Menschen in der Zeit: Manfred Lütz – Arzt – Theologe – Schriftsteller
Er ist Konsultor des
Päpstlichen Rates für die Laien, Mitglied im Direktorium der Päpstlichen Akademie
für das Leben und Berater der Vatikanischen Kleruskongregation. Seit 1997 ist er Chefarzt
des Alexianer-Krankenhauses in Köln. Einen besonders breiten Bekanntschaftskreis erlangte
Professor Dr. Lütz als Autor mehrerer Bestseller. In seinen Büchern befaßt er sich
– nicht selten auch humorvoll – mit Gesundheit und Kirche. Auch als Dozent, Vortragsredner
und Interviewpartner ist Manfred Lütz sehr gefragt.
Sie sind Chefarzt,
Neurologe, Bestsellerautor, gefragter Vortragsredner, Berater des Papstes, Gründer
einer Behindertengruppe….. Wie ergänzen sich diese zahlreichen und vielseitigen
Wissenschaftszweige?
„Ich habe Psychiatrie und Psychotherapie studiert,
weil mich das sehr interessiert hat, weil ich gerne mit Menschen arbeite und Psychiatrie
ist eigentlich die erfolgreichste Disziplin der letzten 40 Jahre. Man kann heute psychisch
kranken Menschen ganz toll helfen. Andererseits bin ich auch Theologe, weil mich
Theologie und Philosophie immer interessiert hat. Aber wenn ich das alleine gemacht
hätte, dann hätte ich Sorge gehabt, dass ich irgendwann einmal auf einer solchen Wolke
lande, dass ich mich nur noch in Theorieen aufhalte. Da ich eben Laie und kein Priester
bin und keine Seelsorger betreibe, finde ich eigentlich wichtig, dass ich einen Bereich
habe, wo ich direkten Kontakt mit Menschen habe. Und das andere, dass ich Bücher schreibe
und in Kabaretts auftrete, das hat sich einfach so ergeben.“
Es ist bekannt,
dass Sie als Rheinländer Ernsthaftes unterhaltsam zu sagen vermögen, dass Sie auch
viel Humor besitzen. Was ist Humor, abgesehen von dem volkstümlichen Bonmot: Humor
ist, wenn man trotzdem lacht?
„Das genau zu definieren, ist immer ganz
schwierig, Ich bin einmal auf einer Humortagung eingeladen gewesen, in Salzburg. Das
war die humorloseste Veranstaltung gewesen, die ich je besucht habe. Ich finde, Humor
ist eine Möglichkeit, ein bisschen von sich selbst Distanz zu nehmen und Humor ist
vor allem, wenn man sich selbst auf den Arm nehmen kann. Und wenn man alles nicht
so bierernst nimmt. Es gibt natürllich ernste Dinge im Leben.“
Wie sieht es
in der Kirche mit dem Humor aus. Hat auch die Kirche Humor?
„Humor und Religion
haben viel miteinander zu tun, denn man muss mal Abstand von sich nhemen können. Die
Kirche sieht ja die Möglichkeit, dass man vom alltäglichen Getriebe Abstand nimmt
und auf das Wesentliche guckt, und guter Humor ist ja etwas, was auf das Wesentliche
lenkt.“
Welche Ereignisse, welches Geschehen von heute würden Sie als Wunder
unserer Zeit betrachten?
„Also Wunder unserer Zeit sind die Päpste der
vergangenen hundert Jahre. Ich habe mich mit der Papstgeschichte sehr intensiv beschäftigt.
Das ist wie ein Krimi, das ist ganz toll! Wirklich so gute und beeindruckende Päpste
– Päpste die gerade genau in die Zeit passen – das habe ich in der Papstgeschichte
ganz selten gefunden. Es gab in den ersten Jahrhunderten heilige Päpste, wir haben
so viele heilige, selige Päpste – jetzt stehen zwei Heiligsprechungen an – wir haben
zur Zeit Papst Franziskus, der als Seelsorger-Papst Menschen anspricht, die lange
schon mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollten. Also, wie es der Heilige Geist
sozusagen schafft, neue und überraschende Akzente zu setzen, das ist schon beeindruckend. Das
war beeindruckend als nach dem Papst Johannes Paul I. ein Pole folgte. Das war ein
unglaublicher Aufbruch. Unter Benedikt XVI. gab es einen enormen Aufbruch. Und jetzt
auch bei Franziskus sieht man, wie die Menschen in ihn den Seelsorger suchen, der
ihnen wirklich auch seelisch nahekommt.’
Sie sind Theologe: Papst Benedikt
em. unterstrich immer wieder: Glaube und Vernunft sind keine Gegensätze. Gibt es einen
vernünftigen Glauben? Oder ist der Glaube eine andere Kategorie als die Vernunft,
also mehr als eine intellektuelle Befindlichkeit?
„Ganz sicher ist der
Glaube mehr als Vernunft, aber er ist nicht unvernünftig. Und das ist mir auch immer
wichtig gewesen. Ich habe ein Buch geschrieben, ‚Gott, eine kleine Geschichte des
Größten’, ich habe von Menschen gehört, die dadurch zum Glauben gekommen sind. Natürlich
kommt man nicht nur durch ein Buch zum Glauben. Man kann aber durch ein Buch Müll
wegräumen, scheinbare Wiedersprüche, die der Glaube gegenüber der Vernunft hat, ausräumen.
Dann haben Menschen einen Zugang für existentielle Erfahrungen, das ist viel mehr
als bloß Wissen. Das liegt daran, dass der Ausdruck ‚Glaube’ im Deutschen zwei
ganz unterschiedliche Bedeutungen hat: wenn ich Fallschirmspringer wäre und jemand
würde mir einen Fallschirm geben und ich würde fragen, ob der auch sicher gepackt
sei und würde zur Antwort bekommen, ja, ich glaube ja, würde mir das nicht reichen.
Ich möchte das bitte wissen! Aber wenn ein guter Freund mir den Fallschirm gepackt
hat, der mir versichert er habe ihn selbst gepackt, dann würde ich dem sagen: das
glaube ich Dir und dieser Glaube ist vielmehr als die Gewissheit. Und das ist der
Glauben, der die Apostel ihr Martyrium hat erleiden lassen, das ist der Glaube, der
wirklich existentiell uns durchs Leben trägt und den der Papst meint.“
Warum
ist es dann oft so schwer, zu glauben? Es gibt ja vieles, das der reinen Vernunft
widerspricht. Zum Beispiel das Oster-Geheimnis, die Auferstehung vom Tode, die jungfräuliche
Empfängnis, die Dreifaltigkeit?
„Ich glaube nicht, dass das Widersprüche
gegen die Vernunft sind. Wenn ich mich in einen Menschen verliebe, kann ich das nicht
mit Vernunftsgründen begründen, das ist etwas, was das Existentielle, etwas Vernünftiges
übersteigt. Schon bei Shakespeare heißt es: es gibt mehr Dinge zwischen Himmel
und Erde, als eure Schulweisheit sich träumen läßt. Man muss aufpassen, dass man nicht
den neuen Atheisten auf dem Leim geht, die sagen: die Welt ist nur das, was die Wissenschaft
beschreibt. Das ist eine künstliche Welt, die Wissenschaft. Aber auch der Physik-Nobelpreisträger
liebt seine Frau, das hat er aber nicht physikalisch erkannt und wenn er eines Tages
auf dem Sterbebett liegt, wird er sich an die Liebe seiner Frau erinnern. Und so ist
der Glaube auch etwas, was mit Liebe zu tun hat. Gott ist die Liebe, sagen wir: und
das ist etwas Existentielles, was einem ergreift und was man im Lächeln von Mutter
Theresa erleben kann.“
Welche sind die Quellen, die spirituellen Quellen,
die uns Menschen zum eigentlichen Kern unserer Existenz führen? Was ist das: der
tiefste Sinn des Lebens?
„Papst Benedikt XVI. hat einmal gesagt, es gibt
so viele Wege zu Gott, wie es Menschen gibt. Das ist sicherlich bei jedem Menschen
anders. Es gibt Menschen, die plötzlich ein Aha-Erlebnis haben. Andre Frossard, der
als Kommunist, Sohn des Gründers der kommuistischen Partei Frankreichs, als Atheist
in eine Kirche geht, in der er einen Freund sucht und plötzlich vom Glauben ergriffen
ist, in einem ganz bestimmten Moment, aus der Kirche geht und vom Freund gefragt wird,
was ist denn mit Dir los, und zur Antwort gibt: ich bin katholisch, römisch katholisch.
So etwas passiert natürlich nicht jedem. Aber es geht oft ganz anders, dass man
den Ruf in einer ganz anderen Weise erlebt. Es gibt sehr unterschiedliche Wege, wie
man zu Gott findet. Und dass es so schwierig ist – wie Sie gerade gefragt haben –
das liegt daran, dass das Leben sonst ja ganz sinnlos wäre. Wenn wir immer wieder
in Dunkelheiten kommen in unserem Leben, dann ist der Sinn dieser Dunkelheiten das
Helle, was wir dann, durch die ganzen Dunkelheiten hindurch, ersehnen und dann auch
finden können. Das Ziel der Fastenzeit ist ja nicht das Fasten an sich, das Ziel
der Fastenzeit ist der Osterbraten. Und das Ziel unseres Lebens ist das ewige Leben.“
Würden
Sie die folgende als eine gefährliche Frage bezeichnen: Sind Christen vor Gott bessere
Leute als Agnostiker?
„Wir wissen überhaupt nicht, wer genau Christ ist
und wer genau Agnostiker. Wir Katholiken sind auch Agnostiker im wörtlichen Sinne.
Wir sind nicht Gnostiker. Die Gnostiker, die behaupteten, sie wüßten ganz genau wer
Gott ist, die sind aus der Kirche ausgeschlossen worden, in der frühen Christenheit.
Nicht derjenige der Gott weiß, ist der wahre Christ, sondern derjenige, der Gott liebt,
heißt es im ersten Johannesbrief: Geliebte, wir sollen einander lieben, denn die Liebe
ist aus Gott. Und jeder, der liebt, ist aus Gott gezeugt und kennt Gott. Wer nicht
liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott i s t die Liebe.“
Die Psychiatrie
ist eine eher moderne Fachrichtung: hängen damit auch der Gesundheitswahn und der
Fitness-Kult unserer Zeit zusammen?
„Ja, es gibt diesen Gesundheitswahn,
auch in der Psychiatrie. Die Leute denken falscherrweise, ihr Psychiater und Psychotherapeut
könnte den Sinn des Lebens und das Glück produzieren. Das ist natürlich Unsinn. Das
ist ein religiöses Ziel. Menschen suchen häufig spirituelle, geistige Erlebnisse.
Die kann die Psychotherapie überhaupt nicht bieten.“
Sie sprechen in Ihren
Büchern viel von Lebenslust: alle Menschen suchen nach dem Glück. Allerdings meinen
darunter beinahe alle etwas anderes. Was ist nun das wahre Glück auf Erden?
„Ich
habe ein Buch geschrieben wider den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult, ein bisschen
eine Einführung in das Christentum unter einem Tarntitel. Weil, wenn Sie Bücher schreiben,
wo vorne eine Kirche drauf ist, dann kaufen es nur die üblichen Verdächtigen. Also
Katholiken und die Katholikenhasser. Aber um eine breitere Gesellschaft zu informieren,
habe ich darauf hingewiesen, dass wenn man die Gesundheit für das höchste Gut hält,
ist das natürlich eine Anleitung zum Unglücklichsein. Die absolute Gesundheit kann
man überhaupt nicht erreichen. Und die Menschen sehen sich heute immer noch nach dem
Ewigen Leben. Da sie an ein Jenseits nicht mehr glauben, versuchen sie es im Diesseits
sozusagen zu produzieren, durch Körner, durch die Wälder laufen usw. Es gibt Menschen,
die leben nur noch vorbeugend, und sterben dann gesund. Aber auch wer gesund stirbt,
ist definitiv tot, muss man leider sagen. Das ist eine Form der Plastikreligion, das
führt nicht zum wirklichen Glück, das füllt ein bisschen das religiöse Vakuum, das
sich hier ausgebreitet hat.“
Sie haben sogar eine kleine Geschichte über
den Größten geschrieben: über Gott! Wie lautet die Kernaussage in diesem Buch von
Ihnen?
„Also das Buch hatte das Ziel einmal alle Elemente, die es über
den lieben Gott gibt, zusammen zu stellen und das allgemein verständlich und unterhaltsam
zu tun. Ich glaube, das Prinzip dieses Buches war, dass man eine breitere Gesellschaft
erreicht. Wir haben das Problem heute, dass wir vielfach nur noch Theologensprache
sprechen. Ein Buchhändler hat mir damals gesagt: Theologensprache ist unverkäuflich.
Können Sie gar nicht verkaufen. Brauchen Sie gar nicht drucken, können sie gleich
fotokopieren. Das heißt, wir haben als Theologen heute eine Sprache, die die Leute
abschreckt, weil es so vor Fachbegriffen wimmelt. Und sobald man dann in dieser Weise
redet, sagen sich viele Leute, die mit der Kirche sonst nicht viel zu tun haben: das
ist mir fremd. Deswegen ist es wichtig, dass wir den Menschen auf’s Maul schauen,
wie Luther es einmal gesagt hat, und wirklich in der Sprache der Menschen ihnen die
Botschaft vom Heil verkünden.“
Sie sind bekennender Katholik: ist der Mensch
die größte Gefahr seiner selbst?
„Ich glaube, dass es das Böse gibt. Ich
glaube auch, dass es d e n Bösen gibt. Auch, dass das Böse etwas personales ist
und dass jeder Mensch immer gefährdet ist, böse zu handeln. Das macht das Leben ja
auch so spannend! Wir können nicht einfach uns zur Ruhe legen und sagen: na ja, ich
bin jetzt getauft, ich bin gefirmt, da kann ja nichtsmehrpassieren und leb’ so vor
mich hin. Nein, ich kann jeden Tag gefährdet werden und so bin ich mir selbst auch
schon Mal die erste Gefahr und bevor ich auf andere Leute zeige, die böse sind, sollte
ich bei mir selbst Gewissenserforschung betreiben.“
Welcher Philosoph der
Antike ist Ihrem Denken und Handeln am nächsten?
„Vielleicht Sokrates in
seiner Mentaliät. Ich habe ein Buch ‚Bluff in der Welt’ geschrieben, ein bisschen
ein umgekehrter Feuerbach. Der ist ja davon ausgegangen, dass es Gott nicht gibt und
hat das merkwürdige Phänomen Religion versucht zu erklären. Und ich gehe natürlich
davon aus, dass es Gott gibt und versuche das merkwürdige Phänomen des Atheismus zu
erklären. Und bei diesem Buch gehe ich vor wie Sokrates, d.h. dass ich sozusagen
für die Menschen auf den Markt gehe, um die Menschen nachdenklich zu machen. Wir leben
doch alle heute in künstlichen Welten. In der Wissenschaftswelt, in der Psychowelt,
der Medienwelt, der Finanzwelt. Das sind alles wichtige und nützliche Welten. Ich
lebe ja selbst in der Psychowelt. In all diesen Welten kommt das existentielle Leben
nicht vor. Kommt Liebe nicht vor, der Sinn des Lebens und Gott kommen da nicht vor,
das Böse kommt da nicht vor. Darf da auch gar nicht vorkommen. Das ist auch ganz in
Ordnung. Aber wenn ich nur noch in diesen Welten lebe, und mein eigenes, kurzes, unwiederholbare
Leben weniger wichtig und weniger real lebe, also diese künstlichen Welten, dann wird
es problematisch. Und dieses Buch hat so ein bisschen einen sokratischen Ansatz, Menschen
selbst nachdenklich zu machen und sie nicht von oben herab zu belehren.“
In
Europa werden heute in immer mehr Ländern Gesetze verabschiedet, die eine Sterbehilfe
zulassen. Sie sind Arzt und Theologe: was sagen Sie uns zum grenzüberschreitenden
Thema Euthanasie?
„Dass wir am Anfang und am Ende des Lebens die Würde
des Menschen nicht mehr würdig respektieren, das macht ja inzwischen auch nichtchristliche
Philosophen nachdenklich. Wenn der Mensch, seine Würde auf der Gott-Ebenbildlichkeit
beruht, dann darf der Mensch nicht sich selbst zu Gott machen. Und nicht selbst über
Leben und Tod entscheiden. Am Beginn des Lebens und am Ende des Lebens gibt es in
Holland Situationen, dass 250 Niederländer pro Jahr totgespritzt werden mit Kommisionsbeschluss,
obwohl sie noch bei vollem Bewußtsein sind und ohne zugestimmt zu haben, wie eine
staatliche Kommision festgestellt hat. Das zeigt: wenn der Damm einmal gebrochen ist,
gibt es kein Halt mehr.“
2011 hielt Papst Benedikt XVI. seine letzte große
Rede in Deutschland: In dieser Rede rief er die Kirche dazu auf, freiwillig auf Macht
zu verzichten, um wieder glaubwürdiger in die Welt hineinwirken zu können. Sein Nachfolger,
Papst Franziskus hat dieses Vermächtnis übernommen: wie sieht eine Kirche ohne Macht
aus?
„Also ganz ohne Macht wird es sicher nicht gehen. Aber auf eine übertrieben
große Macht zu verzichten, ist – glaube ich – ganz wichtig. Ich war damals bei
der Rede in Freiburg dabei und….das war unglaublich! Da waren die ganzen kirchlichen
Funktionäre, die nach der Rede völlig irre durch die Gegend liefen und sagten: das
darf wohl nicht wahr sein! Der Papst preist die Säkularisation, der Papst sagt, wir
sollen auf Macht verzichten, das schlägt uns ja das Fundament weg! Papst Benedikt
hat dies als sein Vermächtnis an die deutsche Kirche gesagt; das heißt ja nicht, dass
wir auch Institutionen brauchen. Wir müssen einfach nüchtern feststellen, dass wir
in Deutschland, in den letzten 30 Jahren 30 Prozent weniger Kirchenbesuche haben und
gleichzeitig 30 Prozent mehr Institution. Wenn die Kirche in diesen vielen Institutionen,
bei weit über 500.000 Angestellten in den Privatbereich von Mitarbeitern hineinleuchtet,
dann akzeptiert die Gesellschaft das nicht mehr. Und dieses ‚cuius regio, eius religio’
das akzeptieren die Menschen heute nicht mehr. Auch Papst Franziskus sagt das immer
wieder: wir müssen neu überlegen, wie wir mehr eine dienende Kirche werden können
und auch so wahrgenommen werden können, nicht eine mächtige Kirche, die über das Arbeitsrecht
versucht, die Leute sittlich und katholisch zu halten.“
Herr Luetz: Sie
haben uns heute so manche Wahrheiten, aber auch Schein-Wahrheiten – mit dem Ihnen
eigenen Gespür für Humor – gegen den Strich gebürstet. Letzte Frage: was ist die Wahrheit?
„In
der Bibel stellt Pilatus diese Frage. Und das ist auch die Frage, die auf dem ältesten
Stück der Bibel gefunden worden ist. 130 Jahre nach Christus im Staub der ägyptischen
Wüste fand sich die Frage des Pilatus: was ist die Wahrheit? Die eindrucksvollste
Frage auf diese Antwort gibt Jesus Christus selbst, nämlich: er schweigt. Und ich
kann mich noch sehr gut an eine Predigt von Kardinal Ratzinger erinnern, der bei uns
im Campo Santo Teutonico in Rom predigte über das Schweigen Jesu und dabei den Heiligen
Ignatius von Antiochien zitierte, der sagte: um die Worte Jesu verstehen zu können,
muss man erstmal sein Schweigen verstehen. Das heißt: nicht geschwätzig die Wahrheit
im Griff haben zu wollen, ist der richtige Weg, sondern sich ergreifen lassen von
der Wahrheit. Wir glauben ja nicht an eine abstrakte Wahrheit, wir glauben an eine
Person, an den Sohn Gottes. Und an anderer Stelle sagt Jesus: ich bin der Weg, die
Wahrheit und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit. Und dieser Wahrheit
glaube ich.“