Behindert der Vatikan
bei kirchlichen Missbrauchsfällen die Justiz anderer Länder, vertuscht er Fälle, ist
er gar nicht wirklich an Transparenz und an Missbrauchs-Prävention interessiert? Diesen
Eindruck kann man haben, wenn man die Zeitungsberichte über eine Anhörung des Vatikans
vor dem Genfer UNO-Kinderschutzkomitee liest. Aus freien Stücken hatten dort am Donnerstag
– zum ersten Mal überhaupt – Vatikanvertreter über ihre Politik zur Missbrauchsbekämpfung
ausgesagt, genauso wie Vertreter anderer Staaten. Doch einige Nachrichtenagenturen
und Medien stellen die Anhörung als eine Art Offenbarungseid des Heiligen Stuhles
dar.
Weihbischof Charles Scicluna hatte einen anderen Eindruck. Der langjährige
Verantwortliche der Glaubenskongregation für den Umgang mit Missbrauchsfällen war
Teil der Vatikan-Delegation, die in Genf aussagte.
„Es war schon anstrengend,
weil die Sitzung sehr lange dauerte und sehr engagiert verlief; wichtige Anliegen
kamen da zur Sprache, und wir hatten einen sehr wichtigen und fruchtbaren, aktiven
Dialog. Ich glaube, wir sind uns einig über die Prinzipien der UNO-Konvention über
Kinderrechte, und aus meiner Sicht haben wir der internationalen Gemeinschaft sehr
klar und kohärent mitgeteilt, dass der Heilige Stuhl seine Lektion gelernt hat; dass
er die Konvention als souveräner Staat umsetzt, und dass er die Werte der Konvention
als Zentralorgan der katholischen Kirche fördert. Auch das Kirchenrecht als Ausdruck
der Jurisdiktion des Heiligen Stuhls wird kontinuierlich revidiert, wie das etwa 2010
der Fall war, um Vorgehensweisen und wichtige Themen adäquat anzupassen.“
„Verantwortung
beginnt auf der lokalen Ebene“
Und wie sieht das aus mit dem Verdacht,
der Heilige Stuhl halte Informationen über Missbrauchsfälle, und wie sie angegangen
werden, zurück?
„Es lag nicht in der Kompetenz des Komitees, nach Einzelfällen
zu fragen – auch wenn es einen Einzelfall gibt, der unter die Kriterien der Konvention
fällt. Das ist der Fall eines Diplomaten, der ein Bürger des Vatikanstaats ist [Erzbischof
Jozef Wesolowski, früherer Nuntius in Santo Domingo, Anm.]. Zu den entsprechenden
Vorwürfen werden derzeit Ermittlungen durchgeführt, und das wurde vom Leiter unserer
Delegation, Nuntius-Erzbischof Tomasi, offen angesprochen. Bei anderen Fällen lautete
die Antwort des Heiligen Stuhls, dass diese auf lokaler Ebene behandelt werden und
dass man da auf lokaler Ebene nachfragen sollte.“
Verbände von Missbrauchsopfern
äußern sich enttäuscht: Nach ihrem Eindruck wird im Vatikan gemauert, dabei fordern
sie Transparenz auch an der Kirchenspitze. Und sehen in Papst Franziskus einen Verbündeten,
der am Donnerstag in einer Predigt „Scham“ über die Skandale der Kirche forderte.
Scicluna sagte Radio Vatikan zum Thema Transparenz im Vatikan:
„Ich finde,
es gibt zwei wichtige Elemente dabei, nämlich Transparenz und
Verantwortung. Und ich meine, Transparenz und Verantwortung müssen auf der lokalen
Ebene beginnen. Was die Prozeduren auf der Ebene des Heiligen Stuhles betrifft, finde
ich, dass die betroffenen Parteien jedes einzelnen Falles vollkommen das Recht haben,
Zugang zu aller nötigen Information zu haben – zu ihrer Verteidigung, zur Ausübung
ihrer Rechte im Rahmen des Systems, in dem wir operieren.“
„Kindeswohl
als Leitgedanke“
Das UNO-Komitee für Kinderschutz mit Sitz in Genf
ist verantwortlich für die Umsetzung der Kinderrechte-Konvention von 1989. Der Heilige
Stuhl ist dieser Konvention 1990 (mit drei Vorbehalten) beigetreten. Die Anhörung
vom Donnerstag hat nun das Thema Missbrauchsskandale wieder ganz nach oben in der
internationalen Aufmerksamkeit geschoben. War die Anhörung ein Wendepunkt, Bischof
Scicluna?
„Sie verschafft Kritikpunkten und Themen auf internationaler Ebene
große Sichtbarkeit – aber sie war und ist vor allem eine Gelegenheit für den Heiligen
Stuhl, nicht nur hinzuhören auf Kritikpunkte, sondern auch selbst öffentlich seine
Verpflichtung auf die Werte der Kinderrechte-Konvention auszudrücken, einschließlich
dem Kindeswohl als Leitgedanke in jedem Entscheidungsprozess.“
Scicluna
und Tomasin hatte in Genf die Vatikan-Politik bei Missbrauch verteidigt. Der Heilige
Stuhl habe kirchliche Richtlinien verschärft, die Zusammenarbeit mit staatlichen Strafverfolgungen
ausgebaut und neue Wege in der Prävention beschritten, sagte Tomasi vor der UN-Einrichtung.
Für pädophile Übergriffe gebe es „keine Entschuldigung". Der Kinderschutz bleibe ein
„Hauptanliegen" der katholischen Kirche. Neben entsprechenden Leitlinien nannte er
ein von der Päpstlichen Universität Gregoriana und der Universität München gemeinsam
entwickeltes Präventionsprogramm als Beispiel. Weiter verwies Tomasi auf eine von
Papst Franziskus angekündigte Kinderschutzkommission, die weitere Vorschläge erarbeiten
soll. Die katholische Kirche wolle ein „Vorbild“ auf diesem Feld werden, so der Vatikandiplomat.
Zugleich betonte er die rechtliche Eigenständigkeit der katholischen Ortskirchen.