2013-10-11 10:47:10

Ägypten: al-Azhar-Vertreter verteidigt Mursis Sturz


RealAudioMP3 Christen sind in Ägypten das schwächste Glied in der Kette. Kein Wunder, dass sie besonders darunter zu leiden haben, wenn die Ägypter jetzt an den Ketten rütteln. Vor allem wütende Muslimbrüder verüben in diesen Wochen immer wieder Anschläge auf koptische Kirchen und Einrichtungen; viele koptische Christen sind jetzt in Panik und sagen, sie würden so stark diskriminiert wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Mahmud Azab ist der Verantwortliche für interreligiösen Dialog der Universität al-Azhar von Kairo. Wir sprachen mit ihm über die Lage der Kopten.

„Ich bin Mitglied in vielen Gremien, die Ägypten auf die Zukunft vorbereiten. Und jedes Mal sehe ich, dass die Kopten – die Christen – exakt die Hälfte bei jeder Delegation stellen. Die Kopten sind ausgesprochen präsent, und auch ihre großen Intellektuellen werden sehr gehört, ihre Wortmeldungen sind in der Regel sehr klar. Wir sind vollkommen einverstanden mit der Vorstellung, dass alle Bürger – also Citoyens – mit gleichen Rechten sind. Darauf baut alles auf. Als Kopten oder Muslime sind wir doch alle ägyptische Bürger und somit alle gleich: Das ist die Gleichheit vor dem Gesetz.“

Citoyens, gleichberechtigte Staatsbürger – das ist die Zauberformel, die Bischöfe aus dem ganzen Nahen Osten auf einer Sondersynode im Vatikan Ende 2010, kurz vor Ausbruch des Arabischen Frühlings, gefunden hatten, um ihre Wunschrolle in ihrer Region zu beschreiben. Also nicht „Minderheit“ und erst recht nicht „säkular“, weltlich, „laikal“. Das Wort, das sich im Deutschen so harmlos anhört, hört sich für die meisten Menschen in Nahost gleichbedeutend mit „gottlos“ an:

Ständige Absprachen mit Kopten im Verfassungsrat

„Das Wort laïc – laikal – hat bei uns eine sehr schlechte Reputation. Wenn Sie es in der arabischen Welt in den Mund nehmen, dann klingt das, als wären Sie generell gegen die Religionen. In Frankreich, in Europa mag dieser Begriff angehen, aber die Ägypter sind sehr gläubige und ihren Glauben praktizierende Menschen, ganz gleich ob Muslime oder Christen. In einer Erklärung von al-Azhar, die wir – Christen und Muslime – zusammen geschrieben haben, heißt es: Wir wollen ein geeintes Land, einen demokratischen, modernen Verfassungsstaat.“

An der Verfassung des neuen Ägypten wird gerade geschrieben; der Juliputsch gegen den demokratischen Präsidenten Mohamed Mursi, einen Muslimbruder, hat auch die von ihm durchgesetzte Verfassung schnell obsolet erscheinen lassen. Anders als bei Mursis Text formulieren an der neuen Verfassung auch koptische Christen, darunter ein Bischof, im Auftrag ihrer Kirche mit.

„Wir arbeiten Tag und Nacht. Die Delegation der al-Azhar im Gremium, das die Verfassung ausarbeitet, trifft sich sehr häufig erst einmal mit der Delegation der Kirche, bevor wir ins Plenum gehen und mit allen fünfzig Mitgliedern zusammen diskutieren. Schon von Anfang an waren al-Azhar und Kopten sehr nah beieinander, was die Werte für Ägypten, die ägyptische Identität betrifft. Ägypten ist ein zivilisiertes, seit Jahrtausenden tolerantes Land – es muss auf diesem Weg weitergehen.“

Probleme zwischen Muslimen und Kopten meist aus politischen Gründen

Die einjährige Präsidentschaft Mursis, während der die im Parlament dominierenden Muslimbrüder viele ihrer Projekte durchsetzen konnten, hat die hergebrachte religiöse Toleranz in Ägypten auf eine harte Probe gestellt. Nach ihrer Entmachtung – die Muslimbruderschaft soll ja sogar in Ägypten wieder verboten werden – wendet sie sich in ihrem Zorn nun vor allem gegen die Christen. Längerfristig aber haben die Kopten vielleicht die besseren Karten: Im Treibhaus der vom Militär hergestellten neuen Verhältnisse können sie an den Fundamenten des künftigen Ägypten mitbauen.

„al-Azhar hat ein so genanntes Haus der ägyptischen Familie gegründet – das ist ein Projekt des Imam von al-Azhar, um die Einheit Ägyptens zu schützen. Muslime wie Christen machen da mit, nicht nur die koptisch-orthodoxe Kirche, sondern auch die drei anderen anerkannten christlichen Kirchen mit ihren Führern, und dazu viele engagierte Muslime und Christen, die keine Geistlichen sind. Die Ziele sind zweierlei: erstens eine gemeinsame Sprache zu führen, die die großen muslimischen und christlichen Werte herausstreicht, die Besonderheiten Ägyptens als Land des Friedens seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden. Und zweitens: die Probleme und Missverständnisse zwischen Muslimen und Christen untersuchen, die wahren Gründe dafür. Da stellt sich dann schnell heraus, dass die Probleme in Wirklichkeit oft politischer Natur sind und dass das Religiöse nur vorgeschoben war!“

Hört sich gut an. Allerdings: Es ist ja nicht so, als würde man im Orient das Religiöse so strikt vom Politischen trennen. Beide Faktoren bilden in Nahost gewöhnlich ein Knäuel, zusammen mit Stammesinteressen und Gruppen-Loyalitäten. Aber al-Azhar ist offenbar daran gelegen, weiterhin als moderate Stimme in Erscheinung zu treten. Mahmud Azab setzt sich deutlich ab von Ägyptens islamistischem Experiment.

„Wir stellen uns allen entgegen, die die Wahrheiten über Ägypten vergessen, leugnen oder ignorieren! Das ist ein ziviles und zivilisiertes Volk, das in Frieden leben will, seinen Glauben hat – muslimisch und christlich, das nicht fanatisch ist und die Religion nicht überall reinvermengt. Der Respekt vor dem Staat und seinen Einrichtungen darf nicht von einer Gruppe oder Partei, ob religiös oder nicht, für die eigenen Zwecke eingesetzt werden. Also, alles, was sie zu tun versucht haben, stößt auf unseren Widerstand – nicht weil wir die Entscheider wären, sondern weil das ägyptische Volk das am 30. Juni so entschieden hat!“

Staatsstreich: Der Westen will die Wahrheit nicht zur Kenntnis nehmen

Hunderttausende von Menschen hatten am 30. Juni in Kairo gegen Mursi und sein Kabinett demonstriert; vier Tage später nahm das Militär die Demos zum Anlass, um den Präsidenten aus dem Amt zu hieven und ein Übergangsregime zu installieren. „Das sah vielleicht so aus wie ein Staatsstreich, aber es war keiner“, beteuert der koptisch-katholische Patriarch Ibrahim Isaak Sedrak: Die Menschen hätten die Armee sozusagen zu Hilfe gerufen, weil Mursi sich gegen die Forderung nach Neuwahlen stemmte, und die Muslimbrüder hätten es auf die Streichung ganzer Epochen aus den Schulbüchern abgesehen gehabt. In Wirklichkeit sei da ein Kampf um die Identität Ägyptens und seine Werte im Gang gewesen. Das sieht der Vertreter der al-Azhar-Universität von Kairo ähnlich:

„Leider will der Westen diese Wahrheiten nicht zur Kenntnis nehmen! Ich habe für dieses Unverständnis nichts übrig. Wenn wir versuchen, bei uns die Dinge zu verbessern und die Gewalt zu stoppen, dann erklärt man uns im Namen der Demokratie mit erhobenem Zeigefinger, wir dürften nichts gegen diejenigen tun, die zerstören oder den Ägyptern Böses zufügen wollen. Der Westen sollte lieber kohärent sein: Er sollte Ägypten helfen, sich zu öffnen, damit Muslime und Christen ihre wahre Identität wiederfinden.“

Die al-Azhar-Uni in Kairo wurde im 10. Jahrhundert gegründet, sie ist also eine der ältesten der Welt. Zusammen mit Lehrstätten im marokkanischen Fes und im tunesischen Tunis stellt sie die wichtigste Autorität im sunnitischen Islam dar. Etwa 18.000 Studenten aus der ganzen islamischen Welt studieren hier, Papst Johannes Paul II. hat sie besucht – doch ihr offizieller Dialog mit dem Vatikan liegt seit dem Frühjahr 2011 auf Eis.

(rv 11.10.2013 sk)








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