D/Syrien/Jordanien: „Kinder und Frauen sind die Leidtragenden“
„Fast 80 Prozent aller
Flüchtlinge aus Syrien in den Auffanglagern in Jordanien sind Frauen und Kinder.“
Das berichtet der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle im Interview mit Radio Vatikan.
Am Samstag und Sonntag hatte er im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) gemeinsam
mit dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Nikolaus
Schneider, Flüchtlingslager in Jordanien besucht. Im Lager al-Husn und bei Flüchtlingsfamilien
in Amman informierten sich die Kirchenvertreter über die Situation der Menschen, die
vor dem Krieg in ihrer syrischen Heimat geflohen sind. Auch nach seiner Rückkehr nach
Deutschland hat Bischof Trelle noch einige Bilder aus den Flüchtlingslagern deutlich
vor Augen. Er erinnert sich zum Beispiel an eine Begegnung mit Kindern:
„Wenn
sie Bilder malen, malen sie fast nur Bilder ihrer zerstörten Häuser und Panzer und
Granateinschläge und verwundete Menschen. Man muss mit ihnen wieder so reden, dass
sie darüber auch nicht vergessen, dass sie Kinder sind, und dass sie auch miteinander
spielen. Das tun sie auch, und es ist großartig, welches Hoffnungspotential in den
Kindern vorhanden ist. Das spürt man. Sie schauen einen ja fast fröhlich an – und
erzählen dann aber wieder gleich im nächsten Augenblick von dem Schrecklichen, was
sie erlebt haben. Das war für uns beide, für den Ratsvorsitzenden wie für mich, eine
sehr eindrucksvolle Ebene der Begegnung.“
Bischof Trelle und Präses Schneider
sahen auch, wie viel die kirchlichen Hilfswerke vor Ort bereits schon leisten: Sie
verteilen Nahrungsmittel, kümmern sich um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge
oder teilen warme Decken und kleine Ölöfen für die bereits kalten Nächte aus. Da nun
der Winter vor der Tür steht und die Baracken im Flüchtlingslager keinen ausreichenden
Schutz vor der Kälte bieten, sei aber noch viel mehr Hilfe nötig. Neben der materiellen
Hilfe ist aber auch die psychologische Betreuung der Flüchtlinge elementar, betont
Bischof Trelle:
„Vor allen Dingen ist es notwendig, dass es psychosoziale
Hilfe gibt. Das hatte ich auch erwartet, aber sicher nicht in dem Maß, wie es dann
wirklich geschieht: Die Menschen, die sich in unseren Hilfseinrichtungen – also bei
Caritas Internationalis, oder Diakonie Katastrophenhilfe der Evangelischen Kirche
– engagieren, leisten eine große, verdienstvolle Arbeit, indem sie Menschen mit ihren
Traumatisierungen – seelische, körperliche – begleiten, und das täglich.“
Die
Hilfe der Kirchen ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Trelle und Schneider
wünschen sich, dass sich auch die Bundesrepublik Deutschland noch mehr in der Frage
der syrischen Flüchtlinge engagiert, zum Beispiel indem Deutschland mehr Menschen
als die bisherigen 5.000 syrischen Flüchtlinge aufnimmt. Es gehe dabei nicht um finanzielle
Fragen, sondern „um die emotionale Bereitschaft, diese Menschen aufnehmen zu wollen“,
so Trelle. Er weist darauf hin, dass es sich vorrangig um eine Aufgabe des Staates
handele, sich aber auch die Kirchen hier noch mehr engagieren können und wollen. So
prüfe man beispielsweise, wo es freie kirchliche Immobilien gebe, die für die Flüchtlinge
zur Verfügung gestellt werden könnten.
„Wohnraum, Unterhalt, Lebensunterhalt,
das ist das eine, aber menschliche Kontakte knüpfen, miteinander auch das Leben so
zu gestalten, dass die Flüchtlinge nach und nach hier wirklich auch ein Stück neue
Heimat finden – das ist ein mindestens ebenso wichtiger, vielleicht sogar noch wichtigerer
Schritt.“
Gleichzeitig erinnert Bischof Trelle auch daran, dass immer mehr
Christen Syrien verlassen:
„Das ist in der Tat ja ein noch nicht ganz gelöstes
Problem: Wie soll man mit dieser Situation jetzt umgehen? Sollen wir versuchen, alle
ausreisen zu lassen und dafür das Notwendige tun, oder sollen wir sie daran erinnern,
dass ihre Präsenz als Christen im Heiligen Land auch von unschätzbarem Wert ist? Zwischen
diesen beiden Positionen geht das immer hin und her. Aber die Menschen haben große
Angst, auch die Christen, dass sie angesichts dessen, was sie erlebt haben, in Syrien
nicht mehr in normalen und gesicherten Verhältnissen werden leben können.“ Auch
der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, Nikolaus Schneider,
ist noch immer tief betroffen von dem, was er beim Besuch der jordanischen Flüchtlingslager
sah: „Das legt sich wie Mehltau auf die Seele. Es bedrückt sehr.“ Gleichzeitig habe
er aber auch miterlebt, was für eine wunderbare Arbeit vor Ort geleistet werde – von
katholischen wie evangelischen Hilfswerken. Ihm sei es sehr wichtig gewesen, dass
eine ökumenische Delegation aus Deutschland die Flüchtlingslager in Jordanien gemeinsam
besucht habe, so Schneider:
„Wenn es um humanitäre Unterstützung von Menschen
geht, dann können wir das als christliche Kirchen am besten gemeinsam. Es ist ein
Zeugnis vor unserem Herrn. Das in ökumenischer Gemeinschaft zu tun, ist auch ein Ruf
zum Glauben.“