TeilnehmerInnen
des Forums, sowie für Ihre Familien und Ihre Arbeit.