Jan Roß ist kein Theologe
– er gehört aber zu den wenigen Starjournalisten, die sich grundlegend mit Religion
beschäftigen. Dabei misst der evangelische Christ und verantwortliche Redakteur für
die außenpolitische Berichterstattung der angesehenen Wochenzeitung ‘ Die Zeit’ auch
der katholischen Kirche und ihrer Institution viel Respekt und Sympathie bei. Der
1965 geborene Hamburger hat mehrere Bücher über religiöse Themen publiziert, darunter
eines über Papst Johannes Paul II. und zuletzt ’Die Verteidiung des Menschen, warum
Gott gebraucht wird’. Ihm - dem Suchenden – ist es ein Anliegen, den christlichen
Glauben an die nächste Generation weiterzugeben. Wie er sich das vorstellt, das sagt
er uns im folgenden Gespräch:
*Herr Roß, die alte Sehnsucht der Menschen
nach Orientierung und Geborgenheit ist auch im 21. Jahrhundert n.Chr. nicht ganz abhanden
gekommen. Es gibt – trotz fortschreitender Säkularisierung - viele Menschen, die
von der Religion auf viele existentielle Fragen eine Antwort erwarten. Was bietet
der Glaube heute den Menschen? Welche Prioritäten sollte die Religion heute gegenüber
den Menschen setzen?
‘Ich glaube, dass die Religion in ihrer sozialen Rolle
oder in ihrer menschlichen Bedeutug heute vor allem so etwas ist wie die Fundierung
des Humanimus. Die Religion ist das Feld, auf dem der Mensch ein Gespür für seine
eigene Würde und Größe finden kann. Das scheint mir ihre besondere Bedeutung in der
Gegenwart zu sein. Wir haben ja eine Kritik an die Religion, die lautet, dass sie
den Menschen klein macht, dass sie ihn entmündigt: ich glaube, das ist nicht der Fall.
Es ist im Gegenteil so, dass die Religion das ist, was den Menschen groß von sich
zu denken lehrt. Im Christentum hängt das zusammen mit der Gott-Ebenbildlichkeit.
Ich glaube, dass dies die besondere Bedeutung der Religion am Beginn der 21. Jahrhunderts
ist.’
*Die spannende Frage ist: wie kann die Kirche gut, heilig und demütig
sein und gleichzeitig auf der Höhe der Zeit? Die Kirche hat ein Glaubenswürdigkeitsproblem
an mehreren Fronten und Schwierigkeiten zu den Menschen von heute durchzudringen.
Woran liegt das?
‘Ich muss sagen, dass ich hier nicht als Experte spreche.
Ich bin nicht katholisch und ich bin auch nicht in erster Linie mit Fragen der Kirche
beschäftigt, jedenfalls nicht als Journalist. Trotzdem habe ich – wenn Sie so wollen
– meine laienhaften Eindrücke auf diesem Gebiet. Ich glaube es sind zwei Gründe. Das
eine ist: die Wirksamkeit der kirchlichen Verkündigung hängt letztlich von den Personen
ab, von denen sie ausgeht. Das ist nicht nur eine Frage der Glaubwürdigkeit im Sinne
von ‘nehmen wir hier Doppelmoral wahr’, ‘gibt es Verfehlungen gegenüber den eigenen
moralischen Standards’. Es geht, glaube ich, ein bisschen tiefer, es geht um die Frage
‘was für Menschen sind das, die uns da entgegen treten. Nehmen wir denen wirklich
ab, dass sie Freude haben, dass die Botschaft, die sie als Frohe Botschaft verkünden
auch sie selbst erlöst und befreit, das ist ja etwas, was auch einen äußeren Ausdruck
finden muss, das ist, glaube ich, der eine Komplex, der wichtig ist. Mag sein, dass
es da hin und wieder fehlt. Das andere ist – das fällt mir als Journalist und Autor
besonders auf – eine Frage der Sprache. Die Kirche muss eine Sprache sprechen, die
weder sektiererisch noch anpasslerisch ist. Sie muss einen Weg finden, die belangvollen,
großen Worte der religiösen Überlieferung - Sünde, Gnade – auszusprechen, ohne sich
dafür zu schämen, sie aber gleichzeitig natürlich zu erklären versuchen, In ihrem
Reichtum transparent zu machen versuchen. Und dieser Aspekt - wie spricht die Kirche
- der scheint mir auch einer zu sein, auf den Aufmerksamkeit gerichtet werden muss,
und vielleicht nicht immer genug Aufmerksamkeit gerichtet wird.’
*Was kann
der Papst tun, um die Herzen und die Seelen der Menschen von heute anzusprechen, um
sie wieder nachhaltig für die Religion, für den Glauben, für die Kirche zu begeistern?
Mit Papst Franziskus scheint so etwas wie eine neue Ära in der Kirche angebrochen
zu sein. Auf welche Nah -und Fernziele wird er die Scheinwerfer der Kirche richten
müssen?
‘Wiederum mit der gebotenen Vorsicht desjenigen, der eigentlich
hier als Außenstehender spricht. Ich glaube, dass für das päpstliche Amt etwas ganz
Ähnliches gilt, wie das, was ich eben für die Kirche allgemein gesagt habe: es kommt
auf das Vorbild an, und es kommt auf die Sprache an. Ich glaube, dass das Projekt,
das in dem neuen Pontifikat sich abzeichnet – ich verstehe das so, auch wenn ich es
nicht ganz verstehe – so, als wolle der Papst eine Reform der Kirche durch Rückkehr
zu den Ursprüngen. Und das scheint mir eine bedeutsame Sache zu sein. Weil die ganzen
sterilen kirchenpolitischen Fronten, die wir haben, zwischen Modernisierern und Konservativen,
auf diese Weise durchbrechen werden können. Indem man sagt: was ist die entscheidende
Frage? Die entscheidende Frage ist: wir müssen zu Jesus. Und dann ist es gewissermaßen
egal ob man sagt: vorwärts zu Jesus oder rückwärts zu Jesus. Es geht um den Kern der
Sache, es geht um die Substanz, es geht, wenn man so will, um die Erinnerung an die
Ursprünge des Christentums, an das Wesen des Urchristentums. Dann ist man jenseits
dieser bloß politischen Entgegensetzungen von rechts und links, von fortschrittlich
und reaktionär, und wie diese Begriffe alle lauten. Für mein Gefühl ist dies so etwas,
was der Papst im Sinn hat. Das scheint mir auch sehr sinnvoll zu sein. Das leise Fragezeichen,
das ich anmelden würde, bezieht sich auf die Sprache: ich bin nicht ganz sicher, ob
er schon die seinen Gesten entsprechendende Argumentation und Entfaltung der Gedanken
gefunden hat. Denn man muss ja auch erklären, was man tut. Da würde ich mir etwas
mehr – aber das ist eine ganz persönliche Frage – da würde ich mir etwas mehr intellektuelle
Schärfe wünschen.’
*’Gott ist wichtig, ich bin es nicht’, sagte Benedikt
emeritus kurz vor seinem Rücktritt. Was wird zusammen mit seiner großen Geste des
Abtritts unbedingt noch zu sagen sein, um dem Pontifikat dieses mutigen Papstes gerecht
zu werden?
‘Ich glaube, bei Benedikt XVI. war es tatsächlich vor allem
die geistige Bedeutung der Figur. Man hat oft von ihm gesagt, er sei ein bedeutender
Theologe gewesen als Papst. Ich glaube, das greift zu kurz. Geist ist hier etwas mehr
als Theologie, es ist ein zutiefst spirituelles Denken gewesen, das ihn geprägt hat
oder ihn prägt. Er hat den Glauben wieder sprachfähig gemacht, er konnte in hohem
Maße argumentieren in der Gegenwart. Der Gedanke der Synthese von Glaube und Vernunft
bleibt, glaube ich, für das Christentum entscheidend, für die Überlebensfähigkeit
des Christentums im 21. Jahrhundert. Und ich denke, dass der Gedanke der historischen
Kontinuität etwas sehr Wichtiges war, dass Benedikt XVI. gezeigt hat, dass die Kirchengeschichte
nicht einfach irgendwo beginnt, auch nicht mit dem Zweiten Vatikanum beginnt, so wichtig
es ist, sondern dass sie eine lange Vergangenheit hat und eine weite Zukunft. Und
diese Dimension der zeitlichen Erstreckung, das ins Bewusstsein gebracht zu haben
gegenüber der Kurzatmigkeit der Gegenwart, auch die Schätze der Geschichte gewissermaßen
wie in einer Arche geborgen zu haben für künftige Zeiten, das scheint mir zum Erbe
dieses in seiner Art gleichfalls bedeutenden Papstes zu gehören.’
*Viele
Menschen meinen, dass religiöser Glauben eigentlich zwangsläufig im Widerspruch zu
dem Primat der Vernunft steht. Kann ein Glaubender rationalistisch sein, oder umgekehrt:
kann ein ausgesprochener Vernunftsmensch gläubig sein?
‘Es hängt natürlich
ein bisschen davon ab, was Sie als Vernunft verstehen. Auch die Sprachen sind hier
etwas unterschiedlich. Der Vernunftbegriff im Deutschen ist etwas offener für den
Glauben vielleicht als der Begriff der Ratio in den romanischen Sprachen. Insofern
würde ich sagen, ein Rationalist, das klingt ein bisschen nach Gegensatz zum Glauben,
Vernunft finde ich klingt gar nicht nach Gegensatz zum Glauben. Da gilt, glaube ich
wirklich, was Benedikt XVI. gedacht und gelehrt hat: dass das Prozesse der wechselseitigen
Reinigung sind, wie eines seiner Lieblingsworte lautet. Oder der wechselseitigen Anregung,
Befruchtung. Dass Glaube gewissermaßen dazu dient, die Selbsteinsperrung der Vernunft,
oder eine gewisse Genügsamkeit mit dem Vorhandenem und Alltäglichem zu sprengen. Während
umgekehrt die Vernunft dazu dient, das Schwärmertum oder auch den Fanatismus im Glauben
zu bekämpfen und in Zaun zu halten. Das sind ja auch Absturzmöglichkeiten, die im
Glauben stecken. Da denke ich eigentlich eher, dass ein harmonischen Verhältnis denkbar
ist, das ist ja auch altes katholisches Erbe, das scheint mir nicht absurd zu sein.’
*Die
schrecklichste Krankheit der Menschheit heißt Krieg. Seit es Menschen gibt, gibt es
Kriege. Selbst die Religion, das heißt der Glaube an Gott, war bis jetzt nicht imstande,
dieser Urplage der Menschheit Herr zu werden. Im Gegenteil: Kriege wurden und werden
auch heute noch im Namen der Religion geführt. Wann wird die Menschheit endlich diese
Krankheit überwunden haben?
‘Da kann ich Ihnen nur als politischer Realist
antworten. Ich glaube, Kriege wird es geben, solange es die Menschheit gibt. Ich glaube
nicht, dass Krieg sich abschaffen lässt, politisch. Man kann ihn einhegen, man kann
Institutionen schaffen, die ihn weniger wahrscheinlich machen – wir sehen, dass selbst
globale Institutionen, denken wir an die Vereinten Nationen, natürlich für dieselben
Interessen-Gegensätze anfällig sind, die menschliche Politik überhaupt einmal charakterisieren.
Und im äußersten Fall kommt es bei diesen Interessen-Gegensätzen zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Ich würde sagen, da gebe ich Barack Obama recht, der bei seiner Friedensnobelpreis-Rede
damals gesagt hat: ein demokratischer Staat kann auch nicht darauf verzichten, sich
die letzte Option der Gewalteinsetzung offen zu halten. Insofern denke ich, dass es
eine politische Hoffnung auf völlige Abschaffung des Krieges nicht gibt. Was man tun
kann, ist, ihn institutionell einzuhegen und – da kommen die Religionen ins Spiel
– man kann ihm sein ideologisches Futter zu entziehen versuchen. Das heißt: es ist
natürlich die Verantwortung derjenigen, die mit dem Glauben, auch mit den verschiedenen
Religionen zu tun haben, religiöse Legitimationen von Kriegen nicht zu liefern. Denn
es ist ja tatsächlich so wie Sie sagen, Religion kann zu furchtbaren Kriegen anstacheln,
es ist ja auch oft so, dass sie nur als Deckmantel benutzt wird. Dass ein eigentlich
anderer Konflikt nachträglich ideologisch oder religiös aufgeladen oder bemäntelt
wird. Und das ist eben die Verantwortung der religiösen Menschen und der religiösen
Führer, sich solchen Versuchungen zu entziehen, also dem nicht Vorschub zu leisten.’
*Wollen
wir diese Sendung mit der Lupe des Optimismus’ ausklingen lassen? Christ sein heißt,
an die Auferstehung zu glauben. Kann Jan Roß diesem Geheimnis standhalten?
‘Ich
weiß nicht ganz genau, was das heißt: Auferstehung. Aber, wenn Jahrhunderte vor mir
dazu ‘Ja’ gesagt haben, dann habe ich das Gefühl, ich kann auch dazu ‘Ja’ sagen.’
Epilog:
Der
Journalist Jan Roß hat uns heute gezeigt, dass die Religion ihrem Wesen nach keine
Gefahr für den Menschen bedeutet, sondern im Gegenteil eine Bastion der Humanität
darstellt. Die Suche nach Gott hat stets die kühnsten Gedanken inspiriert, die Ideen
von Sünde, Ewigkeit und Gewissen haben unserem Selbstverständnis Tiefe verliehen.
Religion ist eine Kraft, ohne die das Leben ärmer, enger und kälter wäre. Ihr zuerst
verdanken wir die Utopie von Brüderlichkeit und Gleichheit. Die pure Diesseitigkeit
dagegen legt dem Menschen Fesseln an und lässt ihn verkümmern.