EU-Parlamentspräsident beim Papst: „Bewegt sich was beim Volk, bewegt sich auch die
Politik“
Das Europäische Parlament
lädt Papst Franziskus ein, in einer seiner Plenarsitzungen zu sprechen. Parlamentspräsident
Martin Schulz wurde an diesem Freitag vom Papst empfangen und überbrachte eine Einladung.
An diesem Freitag sind es genau 25 Jahre, seitdem mit Johannes Paul II. das letzte
mal ein Papst vor dem Europaparlament sprach. Wie Schulz nach der Audienz vor Journalisten
sagte sei es in der Audienz auch um aktuelle Fragen gegangen, vor allem um das Flüchtlingsdrama
auf dem Mittelmeer und Fragen der Sozialpolitik.
Pater Bernd Hagenkord hat
Martin Schulz vor der Audienz gefragt, was er sich von einem Besuch des Papstes im
Parlament verspricht.
„Wir leben in einer Zeit globaler Veränderung und
zwar schneller globaler Veränderung und der Ort, an dem die Rolle der Europäischen
Union in dieser globalen Veränderung diskutiert wird und zwar öffentlich und hörbar
und sichtbar für jeden, ist das Europäische Parlament. Zugleich ist Papst Franziskus
ganz sicher von seinem Amt her, aber auch als Persönlichkeit und vor allem auch mit
seinem nichteuropäischen Hintergrund für uns ein in jeder Hinsicht vielversprechender
Gast, der uns in einer sehr klaren Form seine Vorstellungen über die Rolle Europas
und die Rolle der Kirche in diesem 21. Jahrhundert vortragen könnte.“
Was
Europa und die Kirche im Augenblick gleichermaßen beschäftigt ist die Tragödie, die
sich vor Lampedusa abspielt, zwischen Europa und Afrika. Was für eine Rolle spielt
hier in Ihren Augen der Papst; er hat sich ja mehrfach dazu geäußert?
„Wir
drängen als Europäisches Parlament die Mitgliedsstaaten seit fast zwei Jahrzehnten
nicht nur die politische Verfolgung als ein Zuwanderungsphänomen zu erkennen, sondern
auch die Armutsmigration, die Flucht von Menschen aus Bürgerkriegsgebieten, die Flucht
von Menschen vor Hunger und Naturkatastrophen. Wir sehen seit zwei Jahrzehnten ganz
wenig Bewegung. Auch die Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union zwischen
den einzelnen Mitgliedsstaaten ist seit zwanzig Jahren absolut unterentwickelt. Die
Botschaften, die Papst Franziskus in den letzten Tagen verkündet hat, was er zu Lampedusa
gesagt hat, das ist eins zu eins deckungsgleich zu dem, was wir als Europaparlamentarier
sagen. Die moralische Autorität des Papstes kann uns glaube ich helfen, den Druck
auf die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu erhöhen, vor allem auch auf solche, die
sich überhaupt nicht beteiligen. Es gibt ja einige Staaten, die sehr viele Lasten
tragen, andere sehr wenige. Druck auszuüben, dieses Stück notwendiger Solidarität
mit den Ärmsten der Welt sozusagen zu einen Pflichtprogramm für alle Mitgliedsstaaten
der EU und ihre Institutionen zu machen: Das erhoffe ich mir beim genauen Hinhören
auf das, was der Papst dazu sagt.“
Sie sagen ‚seit zwanzig Jahren’, würden
Sie sagen, dass Politik da auch gescheitert ist, europäische oder vielleicht auch
afrikanische?
„Ich glaube beides. Wenn man mal ganz ehrlich ist haben wir
über viele Jahre als Europäer zugesehen, wie Diktatoren in Nordafrika ein Filter für
die Armutsmigration darstellten. Es war ganz klar, dass Gaddafi, Mubarak und andere
richtig Geld bekommen haben, um Flüchtlinge aufzuhalten. Nun sind die weg, da ist
auch der Filter weg. Alleine dieses kleine Detail zeigt, dass wir mit diesen Problemen
nicht immer so umgegangen sind, wie wir hätten umgehen müssen. Auch afrikanische
Politik ist gescheitert, damit haben Sie recht. Wir sind deswegen als Europäer und
ganz sicher in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Regierungen aufgefordert, mehr
gegen Bürgerkriegsentwicklungen zu tun. Manchmal geht das übrigens auch über weniger
Waffenlieferungen – das ist nicht nur ein europäisches Problem, das ist auch ein Appell
an die Vereinigten Staaten von Amerika, an China, an Russland, die auch Waffen liefern.
Und es ist eine Frage der gerechteren Verteilung des Reichtums dieser Welt.“
Der
Aufruf zu mehr Solidarität kommt vom Papst, kommt von anderen, kommt von Ihnen: Meinen
Sie, dass das eine Chance hat, gehört zu werden?
„Das ist meine Antwort
eindeutig ‚Ja’. Ich stelle in den letzten Tagen fest, dass die Tragödie von Lampedusa
viele Menschen, mehr bewegt als viele andere Ereignisse. Die bedauerlichen Opfer von
Lampedusa jetzt in den letzten Tagen sind ja nicht die ersten Opfer. Viele tausende
Menschen haben hier ihr Leben verloren, schon vorher. Das hat die Leute weniger bewegt
als dieses Ereignis. Diese konzentrierte Form, auch die Bilder von Eltern,
die ihre Kinder ertrinken sehen oder Kinder, die ihre Eltern nicht mehr wiedersehen.
Die konzentrierte Form dieser Tragödie hat schon den Effekt gehabt, dass viele Menschen
wachgerüttelt worden sind. Wenn ich in den letzten Tagen in meine Emails
schaue, bekomme ich im Gegensatz zu sonstigen Zeiten etwa die gleiche Anzahl von üblen
und bösartigen Attacken, aber eine wesentlich größere Anzahl als sonst von Unterstützungsschreiben.
Das zeigt mir, dass sich etwas bewegt. Und jede politische Erfahrung, die ich habe,
sagt mir: Bewegt sich im Volk was, dann bewegt sich auch in der Politik was.“