Buchtipp: Pius II., der Papst, mit dem die Renaissance begann
Er war ein Superstar
der Intellektuellenszene, schrieb erotische Literatur, wechselte die Arbeitgeber wie
die spitzengewirkten Hemden. Dann wurde er Priester - und eines Tages Papst. Die Rede
ist von „Pius II., der Papst, mit dem die Renaissance begann“. So heißt eine neue
Biografie über diesen Pontifex, der 1458 bis 1464 amtierte. Gudrun Sailer sprach mit
dem Biografen Volker Reinhardt über Enea Silvio Piccolomini, Pius II.
„Er
war zunächst ein angesagter moderner Literat. Ein hochaktueller Schriftsteller, der
im besten Latein, also in der Modesprache der Gelehrten dieser Zeit, Texte verfasste,
die auch für ein breiteres Publikum bestimmt waren, eine recht erotische Liebesgeschichte
unter anderem, die aber auch psychologisch sehr tiefgründig ist, ein Theaterstück,
auch sehr freizügiger Art, in dem verschiedene Lebenseinstellungen auch sehr unchristliche,
sehr offen diskutiert wurden.“
Als intellektuelles Großkaliber, das er
war, schrieb er daneben Werke über Geographie, Geschichte und Gebräuche ganzer Kontinente,
eines über Asien, das andere über Europa; eine „Summa“, in der er das Wissen seiner
Zeit über diese geographischen Räume aufbereitete. Ein Tausendsassa, dieser Piccolomini,
geboren in einem toskanischen Dorf namens Corsignano, heute Pienza. Er stammte aus
zwar nicht wohlhabenden Verhältnissen, aber aus der richtigen Familie.
„Die
Piccolomini sind alter Sienesischer Adel, sie sind eine der Gründerfamilien der Comune,
der Republik, allerdings in den letzten Generationen politisch entmachtet und wirtschaftlich
verarmt. Aber das bedeutet etwas anderes als heute. Das Kapital des Familiennamens
und der Ruhm waren lebendig. Draus konnte man noch etwas machen. Allerdings über eine
Ochsentour.“
Enea Silvio Piccolomini, der späteres Pius II., musste sich
empordienen, wobei er sich als wendig erwies. Seinen Dienstherren war er loyal, einem
nach dem anderen. 1440 wurde Piccolomini Sekretär eines Gegenpapstes, dann wechselte
er die Fronten und trat in die Dienste des Habsburgers Friedrich III., der den Papst
unterstützte. Drei Jahre verbrachte er in deutschen Landen, war in Wiener Neustadt
und Graz, aus seiner Sicht etwas wie intellektuelle Wüste.
„Er hat loyal
zu seinem Dienstherrn Friedrich III. gehalten, aber als italienischer Großintellektueller
und moderner Literat betrachtet er Deutschland als rückständig. Für die italienischen
Humanisten dieser Zeit waren alle Nichtitaliener letztlich Barbaren, kulturlose Trunkenbolde,
triebgesteuerte Hinterwäldler.“
Zur Überraschung vieler ging dieser Mann
mit Vorleben aus dem Konklave 1458 als Papst hervor. Er war der typische Kompromisskandidat.
„Am Anfang schien seine Wahl auch aussichtslos. Aber nach seinem eigenen
Bericht hat er dann durch die Kunst der Rede, durch die Überzeugungsmächtigkeit seiner
Rhetorik die Wähler überzeugt.“
Der moralische Aspekt seines Vorlebens
spielte im Konklave eine geringe Rolle gegenüber der politischen. Es war nicht vergessen,
dass er weltliche Literatur verfasst und ein weltliches Leben geführt hatte. Allerdings
hatten die Kardinalskollegen auch seine Lebenswende 15 Jahre früher in Erinnerung,
die sich in seiner Priesterweihe manifestierte. Volker Reinhardt:
„Andere
Kardinäle hatten ein ähnliches Vorleben, er war keine Ausnahme. Viele der damaligen
Kardinäle lebten im Konkubinat oder hatten uneheliche Kinder gezeugt, wie Piccolomini
auch. Das galt damals zwar letztlich als nicht vereinbar, aber doch nicht als eine
sehr schwere Sünde.“
Vergeben und vergessen, denn die politische Bedrohung
der Zeit wog weitaus schwerer: die Türkengefahr. Die Kardinäle sahen in Piccolomini
den rechten Mann zur Verteidigung des christlichen Abendlandes. Denn ab den 1450er
Jahren hatte der Kirchenmann sich ganz dem politischen Aufruf zum Türkenkrieg und
zur Rückeroberung des 1453 verlorenen Konstantinopel verschrieben.
„Das
war sein Profil, seine Mission, sein Markenzeichen. Dadurch gewann er sehr viel moralischen
Kredit, weil er das glaubwürdig vertrat. Er war ein großer Historiker, hatte Landeskunden
über verschiedene europäische Nationen geschrieben, hatte große historische Werke
verfasst, er war glaubwürdig als Vertreter des Abendlandes und seiner Werte, und das
bringt ihm viel Kredit.“
Unter diesem Vorzeichen steht später auch der
ziemlich pittoreske Tod des Papstes, man könnte fast sagen, ein inszenierter Tod.
„Pius II. war nach damaligen Begriffen mit 58 Jahren 1463 ein alter Mann,
er war vor allem ein kranker Mann, der an vielfachen Gebrechen litt. Es war absehbar,
dass er bald sterben würde, und es ist ebenfalls absehbar, dass der eigentliche Kreuzzug
militärisch-politisch gesehen nicht zustande kommt. Deshalb wird ein symbolischer
Kreuzzug, der militärisch-politisch aussichtslos sein musste, organisiert, also der
Papst kann nur auf geringe Unterstützung der europäischen Mächte zählen, eine kleine
venezianische Flotte ist versprochen, aber ansonsten muss er diesen symbolischen Kreuzzug
allein ausrichten. Er lässt sich bereits todkrank im Juni 1464 nach Ancona bringen,
von wo aus er diese eigentlich selbstmörderische Mission nach Osten beginnen will,
aber er stirbt dann in Ancona, bevor dieser Kreuzzug aufbricht. Es ist inszeniert
und heiliger Ernst zugleich.“
Pius II. war so etwas wie der erste Medienpapst
der Geschichte. Er hat seine eigene Biografie gestaltet, präsentiert, überarbeitet,
und das Bild, das er von sich selbst abgeben wollte, wirkte nachhaltig. Er bediente
sich vor allem zweier Medien: Stein und Wort.
„In Stein dadurch, dass er
sein Geburtsdörfchen Corsignano zum Bischofssitz und zur Stadt erhebt mit einem völlig
neuen, weißen Marmorzentrum ausstattet, er lässt einen grandiosen Familienpalast,
eine Kathedrale bauen als Museum seiner eigenen Vita, seines eigenen Aufstiegs.“
Aus
dem bescheidenen Corsignano wird so die Renaissance-Modellstadt Pienza, heute UNESCO-Weltkulturerbe.
Zweites Mittel der Selbstdarstellung ist für Piccolomini seine Autobiografie, die
so genannten Commentarii, die er ab 1462 schreibt.
„Ein monumentaler Text,
ja nach Druck zwischen eineinhalb und dreitausend Seiten. Er ist kurz, was die Vorgeschichte
vor dem Pontifikat betriff, aber sehr ausführlich, was die Regierungszeit angeht.
Scheinbar chaotisch, also Lebensimpressionen, Anekdoten, lange historische Traktate,
theologische Abhandlungen, und doch ist das alles letztlich unter einer Denkfigur,
einem Motiv angeordnet, nämlich der Erwählung Enea Silvio Piccolominis zum Papstamt
und seiner beständigen Prüfung und Bewährung, das heißt die Vorsehung, Gott, stellt
ihm Aufgaben, die er bewältigen muss, und von Aufgabe zu Aufgabe wird er dann würdiger
und schließlich ein exemplarischer Papst. Diese Idee der Vorherbestimmung, die aber
immer wieder neu erworben werden muss, dadurch dass Prüfungen bestanden werden.“
Mit
Pius II. begann die Renaissance – das ist Reinhardts These. Piccolomini war insofern
ein Renaissancepapst, als er die Renaissance miterfand, gleichzeitig war er der richtige
Mann für die Renaissance.
„Er wächst in Siena und der Toskana in einem
Klima auf, wo bereits sehr viel Neues fermentiert. Er wechselt dann in traditionellere
Milieus über, der Habsburgerhof in den 1440er Jahren ist ganz sicher noch kein Renaissancehof,
auch Rom ist eigentlich bis zum Ende der 1450er Jahre noch keine Renaissancestadt.
Er bringt dann das Neue von seinen Lebensstationen und von seiner eigenen schriftstellerischen
Tätigkeit und auch die Virtuosität, mit der er die Medien der Zeit benutzt und instrumentalisiert
werden, mit nach Rom. Das ist das Renaissance-Element schlechthin. Ein Papst, der
das Medium Text und Kunst und letztlich auch die Ästhetik des Alltags in einem Gesamtkunstwerk
einschmilzt. Dieser Papst hält Beratungen mit den Kardinälen auf der grünen Wiese
ab, in idyllischen Landschaften. Er hat einen völlig eigenen Regierungsstil, der eigenwillig
ist, auch viele Leute vor den Kopf stößt. Er hat ein Sensorium für Landschaften, beschreibt
sie angelehnt an literarische Vorbilder der Antike, dann doch aber wieder sehr eigenständig,
er hat ein scharfes Auge für die Natur und das alles bringt er in eine Amtsinszenierung
mit ein, die ihm ein besonderes Image verschafft. Er ist der Papst, der die Antike
wiederentdeckt hat, der sie sprachlich beherrscht durch sein elegantes Latein, und
einen ganz eigenen Regierungsstil praktiziert. Das ist Renaissance.“
Buchtipp:
Volker Reinhardt: Pius II. Piccolomini. Der Papst, mit dem die Renaissance begann.
Eine Biographie. Verlag C.H. Beck, München 2013. Rund 25 Euro.