2014-01-19 09:07:28

Mauretanien: Sklaverei ist „soziales Problem"


RealAudioMP3 Sie heißen „Diener“ oder „Hausangestellte“: Das sind edle Worte für ein ungerechtes Geschäft zum Hungerlohn: Sklaverei ist in Mauretanien an der Tagesordnung. Obwohl gesetzlich seit 1981 verboten, ist das Halten von Leibeigenen aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Ein neues Gesetz aus dem Jahr 2007 bestraft Sklavenhaltung zwar mit fünf bis zehn Jahren Gefängnis, die Verfassung bezeichnet Sklaverei gar als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, und in diesem Jahr will die Regierung des Landes ein Tribunal zur Ahndung von Sklaverei einrichten. Die Realität aber sieht unerwartet anders aus.

Seit über 40 Jahren lebt der deutsche Bischof Martin Happe in Afrika. Er ist Katholik in einem Land, in dem fast 100% der Einwohner Muslime sind. In Mauretanien leben vor allem die Haratin, das ist eine ethnische Gruppe, die lange von den Araber-Berbern im Land als Sklaven gehalten wurde. Übersetzt heißt „Haratin“: „nachträglich Befreiter.“ Viele von ihnen müssen immer noch für ihre Herren arbeiten. Aber „Sklaverei“ sei dafür nicht das passende Wort, findet Bischof Happe:

„Der richtige Ausdruck wäre eigentlich „Leibeigener“, wie wir das früher im Mittelalter in Deutschland hatten. Mir hat schon damals in Gauru ein früherer Sklave gesagt: „Wenn wir wirklich ganz frei sein wollen von unseren Meistern, dann geht das nur, wenn wir aus dem Gebiet ausreisen.“ Das ist ein soziales Problem. Das Gute an der Sache ist, dass es auch bei den Haratin, einer Volksklasse und Volksgruppe, inzwischen gut ausgebildete Leute gibt und dass sie im sozialen Umfeld aktiv werden, aber auch im politischen. Ich nehme an, da wird sich etwas tun.“

Man dürfe das ganze Problem nicht zu sehr auf Mauretanien zuspitzen, sagt Happe. In den afrikanischen Gesellschaften habe es immer Sklaven gegeben, berichtet er.

„Ich habe die gleiche Situation in Mali gesehen, ich hab die gleiche Situation in Burkina Faso gesehen, im Niger, in den ganzen Nachbarländern, es kräht kein Hahn danach. Natürlich kann man damit als Christ nicht einverstanden sein. Aber es wird seine Zeit brauchen. Es nützt nichts, dass wir jetzt irgendwelche Gesetze erlassen. Es muss eine Bewusstseinsumbildung passieren: sowohl bei den früheren Sklaven als auch bei den früheren Sklavenhaltern. Und das wird Zeit brauchen. Es sind eben viele Leute seit Jahrhunderten in diesen Situationen. Wenn man beispielsweise in eine mauretanische Familie zum Abendessen eingeladen ist, dann ist es ganz sicher, dass entweder ein junger schwarzer Mann oder eine junge schwarze Frau das Abendessen bringen wird und dieses auch gekocht hat. Das ist mehr eine Frage des sozialen Status als der Unfreiheit heutzutage.“

Die meisten „Leibeigenen“ könnten sogar raus, wenn sie wollten, schätzt der 68-jährige Bischof. Manche von ihnen bekämen auch Geld für ihre Arbeit. Das sei natürlich kein normales Entlohnungsverhältnis und ganz stark verschieden, von Fall zu Fall.

„Natürlich hängt das von der Familie ab, in der er (der Sklave) lebt. Es gibt ganze Landstriche, die von ehemaligen Sklaven bebaut werden, wo sie als selbstständige Bauern arbeiten. Sie leben alle von ihrer Landwirtschaft, und wenn sie das nicht hätten, dann hätten sie nichts zu beißen. Meistens haben sie den Job vom Vater übernommen oder vom Onkel. Das sind auch Familienbanden, die können auch miteinander lachen, die können sich auf die Schulter klopfen: Man kann sich das schlecht vorstellen. Wir von der Kirche sind da auch aktiv, denen dann die Möglichkeit zu geben, eine schulische Ausbildung zu haben oder sogar eine Universitätsausbildung. Also wir haben inzwischen gut ausgebildete Leute unter denen, sogar Minister hat es gegeben. Es wird sich entwickeln, da bin ich mir auch ganz sicher. Aber das ist eine Frage, die Zeit braucht und auch, dass sich die Leute der Sache bewusst werden.“

Noch ist die Leibeigenschaft ein Teil der Gesellschaftsstruktur. Viel schlimmer und bedrohlicher für Mauretanien sei aber die drohende Islamisierung, betont Happe mehrmals. Das Vorpreschen der Wahabiten, also einer islamitischen Gruppierung aus Saudi Arabien, bereitet ihm und seinen mauretanischen Freunden große Sorge. Mauretanien ist schon Islamische Republik, aber die Wahabiten wollen mehr: Ihre Lehre soll die Staatsreligion sein. Sie gelten als fundamentalistische Muslime, stehen Al Kaida nahe, und auch die Taliban vertreten eine ähnliche Ideologie wie die Wahabiten in Mauretanien.

„Beispielsweise in den Städten gehen sie zu zweit von Tür zu Tür und fragen die Leute: „In welche Moschee geht ihr beten? – Da dürft ihr nicht hingehen, ihr müsst in eine andere gehen!“ Da achten sie dann auch darauf, dass sie dorthin gehen. Auf dem Land ist das Ganze noch verrückter, gerade in den Gebieten, wo die Haratin, das heißt die ehemaligen Sklaven, sich installiert haben als Landwirte, unten am Fluss; viele sind selbstständige Bauern. Die haben aber natürlich wenig Ausbildung, auch religiöser Art. Dann kommt da abends beim Dunkelwerden eine Gruppe ins Dorf und fragt, wo sie übernachten können, und wie es üblich ist, wird ihnen dann die Moschee zugewiesen. Am nächsten Morgen sagen sie dann: „So, wir sind Wahabiten, und wir sind jetzt in der Moschee, und das ist jetzt unsere Moschee, und wir gehen da nicht mehr raus.“ Dann nehmen die Leute das entweder an, oder sie protestieren. Das kann sogar vor ein Gericht gehen.
Das bringt die ganze Gesellschaft durcheinander, denn diese Wahabiten sind – nicht alle, aber viele - durchaus gewaltbereit. Das kann einen Bürgerkrieg vorbereiten.“

Wenn islamistische Wahabiten nun auf befreite Sklaven treffen, dann finden die Islamisten schnell neue Anhänger: Die Haratin würden den Wahabiten selten misstrauen und sie stattdessen oft für „brave Muslime“ halten. Manchmal verteilen die Wahabiten auch Nahrungsmittel und Kleidung an die Ex-Sklaven und erschleichen sich so ihr Vertrauen, weiß der Bischof von Nouakchott.

„Sie wissen da eben auch, dass dort die weiche Stelle liegt und dass sie da am ehesten Erfolg haben können. Die zwei oder drei terroristischen Anschläge, die es gegeben hat in den letzten Jahren in Mauretanien: Die Täter waren immer Haratin, die von den Wahabiten rekrutiert worden waren. Einer zum Beispiel hatte so einen Gürtel vor dem Bauch und hat so gezittert, dass er vor der französischen Botschaft das Ding hat hochgehen lassen und das einzige Opfer war. Es hat mehrere Fälle davon gegeben. Die nutzen die Unwissenheit dieser Leute aus, sie versprechen ihnen, dass sie ins Paradies kommen, dass es ihnen da gut gehen wird.“

Vermeintliche Sklaverei lässt sich in Mauretanien also nicht in den Farben schwarz oder weiß malen. Laut Bischof Happe ist die Leibeigenschaft dort ein soziales Überbleibsel aus der Geschichte des Landes. Gesetze würden da auch nicht viel ausrichten können. Vielmehr ändere sich erst mit der Zeit das Bewusstsein der Menschen.

(rv 19.01.13 ti ms)








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