2013-10-11 13:16:53

EU-Parlamentspräsident beim Papst: „Bewegt sich was beim Volk, bewegt sich auch die Politik“


RealAudioMP3 Das Europäische Parlament lädt Papst Franziskus ein, in einer seiner Plenarsitzungen zu sprechen. Parlamentspräsident Martin Schulz wurde an diesem Freitag vom Papst empfangen und überbrachte eine Einladung. An diesem Freitag sind es genau 25 Jahre, seitdem mit Johannes Paul II. das letzte mal ein Papst vor dem Europaparlament sprach. Wie Schulz nach der Audienz vor Journalisten sagte sei es in der Audienz auch um aktuelle Fragen gegangen, vor allem um das Flüchtlingsdrama auf dem Mittelmeer und Fragen der Sozialpolitik.

Pater Bernd Hagenkord hat Martin Schulz vor der Audienz gefragt, was er sich von einem Besuch des Papstes im Parlament verspricht.

„Wir leben in einer Zeit globaler Veränderung und zwar schneller globaler Veränderung und der Ort, an dem die Rolle der Europäischen Union in dieser globalen Veränderung diskutiert wird und zwar öffentlich und hörbar und sichtbar für jeden, ist das Europäische Parlament. Zugleich ist Papst Franziskus ganz sicher von seinem Amt her, aber auch als Persönlichkeit und vor allem auch mit seinem nichteuropäischen Hintergrund für uns ein in jeder Hinsicht vielversprechender Gast, der uns in einer sehr klaren Form seine Vorstellungen über die Rolle Europas und die Rolle der Kirche in diesem 21. Jahrhundert vortragen könnte.“

Was Europa und die Kirche im Augenblick gleichermaßen beschäftigt ist die Tragödie, die sich vor Lampedusa abspielt, zwischen Europa und Afrika. Was für eine Rolle spielt hier in Ihren Augen der Papst; er hat sich ja mehrfach dazu geäußert?

„Wir drängen als Europäisches Parlament die Mitgliedsstaaten seit fast zwei Jahrzehnten nicht nur die politische Verfolgung als ein Zuwanderungsphänomen zu erkennen, sondern auch die Armutsmigration, die Flucht von Menschen aus Bürgerkriegsgebieten, die Flucht von Menschen vor Hunger und Naturkatastrophen. Wir sehen seit zwei Jahrzehnten ganz wenig Bewegung. Auch die Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten ist seit zwanzig Jahren absolut unterentwickelt.
Die Botschaften, die Papst Franziskus in den letzten Tagen verkündet hat, was er zu Lampedusa gesagt hat, das ist eins zu eins deckungsgleich zu dem, was wir als Europaparlamentarier sagen. Die moralische Autorität des Papstes kann uns glaube ich helfen, den Druck auf die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu erhöhen, vor allem auch auf solche, die sich überhaupt nicht beteiligen. Es gibt ja einige Staaten, die sehr viele Lasten tragen, andere sehr wenige. Druck auszuüben, dieses Stück notwendiger Solidarität mit den Ärmsten der Welt sozusagen zu einen Pflichtprogramm für alle Mitgliedsstaaten der EU und ihre Institutionen zu machen: Das erhoffe ich mir beim genauen Hinhören auf das, was der Papst dazu sagt.“

Sie sagen ‚seit zwanzig Jahren’, würden Sie sagen, dass Politik da auch gescheitert ist, europäische oder vielleicht auch afrikanische?

„Ich glaube beides. Wenn man mal ganz ehrlich ist haben wir über viele Jahre als Europäer zugesehen, wie Diktatoren in Nordafrika ein Filter für die Armutsmigration darstellten. Es war ganz klar, dass Gaddafi, Mubarak und andere richtig Geld bekommen haben, um Flüchtlinge aufzuhalten. Nun sind die weg, da ist auch der Filter weg. Alleine dieses kleine Detail zeigt, dass wir mit diesen Problemen nicht immer so umgegangen sind, wie wir hätten umgehen müssen.
Auch afrikanische Politik ist gescheitert, damit haben Sie recht. Wir sind deswegen als Europäer und ganz sicher in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Regierungen aufgefordert, mehr gegen Bürgerkriegsentwicklungen zu tun. Manchmal geht das übrigens auch über weniger Waffenlieferungen – das ist nicht nur ein europäisches Problem, das ist auch ein Appell an die Vereinigten Staaten von Amerika, an China, an Russland, die auch Waffen liefern. Und es ist eine Frage der gerechteren Verteilung des Reichtums dieser Welt.“

Der Aufruf zu mehr Solidarität kommt vom Papst, kommt von anderen, kommt von Ihnen: Meinen Sie, dass das eine Chance hat, gehört zu werden?

„Das ist meine Antwort eindeutig ‚Ja’. Ich stelle in den letzten Tagen fest, dass die Tragödie von Lampedusa viele Menschen, mehr bewegt als viele andere Ereignisse. Die bedauerlichen Opfer von Lampedusa jetzt in den letzten Tagen sind ja nicht die ersten Opfer. Viele tausende Menschen haben hier ihr Leben verloren, schon vorher. Das hat die Leute weniger bewegt als dieses Ereignis.
Diese konzentrierte Form, auch die Bilder von Eltern, die ihre Kinder ertrinken sehen oder Kinder, die ihre Eltern nicht mehr wiedersehen. Die konzentrierte Form dieser Tragödie hat schon den Effekt gehabt, dass viele Menschen wachgerüttelt worden sind.
Wenn ich in den letzten Tagen in meine Emails schaue, bekomme ich im Gegensatz zu sonstigen Zeiten etwa die gleiche Anzahl von üblen und bösartigen Attacken, aber eine wesentlich größere Anzahl als sonst von Unterstützungsschreiben. Das zeigt mir, dass sich etwas bewegt. Und jede politische Erfahrung, die ich habe, sagt mir: Bewegt sich im Volk was, dann bewegt sich auch in der Politik was.“


(rv 11.10.2013 ord)








All the contents on this site are copyrighted ©.