Maria Saadeh ist eine
unabhängige, melkitisch-katholische Abgeordnete im Parlament von Damaskus. Sie war
vor einigen Tagen zusammen mit dem griechisch-melkitischen Patriarchen Gregorios III.
Laham in Rom und auch beim Papst in Audienz. Die Abgeordnete legt Wert darauf, dass
sie sich nicht mit der syrischen Führung identifiziert und dass sie sie in ihrer politischen
Arbeit auch immer wieder kritisiert. Wir fragten Saadeh nach ihrer Einschätzung zur
Lage der Christen in Syrien.
„Mir ist wichtig, zu betonen, dass ich als
Abgeordnete nicht nur die Christen repräsentiere, sondern auch die Muslime und die
verschiedenen Teile des syrischen Bevölkerungs-Mosaiks. Als ich kandidierte, habe
ich letzten Endes mehr Stimmen von Muslimen als von Christen bekommen. Was die Christen
derzeit durchmachen, ist genau dasselbe, was das ganze Volk überhaupt durchmacht,
die Gewalt trifft alle gleichermaßen. Allerdings muss ich schon zugeben, dass seit
einiger Zeit die Christen auch speziell ins Zielfernrohr bestimmter Gruppen geraten
sind. Da werden dezidiert christliche Dörfer bzw. Wohnviertel unter Beschuss genommen,
Kirchen profaniert, christliche Schulen zerstört und Ordensleute verschleppt – das
alles mit einer wilden Gewalt. Wer das tut, der hat nicht unbedingt speziell etwas
gegen Christen, sondern der will das syrische Mosaik zerstören. Der Krieg, den wir
da erleben, ist ein Krieg gegen den syrischen Staat: Der Staat soll von innen zerstört
werden, indem man das Bevölkerungs-Mosaik zerschlägt – und das macht man, indem man
schon bestehende Spaltungen zwischen den Religionen und Konfessionen noch vergrößert.
Der syrische Staat ist der letzte noch bestehende säkulare Staat im ganzen Nahen Osten.
Die christlichen Bewohner in die Emigration zu zwingen, gehört zum Versuch, den säkularen
Staat in einen islamischen Staat zu verwandeln, der auf die Religion gegründet ist.“
Wer
hat denn ein Interesse daran, das soziale Gewebe Syriens zu zerschneiden?
„Da
gibt es viele Kräfte in der Region rund um Syrien, die starke Interessen vertreten.
Syrien ist reich an Bodenschätzen, wer die unter seine Kontrolle bringt, der wird
zu einem wichtigen Player auf der internationalen Bühne. Darum waren gleich Kräfte
in der Region zur Stelle, um einen Konflikt auszunutzen, der intern, innerhalb der
Syrer entstanden war, und darum werden interne Rebellengruppen vor allem von Iran,
Saudi-Arabien und der Türkei ausgerüstet und finanziert. Die Europäer hingegen haben
ihre diplomatischen Kontakte zum syrischen Staat abreißen lassen, was für uns ein
Riesenproblem ist. Außerdem unterstützt der Westen eine Opposition, die es nur im
Westen gibt und nicht in Syrien selbst. Wer den syrischen Staat isoliert, der spielt
den Gruppen in die Hände, die ihre Angriffe und ihre Gewalt erhöht haben. Und er hört
auch nur noch einen Teil der Wahrheit über das, was im Land vorgeht.“
Der
Westen hat aber auch nicht eingegriffen…
Der Westen hört nur einen Teil
der Wahrheit
„Er hat aber auch nichts Ernsthaftes getan, um den
Krieg zu beenden! Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich die Gelegenheit hatte, mit
dem Papst über Syrien zu sprechen. Ich habe ihn gebeten, wirklich alles zu tun, um
auf die Länder einzuwirken, die das Morden in Syrien finanzieren, dass sie aufhören
damit. Der Konflikt und die Gewalt haben längst jedes erträgliche Maß überschritten.
Besonders im letzten Monat wurden viele Kinder in den Schulen vor unseren Augen getötet
– damit wird Druck auf die Eltern gemacht, dass sie die Stadt verlassen sollen. Das
passiert vor allem an christlichen Schulen und in christlichen Wohnvierteln; dahinter
steckt System.“
Wie beurteilen Sie die Haltung Russlands im Syrien-Konflikt?
„Russland
hat eine klare Position: gegen die Gewalt. Es hat sich auch im UNO-Sicherheitsrat
von Anfang an gegen jede ausländische Einmischung in den Konflikt gewehrt. Wir Syrer
respektieren Russland und seine Position. Wir wissen natürlich, dass auch Russland
bestimmte Interessen verfolgt – aber wenigstens hat es ganz klar die syrische Souveränität
respektiert! Jeder, der im Ausland eine Absetzung von Präsident Assad verlangt, beleidigt
aus meiner Sicht die Syrer und verletzt ihre Souveränität. Hier geht es um eine interne
Angelegenheit, die nur wir Syrer entscheiden und niemand sonst, und für so etwas gibt
es Wahlen. Es beleidigt mich auch, wenn Länder sich eine oppositionelle Gruppe aussuchen
und sagen: So, das ist jetzt für uns die einzige legitime Vertretung der syrischen
Gesellschaft. Jede Opposition müsste legitimerweise vom Parlament in Damaskus aus
operieren, und natürlich ohne Waffen in der Hand!“
Soll die Genfer
Konferenz wirklich Frieden erreichen?
Welche Erwartungen haben Sie
an die Friedenskonferenz von Genf, das sogenannte Genf-zwei?
„Ich habe da
eine gewisse Befürchtung, wenn ich mir die Debatte ansehe, wer überhaupt zu dieser
Konferenz eingeladen werden soll. Man hat hingegen überhaupt nicht darüber gesprochen,
was die Konferenz denn konkret erreichen soll. Dabei müsste man doch erst einmal das
Ziel festlegen und von da aus dann überlegen: Wen laden wir dazu an diesen Tisch ein?
Für die Syrer heißt im Moment die klare Priorität: Schluss mit der Gewalt – das würde
voraussetzen, dass man die Verantwortlichen einlädt, die diese Gruppen, welche in
Syrien operieren, kontrollieren. Von diesen vom Westen produzierten Figuren, die in
5-Sterne-Hotels residieren, kontrolliert doch keiner die bewaffneten Gruppen in Syrien!
Wenn es hingegen darum gehen sollte, die Regierung zu stürzen (an der übrigens die
syrische Opposition derzeit beteiligt ist!), dann würde das die innere Lage in Syrien
noch komplizierter machen.“