2013-12-14 11:54:07

Unser Buchtipp: Pancratius Pfeiffer, General ohne Waffen


RealAudioMP3 Der Papst, der Ordensgeneral und die Juden: Als der Zweite Weltkrieg in Italien Einzug hielt und die Nazis Rom besetzten, war es ein deutscher Pater, der ungezählte Menschen aus den Fängen seiner Landsleute befreite. Pancratius Pfeiffer, der General des Salvatorianerordens. Über den hochherzigen, gewitzten und papsttreuen Bayern in Rom liegt nun eine neue Biografie vor. Der Historiker Stefan Samerski hat sie geschrieben.

„Wenn man einen Tag in der ersten Jahreshälfte 1944 nimmt: Er ging erstmal hinauf auf den Gianicolo und hat den Schwestern die Messe gehalten. Dann kam er zurück und es wartete bereits eine Schlange von Menschen, die ihm Zettel zusteckte und ihm die Bitten vortrugen, Verwandte Bekannte Freunde freizulassen. Er machte sich immer Notizen in sein Büchlein oder auf Zetteln. Vermutlich einmal am Tag ist er in Spitzenzeiten zu den deutschen Behörden gegangen, das heißt in die Via Tasso, wo das Gestapo-Gefängnis war und hat da mit Kappler gesprochen. Einmal am Tag oder einmal die Woche, wir wissen es nicht genau, ist er ins Staatssekretariat gegangen, wir haben Zettel aus dem Staatssekretariat mit Namen und Anliegen, die er in der Via Tasso vorgelegt hat, um Leute herauszubekommen.“

Es waren die neun intensivsten Monate im Leben des Pater Pancratius Pfeiffer. Die Nationalsozialisten besetzten Rom am 10. September 1943 und blieben bis zur ihrer Vertreibung durch die Alliierten am 4. Juni 1944. Pater Pancratius geriet sehr bald nach Beginn der Nazi-Präsenz in Rom in die Lage des Vermittlers. Warum gerade er? Den Anstoß gab ein geographischer Zufall. Das Mutterhaus des Salvatorianerordens lag – und liegt bis heute – zwei Schritte vom Petersplatz. Dort, auf der Staatsgrenze zwischen Italien und dem neutralen Vatikanstaat, patrouillierten sofort deutsche Wehrmacht-Soldaten.

„Es war im September noch sehr heiß, und so fragten sie im Vatikan um Erfrischungsmöglichkeiten an. Der Vatikan verwies sie an die nächstgelegenen Deutschen. So sandte man diese Soldaten zu den Salvatorianern. Man half ihnen, stellte ihnen sogar eine kleine Schreibstube im Parterre des Mutterhauses zur Verfügung, und als der Stadtkommandant eine Inspektionsfahrt in die Nähe des Petersplatzes machte, ging er ins Mutterhaus, um dem Ordensgeneral zu danken.“

Bei aller Hilfsbereitschaft: Der braunen Ideologie konnte Pater Pancratius nicht das mindeste abgewinnen. Einmal setzte er einem deutschen Journalisten bei einem Vier-Augen-Gespräch sachlich, ruhig und gelassen auseinander, warum die katholische Morallehre im Extremfall einen Tyrannenmord billigen würde, also ein Attentat auf Hitler. 70 Jahre alt war Pater Pancratius Pfeiffer, als seine Landsleute Rom besetzten. Ein hagerer, asketischer Mann, der allerdings nur auf Fotos streng aussieht.

„Er war geschult und hatte ein sympathisches Wesen, lachte gern und war immer ansprechbar.“

Diskret und bescheiden war er überdies. Ein geschickter Verhandler. Im Vatikan wurde der aus dem Allgäu stammende Ordensobere sehr geschätzt. Er hatte ein Amt in der päpstlichen Präfektur innegehabt und an der päpstlichen Diplomatenschule Deutsch unterrichtet, wo er viele junge Priester kennenlernte, die später im Vatikan Verantwortung übernahmen. Kurz, Pater Pancratius war der ideale Mann, um zwischen Besatzern und Papst zu vermitteln.

„Es gab verschieden andere Deutsche, die in Frage gekommen wären, etwa der Rektor der Anima Hudal, der hatte sich aber schon positioniert mit einer gewissen nationalsozialistischen Nähe. Pancratius war ein unbeschriebenes Blatt. Er war auch für die deutschen Behörden ein Unbekannter und genoss von Anfang an das Vertrauen von Pius XII. Der Papst schenkte besonders in der Zeit der deutschen Besetzung nur wenigen Vertrauen, und er zog diesen Pater, der diskret und streng weisungsgebunden seine Arbeit ausführte, gerne zu solchen Diensten heran, weil er eben kein stadtweit bekannter Mann war.“

Warum aber akzeptierten Hitlers Männer in Rom überhaupt die Vermittlung eines Paters? Was gab es da zu vermitteln? Eine Diktatur auf dem absteigenden Ast, die ihre Schlachten schlägt, aber ihre Niederlage bereits absehen kann. Rom freilich ist ein besonderes politisches Pflaster. Die Italiener schauen auf den Papst. Ein anderes Oberhaupt ist in Rom nicht mehr vorhanden: Mussolini hat abgedankt, sein Nachfolger Badoglio hat sich gemeinsam mit dem König flüchtend Richtung Süden abgesetzt, nur noch der Papst ist da und hat nicht die geringste Absicht sich entfernen zu lassen. Pius XII., gebürtiger Römer, notorischer Nazigegner, ist der Mann, auf den Italien blickt und zählt. Das wissen auch die Deutschen. Wie Stefan Samerski ausführt, schreibt die deutsche Militärführung in Rom der Kirche und dem Papst großen Einfluss auf die Volksmassen zu. Gleichzeitig rücken die Alliierten näher, Rom hungert, und die Deutschen haben viel zu wenig Mann hier. Einen Aufstand können sie nicht riskieren. Deshalb wollen sie vermeiden, die Kirche und den Papst übermäßig zu erzürnen. Und deshalb tut sich ein Verhandlungsspielraum auf. Groß ist er nicht, aber Pater Pancratius und der Papst werden ihn nutzen. Die erste und bedeutendste Aktion ist jene nach der Judenrazzia in Rom vom 16. Oktober 1943. Mehr als 1.250 römische Juden werden an jenem Sabbat gefasst und in die Kadettenschule gebracht. Von dort geht es zwei Tage später direkt nach Auschwitz ins Gas. Doch in diesen zwei Tagen lassen die deutschen Henker mehr als 200 Juden wieder frei. Noch am Tag der Razzia schickt Pius XII. Pater Pancratius Pfeiffer in die Kadettenschule zum Verhandeln, wie Samerski herausfand.

„Er ist da hingegangen und hat mit den Verantwortlichen gesprochen. Wie kriegt man Leute frei? Indem man für die eigenen Leute argumentierte. Das erste Argument, das er ins Feld führte war die Freilassung von getauften Juden. Wenn er sagte, das sind unsere Leute, getaufte Juden, Katholiken, für die setze ich mich ein im Namen des Heiligen Stuhles, dann war das ein Argument, und wir gehen davon aus, dass er dadurch zahlreiche Leute gerettet hat.“

Ähnliche Aktionen wiederholten sich in kleinerem Stil. Pancratius ging und half. Gleichzeitig spielte er eine wichtige Rolle bei der geheimen Öffnung römischer Klöster für Juden, die sich nun zu Tausenden dort versteckten, um der Deportation zu entgehen.

„Pancratius Pfeiffer war zu dieser Zeit fast 50 Jahre in Rom und kannte seine Kollegen. Er hatte einen guten Kontakt zum Staatssekretariat und zum Papst, und er wusste um die Haltung des Vatikans und hat die auch weiter transportiert gegenüber seinen Kollegen, die Oberen andere Orden, um zu sagen, der Papst möchte, dass die Klöster und Kirchen geöffnet werden sollten und geöffnet bleiben.“

Auch sein eigenes Kloster öffnete Pancratius Pfeiffer, das Mutterhaus des Salvatorianerordens. Zwischen zehn und 40 Personen fanden dort Unterschlupf. Pancratius Pfeiffer starb im Mai 1945 bei einem Autounfall. Wie vielen Menschen er in den neun Monaten der nationalsozialistischen Besetzung Roms das Leben gerettet hat, ist nicht herauszufinden, aber es müssen mehrere Hundert gewesen sein. Stefan Samerski hat dem Wirken des „Generals ohne Waffen“ mit seinem aus vielen Quellen gespeisten Werk ein würdiges Denkmal gesetzt.

Die Angaben zum Buch:
Stefan Samerski: Pancratius Pfeiffer, der verlängerte Arm von Pius XII. Der Salvatorianergeneral und die deutsche Besetzung Roms 1943/44. Verlag Ferdinand Schöning, ca. 30 Euro.

(rv 13.12.2013 gs)








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