2013-10-21 13:38:12

‘Menschen in der Zeit’: Jan Roß


RealAudioMP3 Jan Roß ist kein Theologe – er gehört aber zu den wenigen Starjournalisten, die sich grundlegend mit Religion beschäftigen. Dabei misst der evangelische Christ und verantwortliche Redakteur für die außenpolitische Berichterstattung der angesehenen Wochenzeitung ‘ Die Zeit’ auch der katholischen Kirche und ihrer Institution viel Respekt und Sympathie bei. Der 1965 geborene Hamburger hat mehrere Bücher über religiöse Themen publiziert, darunter eines über Papst Johannes Paul II. und zuletzt ’Die Verteidiung des Menschen, warum Gott gebraucht wird’. Ihm - dem Suchenden – ist es ein Anliegen, den christlichen Glauben an die nächste Generation weiterzugeben. Wie er sich das vorstellt, das sagt er uns im folgenden Gespräch:

*Herr Roß, die alte Sehnsucht der Menschen nach Orientierung und Geborgenheit ist auch im 21. Jahrhundert n.Chr. nicht ganz abhanden gekommen. Es gibt – trotz fortschreitender Säkularisierung - viele Menschen, die von der Religion auf viele existentielle Fragen eine Antwort erwarten. Was bietet der Glaube heute den Menschen? Welche Prioritäten sollte die Religion heute gegenüber den Menschen setzen?

‘Ich glaube, dass die Religion in ihrer sozialen Rolle oder in ihrer menschlichen Bedeutug heute vor allem so etwas ist wie die Fundierung des Humanimus. Die Religion ist das Feld, auf dem der Mensch ein Gespür für seine eigene Würde und Größe finden kann. Das scheint mir ihre besondere Bedeutung in der Gegenwart zu sein. Wir haben ja eine Kritik an die Religion, die lautet, dass sie den Menschen klein macht, dass sie ihn entmündigt: ich glaube, das ist nicht der Fall. Es ist im Gegenteil so, dass die Religion das ist, was den Menschen groß von sich zu denken lehrt. Im Christentum hängt das zusammen mit der Gott-Ebenbildlichkeit. Ich glaube, dass dies die besondere Bedeutung der Religion am Beginn der 21. Jahrhunderts ist.’

*Die spannende Frage ist: wie kann die Kirche gut, heilig und demütig sein und gleichzeitig auf der Höhe der Zeit? Die Kirche hat ein Glaubenswürdigkeitsproblem an mehreren Fronten und Schwierigkeiten zu den Menschen von heute durchzudringen. Woran liegt das?

‘Ich muss sagen, dass ich hier nicht als Experte spreche. Ich bin nicht katholisch und ich bin auch nicht in erster Linie mit Fragen der Kirche beschäftigt, jedenfalls nicht als Journalist. Trotzdem habe ich – wenn Sie so wollen – meine laienhaften Eindrücke auf diesem Gebiet. Ich glaube es sind zwei Gründe. Das eine ist: die Wirksamkeit der kirchlichen Verkündigung hängt letztlich von den Personen ab, von denen sie ausgeht. Das ist nicht nur eine Frage der Glaubwürdigkeit im Sinne von ‘nehmen wir hier Doppelmoral wahr’, ‘gibt es Verfehlungen gegenüber den eigenen moralischen Standards’. Es geht, glaube ich, ein bisschen tiefer, es geht um die Frage ‘was für Menschen sind das, die uns da entgegen treten. Nehmen wir denen wirklich ab, dass sie Freude haben, dass die Botschaft, die sie als Frohe Botschaft verkünden auch sie selbst erlöst und befreit, das ist ja etwas, was auch einen äußeren Ausdruck finden muss, das ist, glaube ich, der eine Komplex, der wichtig ist. Mag sein, dass es da hin und wieder fehlt. Das andere ist – das fällt mir als Journalist und Autor besonders auf – eine Frage der Sprache. Die Kirche muss eine Sprache sprechen, die weder sektiererisch noch anpasslerisch ist. Sie muss einen Weg finden, die belangvollen, großen Worte der religiösen Überlieferung - Sünde, Gnade – auszusprechen, ohne sich dafür zu schämen, sie aber gleichzeitig natürlich zu erklären versuchen, In ihrem Reichtum transparent zu machen versuchen. Und dieser Aspekt - wie spricht die Kirche - der scheint mir auch einer zu sein, auf den Aufmerksamkeit gerichtet werden muss, und vielleicht nicht immer genug Aufmerksamkeit gerichtet wird.’

*Was kann der Papst tun, um die Herzen und die Seelen der Menschen von heute anzusprechen, um sie wieder nachhaltig für die Religion, für den Glauben, für die Kirche zu begeistern? Mit Papst Franziskus scheint so etwas wie eine neue Ära in der Kirche angebrochen zu sein. Auf welche Nah -und Fernziele wird er die Scheinwerfer der Kirche richten müssen?

‘Wiederum mit der gebotenen Vorsicht desjenigen, der eigentlich hier als Außenstehender spricht. Ich glaube, dass für das päpstliche Amt etwas ganz Ähnliches gilt, wie das, was ich eben für die Kirche allgemein gesagt habe: es kommt auf das Vorbild an, und es kommt auf die Sprache an. Ich glaube, dass das Projekt, das in dem neuen Pontifikat sich abzeichnet – ich verstehe das so, auch wenn ich es nicht ganz verstehe – so, als wolle der Papst eine Reform der Kirche durch Rückkehr zu den Ursprüngen. Und das scheint mir eine bedeutsame Sache zu sein. Weil die ganzen sterilen kirchenpolitischen Fronten, die wir haben, zwischen Modernisierern und Konservativen, auf diese Weise durchbrechen werden können. Indem man sagt: was ist die entscheidende Frage? Die entscheidende Frage ist: wir müssen zu Jesus. Und dann ist es gewissermaßen egal ob man sagt: vorwärts zu Jesus oder rückwärts zu Jesus. Es geht um den Kern der Sache, es geht um die Substanz, es geht, wenn man so will, um die Erinnerung an die Ursprünge des Christentums, an das Wesen des Urchristentums. Dann ist man jenseits dieser bloß politischen Entgegensetzungen von rechts und links, von fortschrittlich und reaktionär, und wie diese Begriffe alle lauten. Für mein Gefühl ist dies so etwas, was der Papst im Sinn hat. Das scheint mir auch sehr sinnvoll zu sein. Das leise Fragezeichen, das ich anmelden würde, bezieht sich auf die Sprache: ich bin nicht ganz sicher, ob er schon die seinen Gesten entsprechendende Argumentation und Entfaltung der Gedanken gefunden hat. Denn man muss ja auch erklären, was man tut. Da würde ich mir etwas mehr – aber das ist eine ganz persönliche Frage – da würde ich mir etwas mehr intellektuelle Schärfe wünschen.’

*’Gott ist wichtig, ich bin es nicht’, sagte Benedikt emeritus kurz vor seinem Rücktritt. Was wird zusammen mit seiner großen Geste des Abtritts unbedingt noch zu sagen sein, um dem Pontifikat dieses mutigen Papstes gerecht zu werden?

‘Ich glaube, bei Benedikt XVI. war es tatsächlich vor allem die geistige Bedeutung der Figur. Man hat oft von ihm gesagt, er sei ein bedeutender Theologe gewesen als Papst. Ich glaube, das greift zu kurz. Geist ist hier etwas mehr als Theologie, es ist ein zutiefst spirituelles Denken gewesen, das ihn geprägt hat oder ihn prägt. Er hat den Glauben wieder sprachfähig gemacht, er konnte in hohem Maße argumentieren in der Gegenwart. Der Gedanke der Synthese von Glaube und Vernunft bleibt, glaube ich, für das Christentum entscheidend, für die Überlebensfähigkeit des Christentums im 21. Jahrhundert. Und ich denke, dass der Gedanke der historischen Kontinuität etwas sehr Wichtiges war, dass Benedikt XVI. gezeigt hat, dass die Kirchengeschichte nicht einfach irgendwo beginnt, auch nicht mit dem Zweiten Vatikanum beginnt, so wichtig es ist, sondern dass sie eine lange Vergangenheit hat und eine weite Zukunft. Und diese Dimension der zeitlichen Erstreckung, das ins Bewusstsein gebracht zu haben gegenüber der Kurzatmigkeit der Gegenwart, auch die Schätze der Geschichte gewissermaßen wie in einer Arche geborgen zu haben für künftige Zeiten, das scheint mir zum Erbe dieses in seiner Art gleichfalls bedeutenden Papstes zu gehören.’

*Viele Menschen meinen, dass religiöser Glauben eigentlich zwangsläufig im Widerspruch zu dem Primat der Vernunft steht. Kann ein Glaubender rationalistisch sein, oder umgekehrt: kann ein ausgesprochener Vernunftsmensch gläubig sein?

‘Es hängt natürlich ein bisschen davon ab, was Sie als Vernunft verstehen. Auch die Sprachen sind hier etwas unterschiedlich. Der Vernunftbegriff im Deutschen ist etwas offener für den Glauben vielleicht als der Begriff der Ratio in den romanischen Sprachen. Insofern würde ich sagen, ein Rationalist, das klingt ein bisschen nach Gegensatz zum Glauben, Vernunft finde ich klingt gar nicht nach Gegensatz zum Glauben. Da gilt, glaube ich wirklich, was Benedikt XVI. gedacht und gelehrt hat: dass das Prozesse der wechselseitigen Reinigung sind, wie eines seiner Lieblingsworte lautet. Oder der wechselseitigen Anregung, Befruchtung. Dass Glaube gewissermaßen dazu dient, die Selbsteinsperrung der Vernunft, oder eine gewisse Genügsamkeit mit dem Vorhandenem und Alltäglichem zu sprengen. Während umgekehrt die Vernunft dazu dient, das Schwärmertum oder auch den Fanatismus im Glauben zu bekämpfen und in Zaun zu halten. Das sind ja auch Absturzmöglichkeiten, die im Glauben stecken. Da denke ich eigentlich eher, dass ein harmonischen Verhältnis denkbar ist, das ist ja auch altes katholisches Erbe, das scheint mir nicht absurd zu sein.’


*Die schrecklichste Krankheit der Menschheit heißt Krieg. Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege. Selbst die Religion, das heißt der Glaube an Gott, war bis jetzt nicht imstande, dieser Urplage der Menschheit Herr zu werden. Im Gegenteil: Kriege wurden und werden auch heute noch im Namen der Religion geführt. Wann wird die Menschheit endlich diese Krankheit überwunden haben?

‘Da kann ich Ihnen nur als politischer Realist antworten. Ich glaube, Kriege wird es geben, solange es die Menschheit gibt. Ich glaube nicht, dass Krieg sich abschaffen lässt, politisch. Man kann ihn einhegen, man kann Institutionen schaffen, die ihn weniger wahrscheinlich machen – wir sehen, dass selbst globale Institutionen, denken wir an die Vereinten Nationen, natürlich für dieselben Interessen-Gegensätze anfällig sind, die menschliche Politik überhaupt einmal charakterisieren. Und im äußersten Fall kommt es bei diesen Interessen-Gegensätzen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Ich würde sagen, da gebe ich Barack Obama recht, der bei seiner Friedensnobelpreis-Rede damals gesagt hat: ein demokratischer Staat kann auch nicht darauf verzichten, sich die letzte Option der Gewalteinsetzung offen zu halten. Insofern denke ich, dass es eine politische Hoffnung auf völlige Abschaffung des Krieges nicht gibt. Was man tun kann, ist, ihn institutionell einzuhegen und – da kommen die Religionen ins Spiel – man kann ihm sein ideologisches Futter zu entziehen versuchen. Das heißt: es ist natürlich die Verantwortung derjenigen, die mit dem Glauben, auch mit den verschiedenen Religionen zu tun haben, religiöse Legitimationen von Kriegen nicht zu liefern. Denn es ist ja tatsächlich so wie Sie sagen, Religion kann zu furchtbaren Kriegen anstacheln, es ist ja auch oft so, dass sie nur als Deckmantel benutzt wird. Dass ein eigentlich anderer Konflikt nachträglich ideologisch oder religiös aufgeladen oder bemäntelt wird. Und das ist eben die Verantwortung der religiösen Menschen und der religiösen Führer, sich solchen Versuchungen zu entziehen, also dem nicht Vorschub zu leisten.’

*Wollen wir diese Sendung mit der Lupe des Optimismus’ ausklingen lassen? Christ sein heißt, an die Auferstehung zu glauben. Kann Jan Roß diesem Geheimnis standhalten?

‘Ich weiß nicht ganz genau, was das heißt: Auferstehung. Aber, wenn Jahrhunderte vor mir dazu ‘Ja’ gesagt haben, dann habe ich das Gefühl, ich kann auch dazu ‘Ja’ sagen.’



Epilog:

Der Journalist Jan Roß hat uns heute gezeigt, dass die Religion ihrem Wesen nach keine Gefahr für den Menschen bedeutet, sondern im Gegenteil eine Bastion der Humanität darstellt. Die Suche nach Gott hat stets die kühnsten Gedanken inspiriert, die Ideen von Sünde, Ewigkeit und Gewissen haben unserem Selbstverständnis Tiefe verliehen. Religion ist eine Kraft, ohne die das Leben ärmer, enger und kälter wäre. Ihr zuerst verdanken wir die Utopie von Brüderlichkeit und Gleichheit. Die pure Diesseitigkeit dagegen legt dem Menschen Fesseln an und lässt ihn verkümmern.


Aldo Parmeggiani








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