2013-10-17 10:07:43

Syrien: „Wir versuchen, keine Wut aufkommen zu lassen“


RealAudioMP3 Sie heißt Giovanna und ist Italienerin. Aber sie wohnt im Ausland: in Syrien. Und ist dort trotz des Krieges auch geblieben. Für ein paar Tage war sie jetzt in Rom, Gelegenheit für uns, sie über den Alltag im Kriegsland Syrien zu befragen: „Das Leben ist in Syrien für alle sehr schwierig: wegen der Angst, dem Stress und der Armut, die immer breitere Teile der Bevölkerung betrifft. Die Preise sind gestiegen und gestiegen; die Leute denken nur noch daran, wie sie an Nahrungsmittel kommen, alles andere ist überflüssig geworden. In den letzten Tagen zum Beispiel kostete eine Gasflasche nicht weniger als 18.000 syrische Lire – das entspricht einem guten Monatsgehalt. Rabta – das ist ein Paket mit acht Scheiben arabischen Brots – kostet fast 800 Lire, letztes Jahr waren das nur 45 Lire. Die Schulen haben seit kurzem wieder geöffnet, aber ein Schulheft, das man früher für 100 Lire bekam, kostet jetzt 600.“

Aber dazu kommt natürlich die Unsicherheit: In vielen Ortschaften oder Stadtvierteln riskiert man dauernd sein Leben, berichtet Giovanna. „Wenn man aus dem Haus geht, fragt man sich instinktiv: Ob ich wohl wiederkomme? Das hat Auswirkungen auf die alltäglichen Beziehungen der Leute untereinander. In diesen zweieinhalb Jahren Konflikt ist es immer schwieriger und inzwischen fast unmöglich geworden, einmal normal mit anderen zu reden. Die Leute wollen zwar weiter zusammenleben, aber die Kultur des friedlichen Zusammenlebens der Syrer ist am Boden. Man muss ja auch sehen, dass der Hass zwischen Sunniten und Alawiten immer stärker wird. Und die Christen haben allmählich immer mehr Angst vor bewaffneten terroristischen Gruppen, die offen christenfeindlich sind. Es kann passieren, dass Christen getötet werden, nur weil sie Christen sind.“


In der Schule Jesu

Hunderttausende haben deshalb Syrien schon verlassen und sind in die Nachbarländer geflüchtet. Dabei kann allerdings aus dem Blick geraten, dass die meisten Syrer bleiben. Viele einfach aus Not – sie könnten nirgends hin. Einige aber – und zwar auch Christen – bleiben bewußt im Land und trotzen allen Gefahren. „Sie haben entdeckt, dass es etwas Gutes ist, im eigenen Land zu bleiben, weil sie da vielleicht so etwas wie Sauerteig sein können. Wir fühlen uns in der Schule Jesu, der uns ständig wiederholt: Liebt euren Nächsten! Bleibt geeint! Vergebt! Viele Christen – das ist fast ein Wunder – leben jetzt in Syrien, ohne an sich selbst zu denken, einfach für die anderen. Sie denken nur an das, was sie konkret tun können: für den, der sein Haus verloren hat oder seinen Arbeitsplatz. Wir alle versuchen als Christen, jetzt nicht mit Ressentiments aufzurüsten und keinerlei Wut aufkommen zu lassen. Dadurch erhalten wir uns auch eine gewisse Normalität.“

Giovanna bewundert diese einheimischen Christen. Und sie selbst, obwohl Ausländerin, will auch im Land bleiben. Eine „starke Erfahrung des Evangeliums“ sei das für sie. Aber: „Wenn man erlebt, wie absurd der Krieg ist und welche Fragen der Tod und die Zerstörung um einen herum aufwerfen, dann ist die Antwort nie selbstverständlich. Ich muss immer tief in meinem Herzen oder meinem Geist danach fischen. Dann höre ich den Schrei Jesu am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einmal – da hatte es gerade wieder ein Attentat gegeben – habe ich doch angefangen, mich zu fragen, ob mein Leben nicht in einer anderen Weltecke mehr Sinn hätte. Aber dann habe ich mir gesagt: Nein! Du lebst doch, um andere zu lieben, und das wird hier genauso dringend gebraucht wie woanders. Das hat mich überzeugt, zusammen mit den anderen weiter in Syrien zu bleiben.“


Syrien war völlig unvorbereitet

Von innen, aus Syrien, fühlt sich ein Krieg anders an als von außen. In diesen Tagen in Rom staunt Giovanna über das, was die Medien alles über Syrien berichten. Sie selbst fühlt sich, sagt sie, „nicht imstande, eine politische Analyse zu liefern“. Sie habe nur mitbekommen, dass „die überwältigende Mehrheit der Syrer“ auf diesen Konflikt „völlig unvorbereitet“ war. „Als auf einmal Sicherheit und Frieden ins Wanken gerieten, da wollten die einen, dass diese Sicherheit und dieser Frieden erhalten blieben – koste es, was es wolle. Andere dagegen sagten, nein, im Namen der Freiheit, der Reformen oder noch anderer Interessen muss man das aufs Spiel setzen. Als die Protest-Demonstrationen losgingen, stand ein großer Teil der Bevölkerung hinter dem Präsidenten, weil sie in ihm jemanden sah, der Reformen durchführen und eine Anarchie im Land verhindern konnte. Aber einige haben schon damals erklärt, sie hätten kein Vertrauen ins Regime – was nicht hieß, dass sie nicht genauso entschieden für die Erhaltung der Einheit Syriens eintraten.“

Einige Wochen nach Beginn der ersten Demonstrationen gegen Assad und das Regime habe sich dann herausgestellt, dass „Kräfte von außen“ ins Land gedrungen seien. Das habe das „soziale Gewebe“ durchlöchert und das in Religionsfragen moderate System erschüttert. „Benachbarte und entferntere Länder haben angefangen, Waffen und Geld in großen Mengen zu verteilen. Im Lauf des Konflikts kamen dann andere Interessen auf, darunter das Projekt, Syrien nach fundamentalistischen Vorbildern zu islamisieren... und auch das wirtschaftliche Projekt, das mit der Produktion von Gas zusammenhängt.“



Und jetzt kommen Geld und Waffen ...


Was tun für einen Frieden in Syrien? Giovanna hat da auch keine schnelle Lösung parat. Man müsste irgendwie einen Waffenstillstand durchsetzen und ehrliche Verhandlungen aller am Konflikt Beteiligten ins Rollen bringen, sagt sie. Auch der Westen dürfe nicht heimlich denken, dass sich durch Krieg irgendetwas lösen lasse. „Man müsste vielleicht auch eine gewisse intellektuelle Faulheit aufbrechen, die uns zufrieden sein lässt mit den Infos, die man uns vorsetzt, ohne dass wir das hinterfragen oder vertiefen! Syrien braucht humanitäre Hilfen, aber auch solche Gebete wie das auf dem Petersplatz. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, was dieser Tag des Fastens und Betens, den der Papst am 7. September durchführte, für Syrien bedeutet hat. Auf einmal brach Hoffnung aus! Ein muslimischer Kollege von mir sagte: Wir haben heute gelernt, wie die Christen durch das Gebet Krieg führen gegen den Hass. Und dass sie es für möglich halten, durch Gebet zu Frieden zu kommen.“

(rv 16.10.2013 sk)








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