Papst Franziskus traf
Ende November rund 120 Generalobere der katholischen Männerorden im Vatikan. Das Protokoll
des Gesprächs des Papstes mit den Oberen hat die italienische Jesuitenzeitschrift
„La Civiltà Cattolica“ an diesem Freitagnachmittag veröffentlicht. Der Chefredakteur
der Zeitung, Pater Antonio Spadaro, war vom Leiter der Vereinigung der Oberen, Pater
Adolfo Nicolás, gebeten worden, bei der Begegnung dabei zu sein und Protokoll zu führen.
Die Begegnung fand zum Ende der 82. Generalversammlung der Generaloberen statt. Spadaro
fasst die dreistündige Unterredung, bei der der Papst in ungezwungener Atmosphäre
und in freier Rede Fragen beantwortete, auf 15 Seiten zusammen – in einem ähnlichen
Stil wie bereits das Interview, das der Jesuit selbst vor einigen Wochen mit dem Papst
führte. Wir haben für Sie die Kernaussagen des Papstes herausgefiltert.
„Kirche
muss attraktiv sein“ „Kirche muss attraktiv sein. Weckt die Welt auf!
Seid Zeugen eines anderen Handelns!“ Mit diesem Appell an die Ordensoberen knüpfte
Franziskus an Ausführungen seines Vorgängers Benedikt XVI. an (vgl. dessen Predigt
vom 13. Mai 2007). Benedikt sagte, dass die Kirche „durch das Zeugnis wächst, nicht
durch Proselytismus“. Ein anziehendes Zeugnis sei „nicht an die gewohnte Haltungen
gebunden“, fügte hier Franziskus an. Es zeichne sich durch „Großmut, Distanz, Opfer“
und Selbsthingabe im Dienste am Anderen aus, so der Papst: „Das ist das Zeugnis, das
,Martyrium‘ des Ordenslebens“. Für die Welt habe dieses „Über den weltlichen Horizont
Hinausgehen“ Signalwirkung, fuhr er fort, es sei ein „Alarmsignal“.
Dabei
zu irren sei menschlich, so der Papst weiter: „Das Leben ist komplex und besteht aus
Gnade und Sünde. Wenn jemand nicht sündigt, ist er kein Mensch. Wir alle irren und
müssen unsere Schwächen anerkennen.“ Ein Ordensmann, der dies erkenne, widerspreche
nicht dem eigenen Auftrag, präzisierte hier der Papst, sondern „verstärke ihn“ sogar,
und dies „tue allen gut“, so Franziskus. Dieses besondere, „prophetische“ Zeugnis
erwarte er von einem Ordensmann, so der Papst. Und er betonte: „Auch ich bin ein Ordensmann.“
Perspektivenvielfalt
und Erfahrung „Die großen Veränderungen der Geschichte haben sich verwirklicht,
wenn die Realität nicht vom Zentrum, sondern vom Rande aus betrachtet wurde.“ Franziskus
plädierte hier für einen Blick, der „aus verschiedenen Blickpunkten“ Welt erschließt.
Standortwechsel seien für ein tiefes Verständnis der Dinge notwendig, so Franziskus:
„Wir müssen uns ans Denken gewöhnen.“ Zugleich müsse die Realität „durch Erfahrung“
erschlossen werden, fuhr der Papst fort. Und er schlug vor: „eine Zeit lang an die
Peripherie gehen, um wirklich die Realität zu kennen und das Leben der Menschen. Wenn
das nicht passiert, riskiert man, abstrakte Ideologen oder Fundamentalisten zu sein,
und das ist nicht gesund“. Das Hinausgehen an die „existentiellen und geografischen
Peripherien“ sei der Weg Jesu, erinnerte der Papst. Seine Botschaft sei nicht exklusiv,
betonte er weiter: „Habt keine Angst, euch an jeden zu wenden.“
Nach der Priorität
des Ordenslebens gefragt, betonte der Papst, es gehe darum, tatsächlich „Prophet zu
sein“ und „nicht nur einen solchen zu spielen“. Dabei dürfe auch ruhig einmal „Krach“
gemacht werden, so Franziskus: „Prophetie macht Lärm“. Ein halbherziges Ordensleben
sei dagegen des Teufels, führte der Papst aus. Ordensmänner und Ordensfrauen müssten
dagegen „die Zukunft erleuchten“. Mit Blick auf die einzelnen Charismen müsse es darum
gehen, „das zu verstärken, was im Ordensleben institutionell ist“, so der Papst. Dabei
dürfe jedoch „nicht das Institut mit dem apostolischen Werk verwechselt“ werden: „Das
Charisma bleibt, ist stark, das Werk vergeht (…) Das Institut ist kreativ, sucht immer
neue Wege.“
Für neue Vermittlungswege sprach sich der Papst mit Blick auf die
Arbeit mit Jugendlichen aus: „Wer mit der Jugend arbeitet, kann nicht dabei stehen
bleiben, die Dinge zu geordnet und zu strukturiert wie in einem Traktat zu sagen,
denn diese Dinge gleiten an der Jugend ab. Es braucht eine neue Sprache, eine neue
Art, die Dinge zu sagen.“
„Charisma ist keine Flasche mit destilliertem
Wasser“ Mit Blick auf das Gefälle der Berufungen in der Welt – während
ihre Zahl in Europa sinkt, nimmt sie in Afrika und Asien zu – betonte der Papst die
Kraft und den Beitrag der jungen Kirchen: „Es gibt Kirchen, die neue Früchte tragen.
(…) Das hält uns natürlich dazu an, die Inkulturation des Charisma neu zu überdenken.“
Der Papst plädierte hier für interkulturelle Sensibilität sowohl in der Mission als
auch bei der Ausbildung der Novizen weltweit. Das Charisma sei „eines“, unterstrich
er, müsse aber je nach kulturellem Kontext gelebt werden: „Wir dürfen das Charisma
nicht starr und uniform machen. Wenn wir unsere Kulturen gleichmachen, töten wir das
Charisma“, erinnerte Franziskus. Aufgrund von zu großer Ängstlichkeit seien in der
Geschichte bei der Mission Chancen verschenkt worden, merkte der Papst hier weiter
an. Und er nannte als ein Beispiel die Chinamission des „Pioniers“ Matteo Ricci. Viele
der Intuitionen des italienischen Jesuites seien damals fallen gelassen worden, bedauerte
Franziskus wohl mit Blick auf die damaligen Spannungen der Jesuiten mit dem Vatikan.
Mit
Sensibilität für den jeweiligen kulturellen Kontext sei freilich kein „folkloristisches
Anpassen an die Gewohnheiten“ gemeint, präzisierte der Papst. Es geht ihm vielmehr
um eine Offenheit für das kulturelle bzw. gewachsene Umfeld. Franziskus nannte ein
weiteres Beispiel: „Ich kann eine Person nicht zu einem Ordensmann ausbilden, ohne
sein Leben, seine Erfahrung, seine Mentalität und seinen kulturellen Kontext in Erwägung
zu ziehen.“
Über die sinkenden Berufungen bei nicht geweihten Ordensmitgliedern
sagte der Papst: „Ich glaube keinesfalls, dass die Krise der Ordensmitglieder, die
keine Priester sind, ein Zeichen der Zeit ist nach dem Motto: diese Berufung ist vorbei.
Wir müssen verstehen, was Gott hier von uns will.“
Bildung des Herzens,
nicht zu Monstern „Ausbildung ist ein Handwerk, kein Polizeiwerk. Wir müssen
das Herz bilden. Sonst schaffen wir kleine Monster. Und diese kleinen Monster schaffen
das Volk Gottes. Das verschafft mir wirklich Gänsehaut.“ Erneut wandte sich der Papst
gegen Klerikalismus, den er als Ursache von mangelhafter Reife und fehlender Freiheit
vieler Kirchenmänner sieht. „Heuchelei als Folge von Klerikalismus“ sei „eines der
schlimmsten Übel“, so der Papst. In der Ausbildung des kirchlichen Nachwuchses müsse
auf einen „ernsthaften“ und „ehrlichen“ „Dialog ohne Angst“ geachtet werden, es brauche
eine umfassende „spirituelle, intellektuelle, gemeinschaftliche und apostolische“
Ausbildung: „Wir dürfen keine Verwalter und Geschäftsführer heranbilden, sondern Väter,
Brüder und Weggefährten“, so Franziskus.
Ebenso müsse streng auf die Eignung
des Ordensnachwuchses geachtet werden, so der Papst: „Wenn ein Jugendlicher aufgrund
von Problemen in der Ausbildung und ernster Probleme dazu eingeladen wurde, aus einem
Ordensinstitut auszutreten, dann aber in einem anderen akzeptiert wird, ist das ein
großes Problem. (...) Es werden Sünder, aber keine Korrupten akzeptiert.“ Franziskus
lobte in diesem Zusammenhang den beispielgebenden Einsatz des emeritierten Papstes
Benedikt XVI. im Kampf gegen sexuellen Missbrauch in der Kirche.
„Konflikte
umarmen, Handeln mit dem Herzen“ „Ein verdeckter Konflikt führt zu Spannungen
und explodiert dann“, warnte der Papst mit Blick auf die Gemeinschaft des Ordenslebens.
In einer Gemeinschaft seien Konflikte unvermeidlich, ja sie gehörten sogar dazu. Wichtig
sei der richtige Umgang in solchen Fällen: Konflikte dürften nicht ignoriert werden,
ihnen müsse mit franziskanischer Zärtlichkeit und Milde begegnet werden: den „Konflikt
umarmen“, riet Franziskus. Wenn das nicht reiche, müsse die Gemeinschaft gewechselt
werden oder etwa ein Psychologe hinzugezogen werden – auch davor dürfe man sich nicht
fürchten, so der Papst. Wichtig sei, mit dem Herzen zu handeln: „Die eucharistische
Zärtlichkeit verdeckt einen Konflikt nicht, sie hilft, ihn menschlich anzugehen“,
so der Papst.
Das geschwisterliche Leben habe eine große Kraft, Menschen zusammenzubringen,
sei aber auch große Herausforderung und Prüfung: „Die Versuchungen gegen die Geschwisterlichkeit
behindern den Weg des geweihten Lebens am Allermeisten.“ Idealismus sei am Ende ein
Weg der Flucht aus dem geschwisterlichen Leben. Doch „wer die Geschwisterlichkeit
nicht leben kann, kann kein Ordensleben führen“, so Franziskus.
Ordensleute
und Ortskirche: „Mutuae relationes“ überarbeiten Im Zusammenhang mit der
Frage, wie die verschiedenen Charismen respektiert und zum Wohle der Ortskirchen und
der Ordensgemeinschaften gefördert werden können, kritisierte der Papst die Richtlinien
zu den Beziehungen von Kirche und Ordensleuten im Dokument „Mutuae relationes“ der
Ordenskongregation und der Bischofskongregation aus dem Jahr 1978: Es sei überholt
und müsse dringend überabeitet werden. Diesen Auftrag erteilt Franziskus der Ordenskongregation.
Er kenne die Probleme, die es zwischen Ordensgemeinschaften und Bischöfen
gebe, führte Franziskus dazu aus. Er wisse aber auch, dass die Bischöfe nicht immer
über die Charismen und Werke der Ordensgemeinschaften informiert seien: „Wir als Bischöfe
müssen verstehen, dass Menschen geweihten Lebens kein ,Hilfsmittel‘ sind, sondern
Charismen, die die Diözese bereichern. Die Einbeziehung des diözesanen Lebens in die
Ordensgemeinschaften ist wichtig.“ Ebenso unerlässlich sei es, den Dialog zwischen
Bischöfen und Ordensgemeinschaften zu wahren.
Grenzgebiete der Mission Eine
Aufgabe der Ordensgemeinschaften ist laut Franziskus, an den Randgebieten in der Welt
zu wirken. Hier gelte es einerseits, geographische Grenzen zu überwinden, mobil zu
sein, so Franziskus. Zweitens müssten auch individuelle Grenzen überwunden werden,
je nach der Persönlichkeit der entsendeten Ordensleute und den jeweiligen Charismen
der Institute. Praktisch heißt das: An die Randbereiche müssen die fähigsten und geeignetsten
Ordensleute geschickt werden. Solche Situationen erforderten Mut und Gebete, zugleich
dürften die Entsandten nicht allein gelassen werden, erinnerte der Papst.
Kultur
und Erziehung spielen Schlüsselrolle Mit Blick auf die gesellschaftlichen
Erziehungsaufgaben der Ordensgemeinschaften betonte der Papst die Schlüsselrolle der
Erziehung in der heutigen Zeit. Sie sei heute aber aufgrund vieler Herausforderungen,
beispielsweise beim Unterrichten von Kindern aus Patchwork-Familien, nicht immer leicht:
„Wie können wir diesen Kindern und Jugendlichen Christus verkünden? Wie einer Generation
im Wandel? Wir müssen dabei sehr aufpassen, das wir ihnen nicht eine ,Impfung gegen
den Glauben‘ verpassen“, so der Papst. Die Säulen der Erziehung sind für ihn: „Wissen
vermitteln, Werte vermitteln und Handlungsbeispiele geben.“ So lasse sich Glaube vermitteln.