950 Gefängnisinsassen
sollen in den vergangenen sechs Monaten in nigerianischen Gefängnissen gestorben
sein. Bei den Toten handele es sich um mutmaßliche Mitglieder der islamistischen Terrorsekte
Boko Haram, die eigentlich vor Gericht gestellt hätten werden müssen. Dies berichtet
„Amnesty International“. Im Interview mit Radio Vatikan spricht Riccardo Nouri von
der weltweit tätigen Menschenrechtsorganisation von regelrechten Hinrichtungen:
„Die
Nachrichten, die uns vorliegen, sind verheerend – was das Ausmaß des Massakers betrifft,
das sich in den nigerianischen Militärgefängnissen vollzieht. Das Element, was bei
uns den Verdacht erweckt, dass es sich zu einem großen Teil um mutmaßliche Kämpfer
oder Sympathisanten von Boko Haram handelt, ist, dass die Gefängnisse, in denen die
größte Zahl von Toten verzeichnet wurde, tatsächlich die sind, in denen das Militär
die mutmaßlichen Mitglieder von Boko Haram feshält, um sie zu befragen.“
Ob
die Hinrichtung von Boko Haram-Kämpfern in nigerianischen Gefängnissen System hat,
könne man zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit sagen, so Nouri. Es gebe jedoch
einen „begründeten Verdacht“ dafür. Amnesty International habe die nigerianische Regierung
deshalb zu einer umgehenden Untersuchung der Vorfälle aufgerufen – die Landesführung
müsse überhaupt eine Erklärung dafür abgeben, warum laut offiziellen Militärangaben
in Nigerias Gefängnissen im Durchschnitt fünf Häftlinge pro Tag sterben.
„In
einigen Fällen handelt es sich um regelrechte außergerichtliche Hinrichtungen: Menschen
werden aus ihren Gefängniszellen geholt und, das vermuten wir, aus geringer Distanz
erschossen.“
Die Zustände in den nigerianischen Gefängnissen sind laut
Amnesty International schrecklich: Folter und Misshandlungen durch Kräfte der Polizei
und des Militärs sind die Regel, zudem ist in den Haftanstalten ein Klima der Gewalt
spürbar, oft gibt es nicht genug zu essen und es herrschen mangelhafte hygienische
Bedingungen, die häufig zu Krankheiten führen.
„Das ist wirklich eine Situation
wie in Dantes Fegefeuer, wenn man diese Metapher benutzen will – sie nährt ja möglicherweise
weitere Rachegefühle in der Zivilbevölkerung… Man muss leider mit Bitterkeit feststellen,
dass die Regierung in diesen Jahren des Kampfes gegen den globalen Terrorismus, bei
dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden, nichts gelernt hat. Und man kann beobachten,
dass die Zivilbevölkerung die Konsequenzen dieses komplett illegalen Kampfes gegen
den Terrorismus zahlt: In Nigeria werden die christlichen Gemeinschaften, die Schulen,
die Lehrer zur Zielscheibe von Attacken, die immer mehr den Charakter von Racheakten
zu haben scheinen.“
Gegen die Boko Haram-Sekte hatte das Militär als Reaktion
auf neue Anschlagsserien im letzten Jahr eine breite Offensive geführt, zahlreiche
mutmaßliche Kämpfer der Terrorsekte wurden verhaftet. Im Kampf gegen den Terrorismus
im eigenen Land hat die Landesführung laut Amnesty International aber keinen guten
Weg eingeschlagen – ganz im Gegenteil: im Kampf gegen den Terror scheine der Regierung
jedes Mittel recht zu sein, so Nouri, und diese Logik werde von der Afrikanischen
Union geduldet. „Die westafrikanischen Staaten und die Afrikanische Union
müssten gegenüber der nigerianischen Regierung sehr hart durchgreifen. Unser Eindruck
ist jedoch, dass es da sehr viel Nachsicht gegenüber Nigeria gibt, weil klar ist,
dass Boko Haram eine der grausamsten bewaffneten Islamistengruppen ist. Die Sekte
hat Anschläge über Anschläge auf wehrlose Menschen verübt – das führt dazu, dass das
Verhalten des nigerianischen Militärs als eine Art Notwendigkeit betrachtet wird,
nach dem Motto: der Zweck heiligt die Mittel. Das Ziel müsste sein, die nigerianische
Zivilbevölkerung zu schützen und nicht, dass sich das Militär und Boko Haram in Grausamkeiten
überbieten.“